Künstler | Blur | |
Album | 13 | |
Label | Food | |
Erscheinungsjahr | 1999 | |
Bewertung |
Vielleicht ist sie ja an allem schuld. Ist sie sowieso. Sie ist jedenfalls weg und hat damit sicher großen Anteil daran, dass ich das neue Blur-Album 13 für die bisher beste Platte dieses Jahres halte. Sänger Damon Albarn wurde im Vorfeld des neuesten Studiowerks von seiner langjährigen Freundin Justin Frischman verlassen. Und hatte offensichtlich daran zu knabbern. Somit teilen wir nun unser Leid.
Und dieser Mann hat gelitten. So sehr, dass er anscheinend alle Hoffnung in die Welt und die Menschen verloren hat. So geht es halt, wenn man sich dem Kummer hingibt. Als Resultat ist 13 ein schwarzes Loch geworden, das alle Hoffnung, allen Glauben und allen Optimismus in sich hineinzieht. Soviel Kälte, Zynismus und Destruktivität hat man zuletzt auf Nirvanas In Utero gehört.
Für den unbedarften Hörer, der Blur noch immer mit singalong-Popsongs wie Girls And Boys oder Country House assoziiert, kann das erste Hören der Platte mitunter zu einer Tortur werden. Der erste Durchlauf der CD kann durchaus mit körperlichen (und das meint hier nichts anderes als KÖRPERLICHEN) Schmerzen verbunden sein. Für die andere Hälfte der Menschheit, nämlich arme Hunde wie Damon, Dich und mich, formt sich aus der Kälte plötzlich so etwas wie ein Kuscheltier, aus der Verzweiflung wird Trost, aus Zerstörungslust entsteht die Erkenntnis: schön, dass es auch noch andere liebeskranke Idioten gibt.
Erwartungen sollte man besser gar keine haben an diese Scheibe. Denn weder die Pop-Blur der Anfangsjahre, noch die Indie-Blur des vielumjubelten letzten Albums sind aufgekreuzt. Stattdessen hat sich die Band mit Hilfe des Produzenten William Orbit, Damons Verzweiflung und dem neuen Selbstvertrauen des Gitarristen Graham Coxon, der auf dieser Platte endgültig den Schritt aus der zweiten Reihe vollzieht, wieder einmal neu erfunden.
Schon im Opener schlagen einem gänzlich ungewohnte Klänge um die Ohren. Im Refrain von Tender wird Damons Gesang von einem Gospelchor unterstützt. Dazu ein unglaublich guter Text und Gitarrenarbeit, für die wohl einst das Wort „phänomenal“ erfunden wurde. In knapp acht Minuten entwickelt das schlichte Stück einen fast mantra-artigen Charakter. Sweet soul music.
Bereits im zweiten Song wird der Hörer auf die erste Bewährungsprobe gestellt. Wer noch nicht wusste, was „Verzerrung“ bedeutet, sollte sich dringend Bugman anhören und einsehen: Eine Gitarre kann wie ein Zahnarztbohrer klingen. Coffee & TV erinnert an die Modern Life Is Rubbish-Phase und bleibt der einzige echte Popsong, den Blur diesmal liefern. Dass sie es immer noch können, hatte niemand bezweifelt. Dass sie es trotzdem noch einmal beweisen, ist auch diesmal sehr schön. Ein solides Fundament aus Schlagzeug und Bass, die Strophe von Graham gesungen. Zeilen wie „take me away from this big bad world / and agree to marry me“ behält sich Damon aber für den Refrain vor.
Damit hat es sich aber nach einer guten Viertelstunde auch schon mit guter Laune. Was nun folgt, lässt sich kaum anders als „Trip“ nennen.
Obwohl sie nach diesem Album nicht nur in einer anderen Liga, sondern in einer ganz anderen Sportart spielen als die alten Rivalen von Oasis, können es Blur nicht lassen, auch diesmal einen Seitenhieb nach Manchester abzulassen. Swamp Song heißt der vierte Track – wie eine B-Seite der Gallaghers. Slide-Gitarren, viele Phrasen, dazu lalala, Damon macht auf Bowie: Alles zusammen klingt, als sei das Mischpult betrunken gewesen.
Fast ohne Gitarre kommt 1992 aus. In diesem Jahr haben sich Damon und Justin getroffen. Jetzt wirft er ihr ein „what do you owe me? / the price of your peace of mind“ an den Kopf. Ein an Sing erinnerndes Klavier trägt das Stück, bevor Feedback alles zur Seite schiebt. Am Ende ein Donner. Vertonte Ohnmacht.
B.L.U.R.E.M.I. ist ein Space-Punk-Witz. Battle wartet mit einem Neandertal-Schlagzeug auf und ist so dunkel wie die Asche eines verbrannten Liebesbriefes. Noch nie hat Damon so gut gesungen, noch nie hat ein einziges Wort so viel ausgesagt. Im trefflich betitelten Mellow Song klingen Blur so erfrischend wie eine Band, die die letzten zwanzig Jahre im sibirischen Arbeitslager verbracht hat. „Guilotine“ kommt im Text vor und „alcohol low“. Sie haben ja so recht.
In Trailerpark packt Damon noch einmal seinen amerikanischen Akzent aus und hat zudem die geniale Textzeile „I lost my girl to the Rolling Stones“ auf Lager. Die Band spielt dazu Country-HipHop. „I got to get over / I got to get better / I love you forever.“ Noch nie klang das Ende so absolut wie in Caramel. Karamel ist verbrannter Zucker. Jeder Ton dieses Liedes sticht an einer anderen Stelle des Körpers. Jede Silbe lässt einen ein Stück weiter in das eigene Selbstmitleid sinken. Doch wenn das Lied vorbei ist, fühlt es sich sehr gut an, dass es einem sehr schlecht geht.
„That´s just the way it is“, heißt die Einsicht von Trimm Trabb. Es ist alles sooo zu Ende. Das Stück beginnt tanzbar, doch selbst der Gitarrenorkan am Ende bleibt gleichgültig. „I sleep alone. I can´t go back.“ Zum Schluss hört man Händeklatschen, dazu schreit ganz weit hinten ein Mann so verzweifelt, als habe er gerade seine Seele verkauft.
Früher hat man Blur oft vorgeworfen, sie hätten genau dies getan. Doch wo damals in der dritten Person über allerlei Skurrilitäten des britschen Alltags erzählt wurde, steht heute die persönliche Entäußerung. Bestes Beispiel und Sahnestück der Platte: No Distance Left To Run. Jeder Ton aus Grahams Gitarre weint, Damon singt, als sei er kurz davor, ganz wenig Klavier. Eine dieser wundersamen Nummern, die Dir einfach das Herz brechen, wenn es noch im Ganzen ist. Und die es kitten, wenn es in Stücke zu fallen droht.
Einen ganzen Tag lang habe ich nur dieses Lied gehört. Und genau wie das gesamte Album wurde es mit jedem Durchlauf besser.
Natürlich ist das nicht gerade Popmusik im herkömmlichen Sinne. Nichts an 13 ist leichtverdaulich oder zugänglich. Wo immer es ging, haben Blur und William Orbit ihrer Zerstörungswut freien Lauf gelassen. Jede Melodie wird von einem unpassenden Effekt getrübt, jedem straighten Rhythmus werden atonale Gitarren- oder Gesangsläufe zur Seite gestellt. „Kopfhörermusik“ sagen Blur dazu. „Drogenmusik“ hat mein Vater dazu gesagt. Beide haben recht. Dadurch hat das Werk aber eine Substanz, wie man das neuzeutlicher Gitarrenmusik gar nicht mehr zugetraut hatte.
Auch deshalb bleiben Blur eine der wenigen Bands, die für wirkliche Überraschungen gut sind. Nachdem der Weg von den punkigen Anfängen bis zum Bombast-Pop von The Great Escape noch relativ stringent war, haben die vier Engländer mit Blur gleichzeitig den Sprung aus der Britpop-Falle und über den großen Teich geschafft. Mit 13 haben sie nun gezeigt, wie aufregend Rockmusik im Jahr 1999 klingen kann.
Schließlich spuckt das schwarze Loch, das da 13 heißt, nach gut einer Stunde auch alle Hoffnung, allen Glauben und allen Optimismus wieder aus. Und plötzlich erstrahlen sie heller als je zuvor. Dank solcher Alben kommt man über seinen Liebeskummer hinweg. Auch Damon.
Das ganz und gar vollkommene No Distance Left To Run, live bei Jools Holland und noch untröstlicher als das Original:
httpv://www.youtube.com/watch?v=QWFcM_1ye8o
3 Gedanken zu “Blur – „13“”