Boys Noize – „The Remixes 2004 – 2011“

Künstler*in Boys Noize

24 Tracks aus acht Jahren zeigen Boys Noize als Großmeister des Remix.
24 Tracks aus acht Jahren zeigen Boys Noize als Großmeister des Remix.
Album The Remixes 2004 – 2011
Label Boys Noize Records
Erscheinungsjahr 2011
Bewertung

Der Remix an sich mag manchem noch immer als seltsame Kunstform erscheinen. Schließlich geht es dabei darum, ein Kunstwerk zu zerstückeln, um dann aus den Fetzen und der eigenen Kreativität etwas Neues, im besten Falle sogar Eigenständiges und Inspirierendes zu schaffen. Das Original verliert dabei, und das kann man durchaus bedauerlich finden, seinen Charakter als Artefakt, als etwas Endgültiges, als das vollendete Ergebnis des langen Schaffensprozesses des Künstlers. Der Remix versetzt es zurück in den Zustand des Vorläufigen. „Genau so muss es bleiben“, sagt das Kunstwerk. „Es könnte aber auch so sein“, sagt der Remix.

So reizvoll das in der Musik immer wieder ist, so seltsam wirkt das Konzept, wenn man es auf andere Kunstformen überträgt. Man stelle sich vor, wie der Remix eines Romans aussehen würde: Hätte man Thomas Mann vor die Aufgabe gestellt, ein Buch zu schreiben, das ausschließlich aus kompletten, neu angeordneten Seiten von Dostojewskis Schuld und Sühne bestehen dürfte, wäre wohl kaum etwas Brauchbares dabei herausgekommen.

Zum Glück aber leben wir im digitalen Zeitalter, und da ist Zerstückelung bis auf die Mikro-Ebene möglich. Man muss beim Remix, um im Bild zu bleiben, also nicht mehr mit kompletten Kapiteln, Seiten oder Sätzen arbeiten, sondern kann alles bis auf die einzelnen Wörter, sogar die einzelnen Buchstaben sezieren. Und mit diesem Zeichensatz lässt sich natürlich problemlos neue, gültige, beeindruckende Kunst erschaffen.

Mehr noch: In der Welt des Digitalen ist die Endgültigkeit, nicht nur von Musik, ohnehin in Auflösung begriffen. Alles ist (legal oder illegal) kostenlos verfügbar, und es wird benutzt als Baustein für Neues. Fans drehen ihre eigenen YouTube-Videos zur Musik ihrer Stars, DJs fügen per MashUp zusammen, was zusammen gehört, und nach wie vor sind Samples der beliebteste Weg, um einen Referenzraum für seine eigene elektronische Musik zu erschaffen.

Der Remix ist die perfekte Entsprechung dieser Mentalität – und Alex Ridha, besser bekannt als der Mann, der Boys Noize ist, gilt mit einigem Recht als einer seiner Großmeister. Elektro-Größen wie Daft Punk oder die Chemical Brothers haben ihre Tracks in seine Hände gegeben, auch in anderen Genres sind seine Verwandlungskünste äußerst gefragt. Was er in den vergangenen acht Jahren mit den Tracks anderer Künstler angestellt hat, fasst er nun auf The Remixes 2004 – 2011 zusammen.

Die 24 Stücke auf zwei CDs schaffen es, trotz Vorlagen so unterschiedlicher Acts wie Snoop Dogg, Editors oder Charlotte Gainsbourg einen einheitlichen Sound und sogar so etwas wie eine Handschrift von Boys Noize erkennen zu lassen. Selten werden die Beats hier aggressiv, fast immer erkennt der Boys Noize Remix kleine, besondere Details im Gesang, die dann extrapoliert werden. Auf Hit-Tauglichkeit wird kaum Rücksicht genommen, die Remixes von Boys Noize sind aber auch weit davon entfernt, das Original einfach zu zerschreddern, wie es das Covermotiv mit dem Reißwolf andeutet.

In die intime Atmosphäre von Feists My Moon My Man dringen hier Vocoder-Stimmen und beinahe antik klingende Keyboards ein. Happy Up Here von Röyksopp behält sein Geheimnis, gewinnt aber eine ungeahnte Schärfe. Ein beängstigendes Hecheln steht im Boys Noize Rework von Depeche Modes Personal Jesus am Anfang. Phantom Pt. II von Justice, schon im Original ein reichlich irrer Trip, dreht in den Händen von Boys Noize noch mehr durch. Absoluter Höhepunkt ist freilich der Remix von Everyday I Love You Less And Less. Die Stimmen der Kaiser Chiefs werden hier fast in Helium-Bereiche gepitcht, dazu kommen ein verrückter Bass und ein immer wieder abbrechender Beat. Damit stellt der Remix genau die feine Linie zwischen Hysterie und Albernheit heraus, die auch im Original die Stärke dieses Song ist – es ist einer der Momente, in denen ein Boys Noize-Remix es schafft, dem Original neue Aspekte zu entlocken oder die Vorlage durch das Hinzufügen eigener Elemente zu verwandeln in etwas, das völlig Unerwartet erscheint und doch voll und ganz plausibel wirkt.

Die Kaiser Chiefs als Chipmunks? So ähnlich klingt jedenfalls der Boys Noize Remix von Everyday I Love You Less And Less:

httpv://www.youtube.com/watch?v=KkG2h_iRum4

Boys Noize bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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