Künstler | Brainpool |
Album | You Are Here |
Label | Epic |
Erscheinungsjahr | 1999 |
Bewertung | ***** |
Wenn ein Fußballverein absteigt, verharmlosen die Verantwortlichen diese bedrohliche Entwicklung gerne. Von Neuaufbau ist dann die Rede, vom Abstieg als Chance.
Dass so etwas tatsächlich funktionieren kann, beweisen Brainpool mit dieser Platte. Zwar sind sie nicht abgestiegen, aber immerhin hatte im Vorfeld Jan Kask – Sänger, Texter und Frontmann der Band – die Gruppe verlassen. Den Gesangspart teilen sich sich nun Bassist Christoffer Lundquist und Gitarrist David Birde, der auch die Texte geschrieben hat. Keiner von beiden singt annähernd so gut wie Kask. Sie singen allerdings auch nicht schlechter. Sie singen anders.
Wer das jetzt nicht versteht, dem sei gleich noch ein Orakel an den Kopf geworfen: Brainpool sind jetzt natürlich keine andere Band, aber sie sind neu geboren.
Wer wissen will, wie die neuen Brainpool klingen, wird im instrumentalen Opener Penguin Rock aber erst noch 99 Sekunden lang auf die Folter gespannt. Dann ertönt Live Transmission. Klingt wie Radiohead, ist Brainpool. Fast keine Gitarren, dennoch jede Menge Schwung. Und natürlich die patentiert hochklassigen Melodien.
Das Erstaunlichste am Titelsong ist, dass (wie auf dem gesamten Album) keine Computer, Sequenzer oder Sampler benutzt wurden, um diesen durchaus futuristischen Sound zu erzeugen. Der Text ist – passend dazu – abstrakt, atmosphärisch, grob. Wie gesagt: neu geboren.
Das bezaubernde God Bless Free Radio ist wohl die Musik, die die Beach Boys heute machen würden, wenn es sie noch gäbe. „She puts on her face / newspaper´s late / she puts on her smile / god bless free radio.“ Spätestens im bedrohlichen Here Comes The Weekend hat man sich dann so sehr an den neuen Brainpool-Sound gewöhnt, dass man sich fragt, warum Christoffer und David nicht früher schon mehr gesungen haben. Tolle Atmosphäre, ungeheure Dramatik.
Voller Seitenhiebe auf den abwesenden Ex-Sänger ist das grandiose Walk On By. Zumindest kann man den Text so interpretieren. Der Refrain? Ein Donkosaken-Hintergrundchor, ein New-Order-Keyboard, Bläser, die wie ein Schwarm Wildenten klingen. Dazu die plärrende Stimme von David Birde. Unfassbar. Deutlich konventioneller, jedoch keineswegs weniger gelungen ist Into The Crowd. „Isn´t it funny how we always seem / to end up on our own / when all we ever want / is to have someone / into the crowd / where I can be alone / and you don´t see me.“ Hätte Jan Kask auch nicht besser hingekriegt.
Aus der personellen Schwächung gehen Brainpool gestärkt hervor, daran besteht längst kein Zweifel mehr. Sie sind erwachsen geworden, kompetenter, mutiger und vielseitiger. Intercity könnte gut und gerne von den Pet Shop Boys sein. Und an die hatte man bei Brainpool ja bisher nun wirklich nicht gedacht. Auch City Of Glass ist elektronisch dominiert. Aber wie sagen sie doch gleich treffend: „nothing beats the sound / of disco music when you´re down.“ Die Disco, in der Brainpool gespielt wird, muss allerdings eine sehr düstere sein, in der die Gäste lieber trinken als tanzen. „We drink all night / and we talk all day / to minimize the pain.“
Deutlich hoffnungsvoller kommt Saviour daher, das als Gospelcountry beginnt, um dann in ein großes Led-Zeppelin-Finale zu münden.
Ganz zum Schluss wird es dann fast akustisch. Herzerweichend singt Christoffer Lundquist das zarte Cars. „We are absent / but we´re never missing / we are lovers / but we never kiss.“ Mit diesem Song hat er sich völlig vom unterschätzten Bassisten zum musikalischen Mastermind gemausert. Bisher Wasserträger, jetzt Kapitän. Der Abstieg als Chance.
Mit Bewegtbild haben sie es nach wie vor nicht so, aber zum Nachfolgealbum Junk gibt es ein umfassendes Making Of (auf Schwedisch):
httpv://www.youtube.com/watch?v=2PAojhOs5w0