Künstler*in | Brian Eno | |
Album | Small Craft On A Milk Sea | |
Label | Warp | |
Erscheinungsjahr | 2010 | |
Bewertung |
Man kann Brian Eno, Jahrgang 1948, wirklich nicht vorwerfen, dass er nicht mit der Zeit geht. Er schreibt Musik für Videospiele (Spore), er entwickelt iPhone-Apps (Bloom) und er hat mit dem Softwareprojekt 77 Million Paintings gezeigt, wie viel Spoantaneität, Individualität und Kreativität in einem simplen PC stecken kann.
Nun legt der Mann, der sich laut seinem eigenen MySpace-Profil als „Ambient Legend“ sieht, Small Craft On A Milk Sea vor, sein erstes Soloalbum seit fünf Jahren. Und auch darauf beweist er, dass er seine Nase nach wie vor nicht nur im Wind hat, sondern auch immer ein paar Längen weiter vorne als die Konkurrenz. Während Bryan Ferry, sein ehemaliger Kollege bei Roxy Music, jüngst mit Olympia gezeigt hat, wie gut es sich in seiner eigenen Zeitblase leben lässt, kennt Brian Eno nur eine Richtung: vorwärts.
Auf Small Craft On A Milk Sea arbeitet er intensiv mit Leo Abrahams und Jon Hopkins zusammen. „Der Großteil auf Small Craft ist improvisiert“, sagt Abrahams. Hopkins geht noch ein bisschen mehr ins Detail, um die ungewöhnliche Arbeitsweise des Trios deutlich zu machen: Brian Eno hätte willkürlich auf irgendwelche Akkorde an einer Tafel gezeigt, vorher wurde festgelegt, für wie viele Takte dieser Akkord erklingen soll. So entstand eine sehr mathematische Zufallsmusik, kalkuliert und geheimnisvoll.
Es gibt hier nichts, was man ernsthaft einen Song nennen könnte. Brian Eno selbst sieht A Small Craft On A Milk Sea als einen „spiegelverkehrten Stummfilm“: nur Ton, keine Bilder. Somit fühle man sich „als Zuhörer eingeladen, die Geschichten selbst in Gedanken auszumalen“. Das funktioniert tatsächlich. Allerdings bleibt A Small Craft On A Milk Sea ein etwas unscharfer Film mit offenem Ende und genug Zeit, zwischendurch nochmal neues Popcorn zu holen, ohne etwas Entscheidendes zu verpassen.
Mit Emerald And Lime und Complex Heaven wird ganz sachte und sphärisch begonnen, dann steigt die Spannung langsam an. Der Titeltrack setzt auf eine prägnante Pianofigur und nervösen Bass, beim Flint March herrscht dann plötzlich ein rasantes Jungle-Tempo. Horse bringt Gitarren dazu, 2 Forms Of Anger wird sogar fast Noise Rock.
Danach hat es sich mit Druck wieder erledigt. Bone Jump ist Science-Fiction-Musik mit Kraftwerk-Melodie, Paleosonic erinnert mit seiner irren Gitarrenarbeit an die elektronischen Versuche von Jeff Beck. Das letzte Viertel ist ein gespenstisches Hörspiel mit Transistor-Flirren und Kirchenglocken und komplett ohne Beats. Der Film, den ich dazu sehe, ist Trainspotting: Ewan McGregor versinkt im Teppich, halbtot und glückselig. Es ist eine tolle Szene. Aber leider zu oft dieselbe.
So klingen Computer, wenn sie sich gegen Gitarren wehren: 2 Forms Of Anger von Brian Eno:
httpv://www.youtube.com/watch?v=vZ5mVkipqZ4
2 Gedanken zu “Brian Eno – „Small Craft On A Milk Sea“”