Coldplay – „Coldplay Live 2012“

Künstler Coldplay

"Coldplay Live 2012" zeigt eine Band, die selbst mit allen Tricks des Stadionrock noch authentisch und leidenschaftlich wirkt.
„Coldplay Live 2012“ zeigt eine Band, die selbst mit allen Tricks des Stadionrock noch authentisch und leidenschaftlich wirkt.
DVD Coldplay Live 2012
Label Emi
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung

Drei Millionen Menschen haben Coldplay auf ihrer Mylo Xyloto-Welttournee gesehen. Die meisten von ihnen dürften mit einer sehr, sehr großen Portion Glück im Herzen nach Hause gegangen sein. Und auch die Band selbst hat die Konzertreise mehr als genossen. Auch wenn sich das für Engländer nicht gezieme, habe man diesmal trotzdem beschlossen, „to enjoy ourselves without feeling guilty“, erklärt Sänger Chris Martin auf dieser DVD die Herangehensweise der im Juni 2011 begonnenen Tour. Anderthalb Jahre später stellt er fest: „Die Tour zu Mylo Xyloto hat für uns als Band am meisten Spaß gemacht, (…) hauptsächlich wegen der unglaublichen Zuschauer, vor denen wir gespielt haben. Im Lauf der Jahre hat sich unser Publikum immer mehr zu einem festen Bestandteil der Konzerte entwickelt. Die Leute sind laut, unterschiedlich zwar, aber mit dem Herzen dabei und lassen die Songs viel besser klingen, als wir es alleine könnten.“

Natürlich kann man das als Anbiederung bewerten oder als professionelle Schmeichelei von einer der erfolgreichsten Bands der Welt. Aber wer Coldplay Live 2012 anschaut, kann nur zu dem Urteil kommen: Der Mann sagt die Wahrheit. Die vier Briten haben tolle Melodien, große Hits, und sie beherrschen längst all die etablierten Stadionrock-Spielchen von „Ohoho“-Chören über den Gruß an die Fans ganz hinten bis hin zu einem Konzertteil, der mitten im Publikum gespielt wird. Aber was ein Coldplay-Konzert so besonders macht, ist etwas anderes: Gemeinschaftsgefühl.

„When the lights go down, that’s 30.000 lives colliding for one moment. (…) It’s a wonderful feeling of togetherness and possibility”, umschreibt Chris Martin die Sekunden unmittelbar vor dem Start einer Show. Und alles, was danach folgt, dient nur dazu, dieses Gefühl am Leben zu erhalten. Wenn die Fans das „Yeah“ in In My Place aus vollem Herzen mitsingen, dann ist das zigtausendfach die Vertonung des schönsten Moments des Lebens – entweder erinnern sich die Fans daran oder sie erleben ihn gerade erst. Dasselbe gilt für die unerreichte Intensität der Zeile „For you I’ll bleed myself dry“ in Yellow, für das „Ohoho“ in Viva La Vida, für das Feuerwerk bei Fix You oder die ersten Klavierakkorde von The Scientist (einem von zwei Liedern im Bonusmaterial).

Der Großteil dieses Konzertfilms wurde im Stade de France in Paris aufgenommen, dazu kommen Sequenzen aus Madrid, Montreal, aus einem kleinen Club in Paris und vom Glastonbury-Festival. Auf der Bühne zeigen sich Coldplay unfassbar souverän für eine Band, die einst als kleine Indie-Kapelle beinahe am Touralltag zerbrochen wäre. Die 75.000 Fans im Stade de France haben sie in der Hand. Alles an dieser Show ist perfekt, und dennoch ist nichts klinisch. Coldplay schaffen es, ihre Fans nicht nur zu beeindrucken, sondern zu berühren.

Noch beeindruckender ist die Tatsache, dass der Augenschmaus hier nie reiner Bombast bleibt, sondern dazu dient, das Publikum über die Rolle des passiven Beobachters hinauszubringen. Die Fans sind Teil des Konzerts, genauso wichtig für die Show wie die Band selbst – das ist die Botschaft. Dazu tragen die Luftballons bei, deren Bahnen unsichtbare Bänder zwischen den Fans knüpfen. Vor allem aber die LED-Armbänder. Werden sie per Funksteuerung aktiviert, erstrahlt das ganze Stadion von gelben, grünen oder roten Lichtern. Das Publikum erkennt: Wir gehören dazu. Wir gehören zusammen.

Genau das war schon immer das Fundament des Coldplay-Sounds: Verbundenheit, Mitgefühl, ein Element der Hoffnung, das Versprechen, dass am Ende alles gut wird. Das stille Kopfschütteln über das unausrottbar Böse in der Welt wird bei ihnen vertont und umgewandelt in die Botschaft: Wir sind gut, wir sind viele, wir können etwas erreichen. Ein Mitglied der Band erklärt auf der DVD noch einmal die Idee des LED-Armbands: „Es geht um alle. Nicht nur um die Band, nicht nur um die verrückten Fans in der ersten Reihe, sondern um jeden Einzelnen, das ganze Stadion.“

Mit solchen Statements aus dem Off werden die Lieder auf Coldplay Live 2012 immer wieder unterbrochen, untermalt von stimmungsvollen Bildern, die hinter den Kulissen entstanden sind. Das ermöglicht spannende Einblicke in den Touralltag, hat aber noch einen cleveren Effekt: Niemals sieht man, wer da gerade genau spricht. Die Stimmen aus dem Off bilden so eine unzertrennliche Einheit, ebenso wie Band, Crew und Publikum es während der Konzerte sein sollen.

Ohnehin überrascht die Leidenschaft, die man den Musikern hier anmerkt. Coldplay wirken in keinem Moment einfach bloß wie vier Leute, die hier ihrem Beruf nachgehen wie an jedem Abend. Sie sind authentisch, pur und echt, selbst noch als Stadionrocker. Sie stecken ganz viel Liebe ins Detail (für Mylo Xyloto wurden eine eigene Schrift und eigene Kostüme entwickelt, ebenso wie handbemalte Instrumente, Mikrofone und Verstärker), sie schaffen es spielend, die leibhaftige Rihanna in eine Nebenrolle zu packen (sie hat einen Kurzauftritt bei Princess Of China) und sie halten auch die Musik lebendig. Major Minus beweist beispielsweise, dass Coldplay gelegentlich ganz weit weg sind vom leicht konsumierbarem Kitschpop, den man ihnen gerne unterstellt: Das Lied ist komplex, intensiv, bedrohlich. Der Klassiker Yellow beginnt live nur mit Klavier und Gitarrenfeedback. Dazu singt Chris Martin mit einer ungewohnt tiefen Stimme, als wollte er das demonstrieren, was wohl sonst nur eine Interpretation durch Johnny Cash für diesen Song hätte leisten können: Er zeigt, dass es keine Schnulze ist, sondern ein Liebeslied von ehrfurchtgebietender Schönheit.

In diesen knapp zwei Stunden stecken reichlich Gänsehautmomente. Man sieht Teenager-Fans, die mit weit ausgebreiteten Armen mitsingen, man sieht reifere Herrschaften mit leuchtenden Augen und natürlich knutschende Pärchen im längst schon heiratsfähigen Alter. Man kann nicht anders als feststellen: Coldplay haben die Herzen dieser Menschen erreicht wie vielleicht keine andere Band der vergangenen 15 Jahre.

Ganz am Ende der DVD wird Chris Martin aus dem Off noch einmal grundsätzlich, und was er sagt, kann man wohl mit einigem Recht als so etwas wie das Credo von Coldplay auffassen: Wir sind wie alle anderen, sagt er da. Wir mögen es einfach, genau wie unsere Fans, wenn man ein gutes Gefühl hat. Wir sind dankbar. Und wir haben unser Glück gefunden. In der Musik.

Der offizielle Trailer für die DVD:

httpv://www.youtube.com/watch?v=EB-NbV4JTjU

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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3 Gedanken zu “Coldplay – „Coldplay Live 2012“

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