Künstler | Cro | |
Album | Raop | |
Label | Chimperator | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
Wow. Es ist noch nicht allzu lange her, da war Cro im Hauptberuf noch Auszubildender zum Mediengestalter bei der „Stuttgarter Zeitung“. Dann machte er ein Video zu seinem Track Easy, mittlerweile kommt das Werk auf 22 Millionen Aufrufe bei YouTube. Als das Lied auch als offizielle Single veröffentlich wurde, kletterte es bis auf Platz 2 der deutschen Charts. So einen rasanten Aufstieg, auch noch fast komplett aus eigener Kraft, hat in Deutschland schon lange kein Newcomer mehr hingelegt.
Verwunderlich ist der Senkrechtstart des Mannes, den Jan Delay bereits als „die Zukunft des Deutschrap“ gepriesen hat, trotzdem nicht. Die Musik von Cro gefällt fast allen – und sie will sogar allen gefallen. Das ist durchaus ungewöhnlich für HipHop, der sonst eher streng darauf achtet, wer dazugehört und wer lieber draußen bleiben soll.
Über so etwas will sich Cro aber ganz offensichtlich nicht den Kopf zerbrechen. An seinem Debütalbum Raop hat er trotz des bombastischen Erfolgs von Easy in aller Ruhe im Keller seines Elternhauses gebastelt. Er macht darauf, was er will, und das macht in erster Linie gute Laune. Spiegel Online sieht darin den Gegenentwurf „zu den Gewaltphantasien und Gangsterposen aus Berlin, die den deutschen HipHop-Mainstream lange Zeit bestimmt haben“. Für diese These kann man durchaus Argumente finden. Er sei kein Pimp, macht Cro in King Of Raop deutlich, und verweigert sich damit der prototypischen Rapper-Rolle. „Geht es um Frauen, bin ich ’ne Niete“, gesteht er in Wie ich bin.
In Easy entschuldigt er sich sogar für eine frauenfeindliche Zeile und gibt zu, dass er sich nicht trauen würde, jemanden zu erschießen. Auch das sind erstaunliche Töne im Rap, der sonst gerne von Machismo und Gewalt geprägt ist. Der Refrain von Geile Welt ist so brav, dass man ihn sich gut auf dem Kirchentag vorstellen könnte. Und aus dem Funk-Feuerwerk Du könnte problemlos auch DJ Ötzi einen Hit machen. Cro gibt offen zu, was man bei Sido immer nur geahnt hatte: Sobald er die Maske absetzt, die er auf der Bühne trägt, ist er verletzlich, peinlich, faul oder traurig. Manchmal sogar ein Verlierer.
Cro deshalb aber für einen Vorreiter von Weichspül-Rap zu halten, ist zu kurz gedacht. Nur mit den Maßstäben des HipHop kommt man ihm nicht bei. Rap und Pop sind hier komplett verschmolzen – genau das macht Cro mit dem Kunstwort Raop deutlich, das als Titel für sein Debüt fungiert. „Es ist ein Album für jeden, der mit Rap aufgewachsen ist und jetzt vielleicht manchmal nostalgisch auf die alte Zeit zurückblickt, sich aber auch immer wieder über neue, freshe Sachen freut“, sagt Cro.
Dieser pragmatische Ansatz zieht sich von Anfang bis Ende durch dieses Debüt und hat großen Anteil daran, dass Raop ein so großer Spaß ist. Und wenn Cro dann doch einmal die Standards des HipHop bedient, dann wird deutlich: Das Genre ist für ihn ganz offensichtlich kein Glaubensbekenntnis, sondern eher ein Gedankengebäude, manchmal auch bloß eine Pose.
Mit seinem Intro setzt er in bester HipHop-Manier zu Beginn eine Duftmarke. Unübertroffen, unbeugsam, unersättlich – so positioniert er sich. Es geht um Party und Reichtum, in anderen Tracks dann auch um knallharten Wettbewerb, nicht ganz so harte Drogen und schicke Turnschuhe, wie man das eben kennt aus der Welt des Sprechgesangs. Schon in diesem Intro mach Cro aber auch deutlich: Er ist ein Mann, der keine Lust hat, sich Konventionen zu unterwerfen, sondern seine eigenen Regeln aufstellt. Der King Of Raop schafft sein eigenes Königreich.
Darin gibt es unfassbar tolle Beats, aber auch echten Gesang, echte Gitarren, ganz viel Detailversessenheit und eine für HipHop-Verhältnisse famose Klangvielfalt. Easy, das man durchaus als Update von Sie ist weg verstehen kann, ist ein gutes Beispiel dafür: Der Track ist extrem schick, und das Sample ist hier nicht bloß ein Gimmick, sondern der Anker für den ganzen Song. Wie ich bin ist ausgelassen, mit einem clownesken Rhythmus und etwas ungelenkem Gesang im Stile von The Streets. Die Gitarre im Backing-Track von Geile Welt erinnert an Eminems Cleanin’ Out My Closet, ein hüpfendes Klavier wird zum zentralen Element von Meine Zeit, ein Slap-Bass zieht sich markant durch Nie mehr. Das sehr schöne Einmal um die Welt hat die Ausgelassenheit von Outkasts Hey Ya!, das Riff von Wir waren hier scheint hingegen bei Iggy Pops The Passenger entlehnt zu sein.
Die Musik ist so kurzweilig, unterhaltsam und gut, dass es kaum ins Gewicht fällt, dass Cro als Texter allenfalls durchschnittlich ist (allein in Hamburg finden sich locker ein Dutzend Rapper, die bessere Reime haben). Im Intro gibt er das auch fast bereitwillig zu: „Ich schüttel’ alle meine Texte, jeden meiner Sätze locker aus dem Handgelenk / keiner von euch kann sich vorstellen was wohl wär’, hätt’ er sich angestrengt.“
In dieser Mentalität, in diesem womöglich vorschnellen Sichzufriedengeben, liegt dann aber doch ein Problem von Raop. Als Party-Platte funktioniert das Album blendend. Doch sieht man in Cro ein Sprachrohr der Jugend, dann muss man sich Gedanken machen. „Hauptsache, man nimmt es cool“ – das ist seine zentrale Aussage. Egal ob Nachsitzen, Beziehungsstress oder Liebeskummer: Cro nimmt in seinen Texten nichts davon wirklich ernst. „Man muss das Beste draus machen“, scheint eine wichtige Devise zu sein. Das bedeutet aber auch: Man akzeptiert die Zustände so, wie sie sind. Man arrangiert sich, statt zu rebellieren, oder man flieht in eine egozentrische „Scheiß auf alles“-Pose.
In der Tat zieht sich dieser Ansatz wie ein roter Faden durch Raop. Cro ist ein junger Mann auf Identitätssuche, und genau deshalb ist er eine so gut funktionierende Identifikationsfigur für junge Menschen. Aber über die Partnerschaft, die Clique oder maximal den Club reicht sein Horizont nie heraus. Das ist auch deshalb erstaunlich, weil Cros Vorbilder – von Freundeskreis bis zu den Absoluten Beginnern – immer auch die Gesellschaft, sogar die Politik im Blick hatten.
Nicht einmal den kleinsten gemeinsamen Nenner findet man hier, beispielsweise dass Nazis doof sind oder Umweltschutz wichtig. Das ist nur konsequent, wenn man unterstellt, dass Cro möglichst viele Leute mitnehmen möchte: Wer Stellung bezieht, stößt immer auch jemanden vor den Kopf. Es ist natürlich auch keine Pflicht: Musik muss nicht politisch sein, und HipHop schon gar nicht.
Bedenklich ist aber nicht nur, dass Cro all dies in seiner Musik ausblendet, sondern vielmehr, dass er offensichtlich jedem denkbaren Konflikt aus dem Weg geht. Eine Strategie dafür, wie man ein Problem löst, scheint er nicht zu haben – und da ist er dann durchaus in einer Reihe mit den Aggro-Rappern. Wo die prügeln oder prahlen, läuft Cro einfach weg. Immer wieder.
Für den Moment ist das nicht schlimm, denn da hat Cro allen Grund, sich nicht die Stimmung verderben zu lassen und seine Jugend zu feiern, und er hat auch gleich selbst den besten Soundtrack dafür gemacht. Als Lebensentwurf wird es aber nicht funktionieren.
Ein Traumurlaub? Oder ein Urlaubstraum? Das ist die Frage im Video zu Du:
httpv://www.youtube.com/watch?v=ZV4fONSDFUQ
6 Gedanken zu “Cro – „Raop“”