Künstler | Daedelus |
Album | Bespoke |
Label | Ninja Tune |
Erscheinungsjahr | 2011 |
Bewertung | *** |
Elektronische Musik ist unterlegen im Vergleich zu Rock aus vor allem einem Grund: Sie bietet keine Identifikationsmöglichkeit. Die blickdichten Helme von Daft Punk oder die Bühnenroboter von Kraftwerk sind nur zwei Beispiele dafür, dass es hier nicht um Persönlichkeiten geht, sondern um Oberfläche. Am besten ist elektronische Musik oft, wenn sie genau dieses Prinzip bis zum Äußersten treibt. Wenn die Oberfläche glänzt, schillert, leuchtet – in möglichst vielen Farben und Facetten.
So ist das auch bei Daedelus. „Everyone has an expectation. You subvert that expectation and it gets interesting“, schildert er sein Motto. Das fängt schon beim Namen an. Daedelus ist Alfred Darlington, und dieser Name klingt nicht umsonst wie eine Figur aus Austin Powers. Denn Alfred Darlington ist eigentlich Alfred Weisbert-Roberts, und erst dann ist man da angelangt, wo der echte Daedelus steckt. Der Tausendsassa aus Los Angeles, der sich gerne in Mode aus dem viktorianischen Zeitalter wandet, zieht beispielsweise bei The Long Lost die Strippen. Heute veröffentlicht er mit Bespoke sein zwölftes Album.
Auch mit seiner Musik macht Daedelus deutlich, dass er nichts von Erwartungshaltung, Konventionen oder dem Naheliegenden hält. Bespoke mixt unfassbar viele Stile, zerfällt dennoch nicht in ein beliebiges Sammelsurium und beweist vor allem immer wieder den Willen zur Weiterentwicklung, der im Hause Ninja Tune nun einmal Programm ist, und wie man ihn erwarten muss von einem Mann, der eines seiner weiteren Projekte „Adventure Time“ genannt hat.
Der Auftakt Tailor-Made (mit Gastsänger Miloh, der hier wie Jimmy Sommerville klingt) und später What Can You Do? (mit dem alten Kumpel Busdriver) sind House, verspielt und clever wie bei Hercules And Love Affair. Im Hintergrund von Penny Loafers, das vom Gesang Inara Georges (The Bird And The Bee) veredelt wird, locken die Sirenen, und der Beat hat ein geheimnisvolles Latin-Flair, der an Smoke Citys Underwater Love erinnert. Suit Yourself fährt plötzlich lupenreine Blaxpoitation-Sounds auf. Sew, Darn, Mend klingt mit seinen Shoegaze-Gitarren gar wie die pompöse Jam-Session, die Pink Floyd einst in Pompeji abhielten.
Es geht munter weiter im Genre-Hopping, ohne dass Bespoke dabei die Wärme oder der rote Faden verloren ginge: In One And Lonely versuchen ein himmlischer Harmonie-Gesang und die Stimme von Young Dad (a.k.a. Amir Yaghmai), einen völlig kaputten Beat zu besänftigen. Für French Cuffs hat Daedelus die Trübsal von Blurs 13 durch den Fleischwolf gedreht und mit einer guten Prise Bim Sherman gewürzt. In Tatters ist episch, luftig und mit einer Überdosis Hall versehen wie die Stücke von The XX. Slowercase D klingt, als sei die träge Eingängigkeit der Beta Band in die Zukunft geschickt worden – und auf dem Weg dahin seien ein paar Daten durcheinander gekommen.
Der Höhepunkt von Bespoke ist das sehr treffend betitelte Overwhelmed, das (abgesehen von einem Outro mit Beach-Boys-Sample) den Rausschmeißer macht. Ein tatsächlich überwältigender Beat ist hier am Werk, und das Ergebnis wirkt, als hätten die Chemical Brothers damals für Setting Sun nicht Noel Gallagher, sondern Damon Albarn engagiert (auch wenn die hier zu hörende Stimme in Wirklichkeit von Soul-Shootingstar Bilal kommt) – und gleich auch noch die Wucht von Galvanize dazu gepackt. Das kann Daedelus, trotz des ultimativen Defizits elektronischer Musik, also auch noch: rocken.
Sensation! Ein Macbook aus dem 19. Jahrhundert! Zumindest legt dieser Auftritt von Daedelus bei SXSW diesen Verdacht nahe:
httpv://www.youtube.com/watch?v=ZKbNXJ18AU4
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