Hingehört: Dag För Dag – „Boo“

Kein Schocker: "Boo" ist ein schönes Wort, meinen Dag För Dag.
Kein Schocker: „Boo“ ist ein schönes Wort, meinen Dag För Dag.
Künstler Dag För Dag
Album Boo
Label Haldern Pop
Erscheinungsjahr 2010
Bewertung **1/2

Vorgruppen und die Bands, für die man eigentlich gekommen ist, haben oft ein sehr seltsames Verhältnis. Manchmal wird der Hauptact zum Ersatzpapa, wie einst bei Alice Cooper, der dem mit ihm reisenden Dave Mustaine von Megadeath mal eben predigte, dass man auch ohne Alkohol leben kann. Manchmal erweisen sich die eigentlichen Stars des Abends als unerwartet charmant und großzügig wie Dave Grohl von den Foo Fighters, als er mit The Sounds auf Tour war. Manchmal sind die Vorgruppen einfach nur von der Plattenfirma geschickt worden, weil sie ungefähr zur selben Zeit auch ein Album auf dem selben Label veröffentlicht haben. Und manchmal ist die Vorgruppen die Band, die der Hauptact heimlich sein möchte.

So scheint es bei Dag för Dag zu sein. Das Duo ist gerade auf Tour mit den Shout Out Louds. Und die beiden schwedischen Bands scheinen wirklich ein enorm inniges Verhältnis zu haben. Nicht nur, dass Dag för Dag den Abend eröffnen, der dann von den Shout Out Louds beschlossen wird. Bebban Stenborg, Keyboarderin der Shout Out Louds, hat auch die Biografie von Dag För Dag auf deren Homepage geschrieben. Im Booklet zu Boo fallen Dag För Dag im wahrsten Sinne des Wortes auf die Knie vor den Shout Out Louds vor lauter Bewunderung und Dankbarkeit. Und Shout-Out-Louds-Bassist Ted Malmros ist Regisseur des Videos I Am The Assasin, das die neue Dag-För-Dag-EP Release begleitet, die man übrigens gerade kostenlos herunterladen kann.

Hört man sich Boo an, das Debütalbum von Dag För Dag, dann erstaunt diese eifrig gepflegte Geistesverwandtschaft doch zunächst. Vom Happy-Go-Lucky-Sound, den noch immer viele mit den Shout Out Louds assoziieren, ist hier keine Spur. Es gibt vieles, das beeindruckt, aber wenig, das begeistert oder gar so euphorisierend ist wie die besten Stücke der Shout Out Louds. Doch Boo ist eindeutig ein Album, das die Engländer einen „Grower“ nennen. Und zwar gleich in dreifacher Hinsicht.

Erstens entpuppt Boo bei mehrfachem Hören immer neue Dimensionen. Die ersten drei Durchläufe können noch voll und ganz unspektakulär klingen, doch dann hat man sich langsam hineingefunden in die Klangwelt von Jacob und Sarah Snavely, einem in den USA geborenen Zwillingspaar, das mittlerweile in Schweden lebt. Dag För Dag werden getragen von einer enormen Liebe zur Gitarre, die manchmal so einsam und verhallt klingen kann wie bei Cracker (Light On Your Feet), viel öfter aber so dröhnend, träge und verzerrt wie beim Black Rebel Motorcycle Club (wie beim feinen Rausschmeißer Ring Me, Elise).

Dazu kommt die Liebe zum Gesang. Sarah und Jacob wechseln sich am Mikrofon ab, aber vor allem, wenn sie in einem Lied beide zu hören sind, wird die erstaunliche Dynamik dieser Stimmen deutlich, die niemals etwas zurückhalten. Dazu kommt ein weiterer Reiz: Weil man weiß, dass Mann und Frau hier Bruder und Schwester sind, hat ihr Zusammenspiel überhaupt nichts mit Flirt oder Sex, Kampf oder Verbitterung zu tun. Es geht rein um den Gesang – und das kann extrem faszinierende Ergebnisse hervorbringen wie das ebenso schräge wie eingängige Silence As The Verb.

Zweitens ist Boo auch deshalb ein Grower, weil es zum Ende hin viel stärker wird. Das herrlich ruhige Come In Like A Knife, die Single Animal, irgendwo zwischen der Ausgelassenheit von Be Your Own Pet und der Durchgeknalltheit der B-52s oder The Leather Of Your Boots, das quasi Hardrock mit Elfengesang ist (also beinahe The Duke Spirit) – das sind weitere Highlights der Platte, alle im letzten Drittel.

Drittens wächst beim mehrfachen Hören von Boo auch die Erkenntnis, woher die gegenseitige Begeisterung von Dag För Dag und den Shout Out Louds kommt: Dag För Dag haben ebenfalls eine große Lust am urwüchsigen Musizieren mit allem, was durch und durch analog ist. Und die Shout Out Louds haben vor allem auf dem jüngsten Album Work angedeutet, dass  vergleichsweise Experimentelles wie Boxed Up In Pine mit einem gewagten Geigensolo oder Wouldn’t You, das getragen wird von Sarah Snavelys ätherischer Stimme und einer wunderhübschen Orgel, auch bei ihnen möglich ist. Das Verhältnis ist somit eigentlich ganz klar: Die Shout Out Louds wollen Shoegazer sein. Dag För Dag sind es schon.

Noch eine Verbindung: Das Video zur sehr gelungenen Single Animal hat Ted Malmros von den Shout Out Louds gedreht:

httpv://www.youtube.com/watch?v=MKM9uN4z_4A

Dag För Dag bei MySpace.

Ein Porträt von Dag För Dag gibt es auch auf news.de.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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2 Gedanken zu “Hingehört: Dag För Dag – „Boo“

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