Künstler | Debo Band |
Album | Debo Band |
Label | Sub Pop |
Erscheinungsjahr | 2012 |
Bewertung | *** |
Man stelle sich vor, eine beliebige Stadt – nennen wir sie Seattle – hätte zu einer beliebigen Zeit – sagen wir: 1988 bis 1994 – eine musikalische Blüte erlebt. Sie sei zum Epizentrum eines ganzes Genres geworden, zum Anziehungspunkt für Künstler, die sich hier treffen, austauschen und gegenseitig inspirieren. Sie hätte eine Menge gute Musik hervorgebracht, die dann aber komplett abhanden gekommen wäre.
Natürlich ist das nicht geschehen. Grunge war immer präsent und nicht zuletzt hat die fortwährende Ausstrahlung von Grunge dafür gesorgt, dass Sub Pop, das Haus- und Hof-Label des Genres mit Heimat in Seattle, nach wie vor existiert und floriert. Sogar so sehr, dass Sub Pop nun das Debütalbum der Debo Band herausbringen kann. Und das versammelt Musik mit genau dem oben beschriebenen Schicksal.
Die Rede ist von dem Sound, der etwa von 1968 bis 1974 die Musik im damals pulsierenden Nachtleben von Addis Abeba prägte. Die Musiker der Stadt verbanden in dieser Zeit traditionelle äthiopische Elemente mit Einflüssen aus den USA wie Jazz, Soul und Funk. Das machte durchaus Furore, geriet dann aber völlig in Vergessenheit, als Äthiopien ins politische Chaos abrutschte. Erst viele Jahrzehnte später brachte die Sampler-Serie Ethiopiques viele der Schätze aus dieser Zeit wieder ins Rampenlicht. Und nun nimmt sich auch die Debo Band dieser Aufgabe an.
Die 2006 gegründete Formation aus Boston liefert auf ihrem Debüt elf Stücke. Vier davon sind Eigenkompositionen, die anderen greifen Vorbilder aus der Ethiopiques-Ära wieder auf. Allerdings neu arrangiert und im Sinne unserer Zeit interpretiert. Man liefere „no covers, but reinventions“, betont Bandleader Danny Mekkonen, der äthiopische Wurzeln hat und meist am Saxofon zu hören ist. Der zweite Kopf der Debo Band ist Sänger Bruck Tesfaye, dazu kommen neun weitere Musiker.
Gemeinsam machen sie Weltmusik, die neben afrikanischen Gefilden manchmal auch den Balkan streift und gerne auch auf Rock- und Jazz-Elemente zurückgreift. Die Lieder auf Debo Band sind bei einer Durchschnittslänge von fünfeinhalb Minuten fast immer äußerst opulent instrumentiert und durchweg sehr ereignisreich.
Am Beginn steht das Instrumental Akale Wube mit Akkordeon und satten Bläsern, die dann in der Führungsarbeit von zwei Geigen abgelöst werden. Auch die Eigenkomposition And Lay verzichtet auf Text, bietet dafür aber einen Bass, der definitiv auch George Clinton viel Spaß gemacht hätte.
Die Stücke aus eigener Feder reihen sich auch ansonsten nahtlos an Traditionals oder äthiopische Klassiker. Der Bass trägt das Fundament von Not Just A Song, über dem sich vor allem das Saxofon austobt. Habesha ist ein nervöses Liebeslied, das ein bisschen Klezmer einflicht und zum Ende hin immer mehr Kraft gewinnt. Der Rausschmeißer DC Flower betört mit dem exotisch-mysteriösen Sound der Embiltas (große Bamboo-Flöten, die nur drei Töne hervorbringen können).
Zu den Höhepunkten zählt Asha Gedawo: Das Lied wird traditionell gerne auf Hochzeiten gespielt, auf den Gesang antworten manchmal die Stimmen des Chors, manchmal die Bläser. Mit seinem ausgelassenen Offbeat könnte das Stück auch von Gogol Bordello stammen – mit denen die Debo Band übrigens schon gemeinsam auf der Bühne stand.
Auch der Opener Ney Ney Weleba wirkt ungemein modern: Das Lied hat so etwas wie ein Riff, das komplex ist, wie das Incubus oder Audioslave gerne mögen, und das durchaus heavy genannt werden könnte, wenn es von einer E-Gitarre gespielt würde. Dabei wird der Song immer getragen vom einem unwiderstehlichen Beat, der alle Fans von Buraka Som Sistema glücklich machen dürfte, bis alles in einem fast orgiastischen Finale mündet.
Im großartig gesungenen Tenesh Kelbe Lay ergibt sich ein Mann voll und ganz der Liebe. Am Anfang klingt das wie ein Blaxploitation-Fundstück, am Ende wird es ein langer Jam. Ambassel ist ebenfalls ein tolles Liebeslied über einen Mann, der auf der Suche nach der Liebe rastlos umherwandert. Der Sound dazu ist getragen und doch aufgeregt – und vor allem auf beeindruckende Weise demütig.
Debo Band ist alles in allem eine sehr gekonnte Aktualisierung einer zu Unrecht vergessenen Weltmusik-Epoche, oft mitreißend und tanzbar, in anderen Fällen von rührender Wärme. Oder, wie es die New York Times zusammengefasst hat: „fierce, jagged, complex and galvanizing music“.
Not Just A Song – das stimmt bei dieser Performance auf jeden Fall:
httpv://www.youtube.com/watch?v=X-TLPWDKK7I