Künstler | Depeche Mode | |
Album | Delta Machine | |
Label | Columbia | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Bewertung |
Bei keiner anderen Band der Welt klaffen (exorbitanter) kommerzieller Erfolg und (kaum vorhandenes) musikalisches Talent so weit auseinander wie bei Depeche Mode. Mehr als 100 Millionen Tonträger haben Martin Gore, Dave Gahan und Andy Fletcher in ihrer Karriere verkauft. Ihre Musik klingt allerdings auch auf Delta Machine, dem 13. Studioalbum der Engländer, noch immer wie die von uninspirierten Amateuren.
Viele der Sounds, die auf Delta Machine dominieren, kriegt man nach ein paar Wochen üben mit dem Magix Music Maker hin. Die Reime haben in der Regel das Niveau von Viertklässler-Poesie. Und noch immer unterliegen Depeche Mode dem Irrglauben, es entstehe automatisch eine Melodie, wenn man denselben Ton nur oft genug hintereinander reiht, wie im Refrain der ersten Single Heaven.
Allerdings muss man auch festhalten: Um Können geht es nicht bei Depeche Mode, ging es noch nie. Es geht um Gefühl, um Atmosphäre. Um diese ganz bestimmte Stimmung zwischen Bedrängnis und Ausbruch, die auch auf Delta Machine wieder allgegenwärtig ist. Und man muss anerkennen: Es gibt wenige Musiker, die dieses Gefühl so gekonnt zum Ausdruck bringen wie Depeche Mode.
Genau darin liegt das Erfolgsgeheimnis des Trios. Die Fans reißen ihnen ihre Musik aus den Händen (Delta Machine hat in Deutschland natürlich bereits wieder die Spitze der Charts erreicht), weil es ihnen genauso geht, weil sie selbst eben diese Pein spüren, und weil diese Musik ihnen Trost spendet. „It seems so obvious to you / you’re feeling what I’m feeling to“, singt Dave Gahan in Secret To The End, einem von gleich fünf Songs, die er diesmal beigesteuert hat. Genau das ist der Trick.
Es geht um die Flucht in eine eigene Welt, in ein eigenes Wertesystem, um Isolation als Befreiung. Auch Chef-Songschreiber Martin Gore beherrscht dieses Thema, wie er gleich im folgenden Slow deutlich macht, einem Song, den er bereits zu Songs Of Faith And Devotion-Zeiten geschrieben hat. Dass die Texte auf Delta Machine von zwei verschiedenen Autoren kommen, mag man auch in anderen Fällen kaum glauben, so ähnlich sind sich die Themen und Metaphern. „Wir sprechen nie über Textinhalte, bevor wir anfangen. Die ergeben sich ganz von alleine“, stellt Gore allerdings klar. „Da wir als Band im Studio arbeiten, klangen Daves Songs schließlich sehr ähnlich und passten wie selbstverständlich zum Rest des Albums.“
Slow illustriert noch eine andere Kernkomponente von Delta Machine: Auch wenn es reichlich elektronischen Radau gibt, basiert der Track doch auf einem Blues-Riff. „Diesmal war ein starker Blues-Einfluss zu spüren, so ein ‚Delta-Blues-Ding‘, ein schleichende, schmierige und etwas schmutzige Atmosphäre“, bestätigt Gahan. „Ich möchte aber nicht behaupten, dass wir ein Blues-Album gemacht haben“, kontert Gore. „Es ist einfach unsere Version von Blues. Wir arbeiten an unserer Art von Blues schon seit langer Zeit. Wenn man zum Beispiel auf Violator zurückblickt, dann wird man merken, dass da einige Songs enthalten sind, die sehr bluesig sind, auf Songs Of Faith And Devotion und Ultra setzt sich das fort. Wir machen uns das jetzt mehr zu Eigen als früher und manifestieren es auch im Titel.“
Immer wieder übersetzt vor allem Gahan die Härte der Welt in Härte gegen sich selbst. Kampf, Dominanz, Versöhnung. Sex, Versuchung, Vereinigung. Religion, Sünde, Erlösung. Rausch, Reue, Runterkommen. Immer wieder muss er bestehen, leiden, sich durch ein Tal kämpfen, ohne Gewissheit auf einen guten Ausgang. Der Teufel ist passenderweise schon im Opener Welcome To My World präsent, der mit einem verwirrten Beat und Chemical-Brothers-Bass beginnt, aber unverkennbar Depeche Mode wird, sobald Dave Gahan die erste Zeile gesungen hat, spätestens nach dem mächtigen Refrain mit seiner Streicher-Armee. Angel ist danach kaputt und majestätisch zugleich, Gahan singt wie ein Drill-Instructor und ein Priester, mit ein- und derselben Stimme, manchmal sogar innerhalb ein- und desselben Tons.
Delta Machine hört man an, dass die Aufnahmen in Santa Barbara und New York (wieder unter der Regie von Produzent Ben Hillier, wie schon bei den letzten beiden Alben) sehr harmonisch abliefen. „Es war das erste Mal überhaupt, dass wir uns die Demos anhörten und allen die generelle Richtung sofort zusagte“, erinnert sich Gore. Gahan wollte nach der Tour Of The Universe sogar eigentlich pausieren, verfiel dann aber in einen kreativen Rausch: „Ich konnte die Songs gar nicht schnell genug fertig bekommen und musste mich in keinster Weise zwingen. Nachdem ich in meinem Kopf eine Melodie entworfen hatte, flossen die Worte hinein und ich nahm den Song schnell auf. Ich ließ ihn einfach durch mich hindurch fließen.” Mit Long Time Lie, einem von vier Bonus Tracks, die es auf der Deluxe Edition von Delta Machine gibt, haben die beiden sogar erstmals zusammen an einem Song gearbeitetet. Das Lied zeigt, wie viel Bands wie Hurts von Depeche Mode gelernt haben und bleibt erfreulich geerdet.
Heaven hat eine Atmosphäre, die an Condemnation erinnert, aber diesmal klingt das eher nach Darkroom als nach Gospelchor. „Heaven ist einer der Gründe, warum ich immer noch Musik mache“, schwärmt Gahan von dem Lied. „Von Zeit zu Zeit kommt ein Song daher – hoffentlich schreibe ich selbst einmal so einen – den ich einfach singen muss. Er fühlt sich an, als würde ich ein Paar Stiefel anziehen, die ich schon seit Jahren getragen habe. Es passt ganz einfach. Der Song ist der Dreh- und Angelpunkt des Albums.”
My Little Universe ist reduziert, gewagt und modern, Broken hingegen beweist, dass Depeche Mode nicht nur in der Lage sind, mit der Zeit zu gehen, sondern dass die Zeit auch mit ihnen gegangen ist: Das Lied könnte auch aus dem Jahr 1981 stammen, als die Band ihre ersten Singles veröffentlichte. The Child Inside wird spannend, intensiv und pathetisch. Soothe My Soul trägt das Klanggewand von Pesonal Jesus noch einmal auf, lässt aber ein bisschen Licht in die Bedrängnis.
Soft Touch/Raw Nerve klingt wie ein Rocksong aus der Zeit, in der E-Gitarren, echte Drums und Schweiß auf der Bühne ein für alle Mal verboten sein werden; am Ende drohen all diese Elemente zwar noch einmal aus dem Grab zu steigen, überlegen es sich dann aber doch anders. Alone, das vielleicht beste Lied dieser Platte, profitiert von seiner schlauen Perspektive zwischen Selbstanklage und dem bitteren Vorwurf an das Gegenüber, das auch seinen Teil zum Scheitern dieser Liebe, Freundschaft oder Familie beigetragen hat.
Am Ende gibt es im bedrohlichen Goodbye wieder ein Blues-Riff. „Was die Songs miteinander verbindet, ist ihr Ruf nach Hilfe“, meint Dave Gahan. „Das ist ja auch ein Element des Blues. Man jammert über sein Leid, doch durch die Musik wird man auf gewisse Art und Weise davon erlöst.“ Sag ich doch.
Depeche Mode sind im Himmel. Oder beim Echo:
httpv://www.youtube.com/watch?v=TlXHBu0k55Q