Künstler | Ellie Goulding |
Album | Halcyon |
Label | Polydor |
Erscheinungsjahr | 2012 |
Bewertung | ***1/2 |
So etwas ist wohl der Idealfall. Schon mit Lights deutete Ellie Goulding vor zwei Jahren an, dass sie in der Reihe der neuen britischen Ausnahmesängerinnen eine der vielversprechendsten sein könnte. Nicht nur, weil sich für ihr Nummer-1-Debüt auch prominente Fans begeistern konnten (Ellie Goulding hat auf der Hochzeit von William und Kate gesungen und für Barack Obama ein Konzert zu Weihnachten gegeben) oder weil Hits wie Starry Eyed einfach großen Spaß machten. Sondern vor allem, weil sie andeutete, dass in ihr ein ganz eigener Stil steckt, der selten geworden ist im Genre Pop.
Wenn man sich daran noch einmal erinnert, dann ist der gestern erschienene Nachfolger Halcyon tatsächlich die Erfüllung des Versprechens, das Ellie Goulding mit ihrem Debütalbum gegeben hatte. Der Sound ihres zweiten Albums knüpft bei Songs wie Under The Sheets oder Salt Skin an – den experimentellsten Momenten von Lights, und denen, die sich am stärksten vom üblichen Elektropop-Standard absetzten.
Das fällt vor allem deshalb auf, weil Halcyon noch zwei Bonustracks beigefügt sind, nämlich I Need Your Love (ihre Zusammenarbeit mit Calvin Harris) und die Singleversion von Lights, das es im vergangenen Jahr bis auf Platz 2 der US-Charts schaffte. Ersteres ist pulsierend und quietschlebendig, Letzteres ist so robust und beschwingt, dass es auch zu den Sugababes passen würde – und beide bilden damit einen denkbar großen Kontrast zu den zwölf regulären Tracks dieses Albums.
Alles klingt hier ambitioniert, ungewöhnlich, komplex. Trotzdem ist dies unverkennbar Popmusik. Der Opener Don’t Say A Word beginnt rätselhaft und verführerisch wie eine Fata Morgana. Das Lied nimmt mehrmals Anlauf hin zu einer kompakten, schlicht-eingängigen Form, doch auch das erweist sich nur als ein Köder: auf gewohnte Songstrukturen lässt sich Ellie Goulding hier einfach nicht ein. Selbst die Single Anything Could Happen bewahrt diesen Anspruch: Beat und Bass sind stoisch, die Eighties-Referenzen vom Feinsten und das Hitpotenzial ist unverkennbar. So etwas wie einen Refrain kann man hier aber kaum erkennen.
Wenn sie die Wahl hat, will Ellie Goulding zweifellos lieber die nächste Kate Bush sein als die nächste Madonna. Das tanzbare Only You arbeitet mit gewagten Effekten. Explosions ist zumindest im Geiste näher an der Herangehensweise von Klassik als an Pop, und im verlorenen Rausschmeißer Dead In The Water braucht es keinen Beat, sondern fast nur Streicher und Gesang, um für einen großen Moment zu sorgen.
Unverkennbar hat Ellie Goulding erkannt, was ihre große Stärke ist, und alles auf diese Karte gesetzt: ihre Stimme. In My Blood klingt sie wie drei verschiedene Sängerinnen, sanft und rauchig in der Strophe, hell und klar im Break, reif und dominant im Refrain. In höchste Höhen schraubt sich der Gesang in Hanging On. Wie Cerys Matthews klingt die Stimme im hymnischen Joy, dessen famoser Refrain von betörenden Streichern gekrönt wird.
Fast noch auffälliger als diese Wandlungsfähigkeit ist auf Halcyon aber der düstere Unterton in den Texten. Ellie Gouldings Beziehung zu Dubstep-Überflieger Skrillex scheint von allerlei On-Off geprägt zu sein. In My Blood kann auch ein Aderlass ihre Zweifel an der Liebe nicht austreiben. Only You klingt wie die Geister, die einen verunsicherten Liebhaber heimsuchen können. Im mitreißenden, beinahe wuchtigen Figure 8 vergeht die Sängerin vor Sehnsucht. Kraftvoll und zugleich verzweifelt klingt sie in Atlantis, dessen Refrain mindestens so pompös ist wie die plakativsten Momente von Coldplay.
Auch dieser Widerspruch zwischen Form und Inhalt lässt sich auf Halcyon immer wieder beobachten, verleiht dem Album zusätzliche Spannung und muss letztlich wohl als Beweis dessen gelten, was nun niemand mehr abstreiten kann: Ellie Goulding ist ein ganz besonderes Talent, ein erstaunlicher Glücksfall für den Pop.
Noch mehr Stimme: Ellie Goulding singt Anything Could Happen akustisch:
httpv://www.youtube.com/watch?v=dmONb7JfsUc