Emeli Sandé – „Our Version Of Events“

Künstler Emeli Sandé

Emeli Sandé ist gleich auf ihrem Debüt "Our Version Of Events" modern, selbstbewusst und zeitlos.
Emeli Sandé ist gleich auf ihrem Debüt „Our Version Of Events“ modern, selbstbewusst und zeitlos.
Album Our Version Of Events
Label Emi
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung

«Emeli Sandé ist eine Entdeckung.» Mit einem Satz wie diesem fangen viele Lobeshymnen an, wenn eine Sängerin ihre erste Platte veröffentlicht. Aber im Falle der 24-Jährigen ist das gleich in zweifacher Hinsicht überraschend.

Zum einen macht Emeli Sandé ganz klassische Popmusik, die mal ein bisschen in Richtung Soul, mal ein wenig in Richtung HipHop auspendelt. Das ist ein Genre, das in den vergangenen Jahren nicht gerade dünn besetzt war. Rihanna, Beyoncé oder Alicia Keys sind da nur die Speerspitzen, dahinter tummeln sich Legionen von halbwegs begabten, mehr oder weniger kreativen Sängerinnen. Aus diesem Überangebot herauszustechen als eine Künstlerin, die ihre Hörer wirklich gefangen nimmt, ist eine echte Leistung. Emeli Sandé ist diese Künstlerin.

Zum anderen ist es durchaus erstaunlich, dass sie erst jetzt mit Our Version Of Events richtig ins Rampenlicht tritt, das in England bereits Platz 1 der Charts erreicht hat. Denn die junge Dame, die aus Aberdeen stammt, hat schon lange vor ihrem gerade erschienenen Debüt aufhorchen lassen. Sie hat Lieder für Leona Lewis, Susan Boyle oder Cheryl Cole geschrieben und war als Gastsängerin auf Hits von Professor Green (die gemeinsame Nummer-1-Single Read All About It gibt es nun auf ihrer CD noch einmal als Bonustrack in einer herrlichen Piano-Version), Tinie Tempah oder Chipmunk zu hören.

Auf prominente Unterstützung verzichtet sie nun aber bis auf eine Ausnahme. Our Version Of Events ist ganz und gar ihr Werk.

Schon der Beginn könnte kaum selbstbewusster sein: Heaven macht da weiter, wo einst Massive Attack mit Unfinished Sympathy aufgehört und immerhin eine neue Epoche der britischen Clubmusik eingeleitet haben. Der TripHop-Beat ist fast identisch, die Streicher sind himmlisch und dazu kommt der Gesang von Emeli Sandé, der schon in der Strophe viel Druck hat und dann im Refrain noch mehr Leidenschaft bekommt. Je länger dieses Lied dauert, desto dringlicher klingt es.

Auch im hymnischen Refrain von My Kind Of Love schafft es die ehemalige Medizinstudentin, zugleich verzweifelt und doch stolz zu klingen. Sie glänzt in Daddy (einer Zusammenarbeit mit Naughty Boy), wo sie den ganzen Pop-Baukasten auspackt und trotzdem nicht eine Sekunde lang kalkuliert klingt, ebenso wie im zerbrechlichen River, wo sie fast nur von einem Klavier begleitet wird.

Ganz viel Klasse und Eleganz steckt in diesen Songs, und man muss sich nicht wundern, wenn Emeli Sandé ihre Vorbilder aufzählt: Nina Simone, Joni Mitchell, Roberta Flack und Lauryn Hill gehören dazu. Auch Mariah Carey muss man nennen, zu der sie etwa in Mountains eine große stimmliche Verwandtschaft zeigt. Adele (das ist übrigens der eigentliche Vorname von Emeli Sandé, den sie aber seit dem Erfolg der gleichnamigen Kollegin aus ihrem Künstlernamen gestrichen hat) klingt gelegentlich an. Und immer wieder muss man auch an die Sugababes denken (für deren ursprüngliche Mitglieder Emeli Sandé übrigens gerade ein paar Songs schreibt).

Ihre größte Stärke zeigen Lieder wie Maybe: Das ist der Stoff, aus dem die Pop-Träume von Radiomachern sind, und man möchte wetten, dass sich in den kommenden Jahren auch das eine oder andere Casting-Möchtegern-Sternchen an diesem Lied versuchen wird. Aber niemand könnte diese Zeilen mit so viel Souveränität und Würde in der Stimme singen.

Sandé ist eine echte Musikerin (schon mit elf Jahren konnte sie Klavier spielen), und sie ist auch kein Teenager mehr. Das hat den unwiderstehlichen Effekt, dass ihre Songs niemals wie Fließbandware klingen, die aus einem anonymen Studio stammt und für die dann bloß noch eine hübsche Stimme mit einem hübschen Gesicht gesucht wird. Diese Lieder sind gelebt.

Das famose Suitcase ist so ein Beispiel, ein Lied über den Moment, wenn schon alles zu spät ist und man erst dadurch merkt, welcher Verlust gerade droht. Auch Breaking The Law fällt in diese Kategorie, das mit einigem Recht als erste Gangsta-Ballade der Welt gelten kann. Welche Gesetze sie alle brechen würde, um ihren Liebsten glücklich zu machen, zählt Emeli Sandé darin auf.

Ganz oft kommen ihre intelligenten Texte aus einem Moment der Krise heraus, aus einem Gefühl des Niedergangs oder der Angst, ganz kurz vor dem Abgrund zu stehen. Auch das macht Our Version Of Events zu einem meisterhaften, hoch aktuellen Album.

Emeli Sandé macht Coldplays Every Teardrop Is A Waterfall zu Kammermusik:

httpv://www.youtube.com/watch?v=4J6IM0OJDtM

Emeli Sandé bei MySpace.

Diese Rezension gibt es auch auf news.de.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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4 Gedanken zu “Emeli Sandé – „Our Version Of Events“

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