Künstler | Fleet Foxes |
Album | Helplessness Blues |
Label | Bella Union |
Erscheinungsjahr | 2011 |
Bewertung | ***1/2 |
Da war doch was. Männer aus Seattle? Karohemden und Gitarren? Eine große Liebe zur Musikgeschichte und ein anscheinend etwas weniger ausgeprägtes Interesse an Körperhygiene? Ein Killeralbum, das den Nerv der Zeit trifft und unzählige Trittbrettfahrer auf den Plan ruft?
Genau. Wie Nirvana vor 20 Jahren haben auch Fleet Foxes die Musiklandschaft auf den Kopf gestellt. Sie wurden zu musikalischen Aushängeschildern ihrer Stadt und zur Speerspitze einer Bewegung. Ihr Debütalbum aus dem Jahr 2008 wurde allerorten seziert, gefeiert, nachgeahmt.
Fleet Foxes wurde „mit Sofortwirkung zum Klassiker der populären Musik erhoben, der Sänger und Songwriter zum ambitioniertesten Vertreter seiner Zunft erklärt“, hat die Zeit gerade treffend festgestellt und auch versucht, einen Grund für die Begeisterung zu finden. „Die beardos, bärtige junge Männer mit nicht ganz marktüblichen Eigenschaften, schienen Hillbilly und Hipster in einer aufregend neuen Mixtur miteinander zu versöhnen.“
Nun legt das Quintett nach. Übermorgen erscheint der zweite Longplayer Helplessness Blues. Die Arbeit daran begann ausgerechnet in jenem Gebäude, in dem Nirvana einst ihr Debüt Bleach aufgenommen hatten. Aber natürlich haben Fleet Foxes ihren Sound nicht plötzlich in Richtung Punk- und Hardrock gewandelt. Neil Young wird auch auf Helplessness Blues hörbar geschätzt – aber in seiner Ausprägung als Akustik-Barde, nicht als Riffmonster vor riesigen Verstärkertürmen.
Trotzdem hat Robin Pecknold, der Kopf der Fleet Foxes, für Helplessness Blues eine erstaunliche Wandlung in seinem Arbeitsprozess durchlaufen. Anfang 2010 fragte Kollegin Joanna Newsom an, ob er nicht das Vorprogramm für ihre anstehende Tour bestreiten wolle. Pecknold sagte zu und schrieb flugs ein paar Lieder, die sich besonders gut dafür eigneten, alleine mit Gitarre auf einer Bühne gesungen zu werden. “Ich habe besonders auf klare Texte und eine starke Melodie Wert gelegt. Das war für mich ein sehr fruchtbarer Perspektivwechsel”, erzählt Pecknold, der bis dahin auch mit dem Gedanken gespielt hatte, das zweite Fleet-Foxes-Album etwas abstrakter und experimenteller werden zu lassen.
Hört man Helplessness Blues, ist man durchaus dankbar für dieses Umdenken. „Ich würde sagen: Es ist eine Synthese aus Folkrock, traditionellem Folk und psychedelischem Pop, mit einem Schwerpunkt auf Gesangsharmonien”, umschreibt Pecknold den Sound des neuen Albums – alles ist also weitgehend in den Gleisen geblieben, die Fleet Foxes vor drei Jahren mitten in die Herzen der Kritiker und Fans geführt haben.
Das klingt manchmal wie ein Überbleibsel aus Brian Wilsons legendären Smile-Sessions (Montezuma), lässt all die Schönheit von Crosby, Stills & Nash oder Simon & Garfunkel erstrahlen (Sim Sala Bim) oder wandelt auf den Spuren der Byrds (The Plains / Bitter Dancer). Dazu kommen in den besten Momenten eine textlicher Scharfsinn, der an Bob Dylan erinnert und eine Opulenz, die auch Tim Buckley kaum hätte übertreffen können. Lorelai variiert clever die Melodie von Norwegian Wood. Die Wut, die in The Shrine / An Argument schlummert, klingt gerade deshalb so bedrohlich, weil sie sich gekonnt im Wohlklang versteckt.
All das ist wunderhübsch, wirft aber auch die Frage auf: Was bringt eine Band dazu, einen 40 bis 45 Jahre alten Sound wieder zum Leben zu erwecken? Und was trägt dazu bei, dass dieser Sound plötzlich bei einem breiten Publikum wieder verfängt? Auf der Suche nach der Antwort kann man durchaus ein paar historische Parallelen ausmachen: Eine junge Generation, die spürt, dass sie etwas zählt, weil sie etwas bewegen kann oder muss – das galt Mitte der 1960er, und es trifft auch auf die USA in Zeiten von Obama zu. Zudem wird die Zuversicht damals wie heute getrübt. Das Attentat auf Kennedy oder der Vietnamkrieg lassen sich in dieser Gleichung durchaus durch Klimawandel oder Terror-Wahn ersetzen.
Die Stärke von Pecknold ist es, diese Ambivalenz aufzugreifen, ohne sie explizit zu machen. Fleet Foxes sind Zweifler und Grübler, aber das Politische daran wird, um im Jargon der Zeit zu bleiben, aus der das Quintett gefallen ist, auch auf Helplessness Blues ins Private runtergebrochen.
„One of the prevailing themes of the album is the struggle between who you are and who you want to be or who you want to end up being, and how sometimes you are the only thing getting in the way of that”, erklärt Pecknold den Albumtitel – auch darin schwingt das Wissen um die eigenen Möglichkeiten und die Angst vor dem eigenen Scheitern mit. Gier, Egoismus, Undankbar- und Oberflächlichkeit – all das soll hier überwunden werden.
Wie sehr dieses Credo auch gesellschaftlich verstanden kann, zeigt Bedouin Dress am besten. „If to borrow is to take and not return / I have borrowed all my lonesome life“, beginnt das Lied. Das ist eine rührend katholische Selbstanklage, es könnte aber auch der Beginn eines Nachrufs auf die Lehman Brothers sein.
So geht es weiter. „Oh how could I dream of such a selfless and true love?“, will Pecknold gleich in einer der ersten Zeilen des Albums wissen. „I should have known, one day you would come / all of us walk so blind in the sun“, reimt er später. Im Titelsong stehen Zeilen von Dylan’scher Klarheit: „I was raised up believing / I was somehow unique / like a snowflake, distinct among snowflakes, unique in each way you’d conceive / and now after some thinking / I’d say I’d rather be / a functioning cog in some great machinery serving something beyond me.“ Kurz vor Ende, im reduzierten Blue Spotted Tail, wird es dann schließlich ganz grundsätzlich: „Why is life made only for to end / Why do I do all this waiting then?“ Auch da ist er ominpräsent, der Traum, den Fleet Foxes träumen, und mit ihnen so viele Jünger: die Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unglücklichkeit.
Der Sicherheitsabstand von Jols Holland hat sicher nichts mit der Körperhygiene von Fleet Foxes zu tun: Bedouin Dress, live:
httpv://www.youtube.com/watch?v=BrzVegqeBNE
Eine kürzere Version dieser Rezension mit dem offiziellen Video zu Grown Ocean gibt es bei news.de.