Künstler | Ford & Lopatin |
Album | Channel Pressure |
Label | Mexican Summer |
Erscheinungsjahr | 2011 |
Bewertung | ** |
Joel Ford und Daniel Lopatin lernten sich in der sechsten Klasse kennen. Sie träumten sofort davon, gemeinsam in einer Fusion-Jazz-Band zu spielen. Aber mangels Instrumenten und musikalischer Vorbildung mussten sie vorerst damit Vorlieb nehmen, Covers für imaginäre Alben ihrer Projekte zu malen.
Nun liegt tatsächlich ein Album der beiden vor. Das Cover ist nicht gemalt, sondern zeigt eine Szene, die wie eine Mischung aus Ferris macht blau, Zurück in die Zukunft und Bill & Teds verrückte Reise durch die Zeit aussieht. Und die Musik hat mit Fusion-Jazz auch nicht mehr viel zu tun.
Trotzdem spielt die Zeit, in der sich Ford & Lopatin kennen lernten, eine ganz zentrale Rolle auf ihrem Debütalbum Channel Pressure. “The record is very much about our teenage years,” sagt Daniel Lopatin. Und dann, nach diesem harmlosen Satz, spricht er ein paar höchst gefährliche Worte: “It’s sort of an imagined rock opera.“ Man mag jetzt „Hilfe!“ schreien, wenn man die Begriffe „Fusion Jazz“ und „Rockoper“ innerhalb von zwei Absätzen liest. Aber die Idee von Channel Pressure hat durchaus ihren Reiz.
Joel Ford erklärt die Hintergründe für das Konzeptalbum: Es geht um einen Teenager, der von gemeinen Robotern bedroht wird, und um einen Supercomputer, der die Musikindustrie regiert. “The main character is a kid named Joey Rogers,” erklärt Ford, “he’s a teenager who sleeps with his TV on and starts getting subliminal messages telling him to rob a music equipment chain store. The story reflects on our own anxiety over music as teenagers. The confusion surrounding music when you’re that age – the feeling of going to Guitar Center and being overwhelmed by the gigantic Aerosmith poster glaring down at you.” Ohne diese Geschichte als Rahmen hätten Ford & Lopatin (die sich früher „Games“ genannt haben) das Album womöglich nie beenden können, macht Daniel Lopatin deutlich: “It helped direct us in a way.”
Das Ergebnis ist nun, und da schließt sich der Kreis zu den kindlichen Fantasien von Ford & Lopatin, durchaus eine musikalische Entsprechung der Plattenhülle. Es gibt viele Computersounds, reichlich Ästhetik aus den Achtzigern. Und ein unsagbares Durcheinander.
Das ist teilweise mit dem Werdegang der einstigen Sechstklässler zu erklären. Nach der Schule führten sie die Wege hinaus aus Wayland, Massachusetts. Daniel ging nach Boston und machte Musik mit Oneohtrix Point Never. Joel zog es nach New York, wo er Tigercity gründete. Übers Internet fanden sie dann wieder zusammen, zunächst musikalisch, dann auch persönlich. “It was sort of a puzzle,” erinnert sich Daniel Lopatin, “I’d send one track and Joel would add to it and send it back. It went back and forth like that for a long time.” Seit 2010 wohnen sie zusammen in Brooklyn, und damit kam das Projekt richtig in Schwung.
Das beste Beispiel für die Arbeitsweise von Ford & Lopatin ist der Track, der nach dem Helden ihrer Mini-Oper benannt ist: Joey Rogers arbeitet mit einem ekelhaften Gitarrensolo, fiesen Scratches und einer genmanipulierten Surf-Gitarre. Trotzdem wird das Stück enorm einnehmend, durch einen simplen Beat, eine erstaunliche Leichtigkeit, die das ganze Album auszeichnet, und eine Kopfstimme, die man fast betörend nennen muss.
Diese Methode ist hier Prinzip: Alles wird zusammengewürfelt, alles ist erlaubt, und das Ergebnis ist dann niemals stilsicher, aber oft ein Abenteuer. In Emergency Room gesellt sich ein künstlicher Slap-Bass zu einer wirren E-Gitarre und einer zuckersüßen Stimme und kurz meint man, Spandau Ballet seien über Depeche Mode hergefallen. Too Much MIDI Please Forgive Me hat die Bassdrum aus Blue Monday ausgebaut, ganz viele Sounds darüber geschüttet und ist am Ende so etwas wie Duran Duran auf noch schlimmeren Drogen. World Of Regret wird eine nette Beinahe-Ballade im Stile von OMD.
Das Problem an Channel Pressure ist dabei gar nicht so sehr, dass man die Achtziger schon ziemlich mögen muss, um diese Musik gut finden zu können. Es ist viel eher die Richtungslosigkeit, die sich hier trotz der Rahmenhandlung rund um Joey Rogers breit macht. „So much of it was improvising, working on ideas and recording them immediately”, erinnert sich Joel Ford an die Arbeit im Studio, und das hört man Channel Pressure – im negativen Sinne – immer wieder an. Vieles ist bloß Geklimper, anderes wahllos zusammengeführt, manches auch schlicht unerträglich wie The Voices, das mit seinem schlimmen Stimm-Effekt schreckliche Erinnerungen an Owl City weckt.
Einfach irgendetwas wild zusammenzuwerfen, macht eben noch keine Kunst. Das gilt für Zwölfjährige beim Malen von Plattencovers. Und es gilt auch, wenn man sich 20 Jahre später ganz toll mit analogen Synthesizern auskennt.
Software Music heißt das Label, das Ford & Lopatin gegründet haben. Und so sieht dann auch das Video zu World Of Regret aus:
httpv://www.youtube.com/watch?v=x5aWfkm-h6A