Hingehört: Gleis 8 – „Bleibt das immer so“

Zwei Teile Hamburg und zwei Teile Berlin bilden Gleis 8.
Zwei Teile Hamburg und zwei Teile Berlin bilden Gleis 8.
Künstler Gleis 8
Album Bleibt das immer so
Label Island
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

Es war eine ziemlich freundschaftliche Trennung, die nach 20 Jahren das Ende von Rosenstolz besiegelte. Nun hat Sängerin AnNa R. mit Gleis 8 eine neue Band und mit dem Album Bleibt das immer so eine neue Platte am Start.

Es sei nun der schönste Moment erreicht, „einander Raum zu geben“, hatten Rosenstolz damals als Grund dafür angegeben, die Band auf Eis zu legen. Wenn man unbedingt will, kann man da durchaus interne Spannungen herauslesen. Und wenn man es darauf anlegt, dann finden sich auch auf Bleibt das immer so ein paar Hinweise auf diese These.

Eine Sekunde zum Beispiel. Das Lied handelt von der Erkenntnis, dass es vorbei ist, die vor der Tatsache kommt, dass es vorbei ist, aber nach dem Zeitpunkt, an dem man noch hätte verhindern können, dass es vorbei ist. Das ist ein wunderbares Thema für ein Liebeslied, aber natürlich kann man dabei auch an die Dynamik innerhalb einer Pop-Duo-Beziehung denken.

Alles ohne dich weist in eine ähnliche Richtung, mit dem Hinweis, dass das Ende einer Beziehung eine Befreiung sein kann, auch wenn dennoch Elemente von Reue und Wehmut dabei sind. Liebe ohne Gewähr ist ebenfalls ein Lied über die Emanzipation von einer Zweisamkeit, die einmal alles im Leben bedeutet hat. Und nicht zuletzt betont AnNa R., wie wichtig ihr die Eigenständigkeit nach Rosenstolz ist: „Auch wenn es 20 Jahre gut geklappt hat mit uns, möchte ich als Sängerin nun auch meine eigenen Lieder schreiben, meine eigenen Gedanken loswerden.“

Sie stellt aber auch klar: Gleis 8 ist kein Soloprojekt, sondern ein Berlin-Hamburger Gemeinschaftswerk. Lorenz Allacher, der schon als Saxophonist bei den Rosenstolz-Tourneen im Einsatz war, Timo Dorsch und Manne Uhlig komplettieren die Band. Die beiden Letzteren bilden die norddeutsche Hälfte von Gleis 8. „Für zwei von uns sind die gemeinsamen Proben, die mal in Hamburg und mal in Berlin stattfinden, dann jeweils ein wenig wie Urlaub“, sagt Manne Uhlig zur Arbeitsweise des Quartetts. Dieses Pendlerdasein hat übrigens auch den Bandnamen ergeben: Am Berliner Hauptbahnhof fahren die Züge nach Hamburg stets von Gleis 8 ab.

Die Freude am Miteinander hört man Bleibt das immer so eindeutig an. Das Album hat einen sehr einheitlichen, stimmigen Sound mit hohem Wiedererkennungswert (wozu natürlich in erster Linie der Gesang beiträgt). Ändern, der Auftaktsong, bietet erwachsenen Pop, wie er beispielsweise auch zu Take That passen würde, und handelt von der Sehnsucht nach Ankommen, einem Ziel und Zuhause. „Lass uns so bleiben / aber nicht so, wie wir sind“, lautet die dazu gehörige Aufforderung.

Die Bandmitglieder tauschen gerne einmal die Instrumente („Es ist spannend, sich selbst neu zu erfinden. Auch die Strukturen untereinander, das ist wie mit einer ersten großen Liebe, die sich noch finden will“, sagt AnNa R.) und sind spürbar um kreative, interessante Ansätze bemüht. Dem Titelsong hört man das an (auch wenn er nicht ganz rund klingt), auch Zeit ganz am Ende der Platte, das mit einem Fender Rhodes Piano beginnt und dann viel emotionale Kraft entwickelt, um in einem mächtigen Gitarrensound zu enden.

Überhaupt ist der Wille, modern zu klingen (das gelingt nicht immer, aber zumindest das Attribut „zeitgemäß“ ist für jedes der zwölf Lieder angemessen) und gerne auch ein bisschen zu rocken, sehr spürbar. Letzteres funktioniert gut im tanzbaren Chance, mit beeindruckendem Bass und Beat und einer spannenden Momentaufnahme von den Möglichkeiten der Nacht, des Flirts und der Flüchtigkeit. Es geht allerdings völlig in die Hose im pseudo-aggressiven Teufel, das wie eine unselige Mischung aus spätem Matthias Reim und frühen Tic Tac Toe klingt und sich krampfhaft seine eigene Jugendlichkeit beweisen will.

Auch Hier ist ein Schuss in den Ofen: Es handelt von einem Spätpubertierenden, der offensichtlich nicht in der Lage ist, zu erkennen, was (und wer) wirklich wichtig ist im Leben, wird aber peinlich und dumm. Die Single Wer ich bin ist nicht viel besser: „Weißt du, wer ich bin? / Wer ich wirklich bin?“, will AnNa R. da wissen, und hinter dieser Frage steht natürlich die Tatsache, dass man sich selbst schon nicht recht über den Weg traut, und das anderen dann umso weniger abkaufen kann. Die dick aufgetragenen Streicher und das protzige Schlagzeug sind aber ein bisschen arg pompös für eine so plumpe Botschaft.

Deutlich besser sind Gleis 8, wenn sie auf Erfahrung setzen, nicht nur im Hinblick auf die Musik, sondern auch bei den Themen. Geh nicht ist ein Beleg dafür, das Kämpfen als Voraussetzung für die Möglichkeit von Hoffen einfordert. Auch das sehr schöne Ich lieb dich nicht, fast nur mit Klavier, Cello und ein bisschen elektronischem Hintergrundrauschen, fällt in diese Kategorie. „Wenn das Verliebtsein an der Liebe zerbricht / Ist es schwer zu sagen: Ich liebe dich nicht“, lautet die zentrale Zeile. Auch dieses Lied spielt also an einem Wendepunkt. Es war schön, aber jetzt geht es nicht weiter – so heißt die Botschaft. Das ist vielleicht kein Seitenhieb auf Rosenstolz. Aber immerhin ein schöner Moment in einem soliden Album.

Ein paar Ausschnitte aus Bleibt das immer so:

httpv://www.youtube.com/watch?v=Kp59MtGTlUs

Homepage von Gleis 8.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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