Künstler | Gorillaz | |
Album | The Fall | |
Label | EMI | |
Erscheinungsjahr | 2011 | |
Bewertung |
Können Zeichnungen eine Seele haben? Ein Herz? Mehr noch: ein gebrochenes Herz?
Man muss im Falle der Gorillaz davon ausgehen. Das Cartoon-Quartett kann schließlich auch sonst Einiges, was man Zeichnungen nicht unbedingt zutraut. Beispielsweise im Guinness Buch der Rekorde stehen als erfolgreichster virtueller Act des Planeten. Beispielsweise sechs Millionen Exemplare von seinem Debütalbum verkaufen. Beispielsweise ein holographisches Duett mit Madonna bei den Grammys singen. Oder, wie vor drei Jahren, zur populärsten Band auf MySpace gekrönt wurden, obwohl sie im Jahr 2008 gar nichts Neues veröffentlicht hatten.
Nun aber, bei ihrem vierten Album, sind Sänger 2D, Bassist Murdoc Niccals, Gitarristin Noodle und Drummer Russel Hobbs definitiv in dem Land angekommen, das bei Menschen als „der Blues“ bezeichnet wird. The Fall ist das Dokument einer Nordamerika-Tour, und es könnte kaum schlechter gelaunt sein.
Schon der Opener Phoner To Arizona klingt wie die letzten Zuckungen des Crazy Frog (aber nicht halb so amüsant wie diese Vorstellung), wenn der eine Odyssee durch die Wüste hinter sich hätte und kurz vorm Austrocknen stünde. Wenn Damon Albarn, pardon: 2-D, dann auch singt, wird es noch wehmütiger. In Revolving Doors trifft ein denkbar filigranes Gitarren-Picking auf denkbar plumpe Elektro-Sounds, und Albarn klingt dabei so untröstlich, als sei gerade seine Mutter (oder eben: sein Motherboard) gestorben.
Shy-Town könnte ein Stück von Blurs Liebeskummer-Meisterwerk 13 sein. Bobby In Phoenix (mit Bobby Womack, der auch schon beim Vorgänger Plastic Beach die Gorillaz unterstützte) ist so emotional und getroffen wie Marvin Gaye in seiner What’s Going On-Phase. In Little Pink Plastic Bags ist sogar der Anblick von, nunja, rose Einkaufstüten schmerzhaft, beschwört große Sehnsucht oder böse Erinnerungen herauf.
So geht es weiter. Es gibt kaputten HipHop (Hillbilly Man), kaputten Space-Reggae (The Joplin Spider), kaputten Walzer (The Parish Of Space Dust) und eine kaputte Hurts-Ballade (Amarillo, mit der bezeichnenden Bitte: „put a little love into my lonely soul“).
Das Problem daran: Das ist nicht nur eintönig (ein Vorwurf, den man den Gorillaz bisher nun wirklich nicht machen konnte), es ist auch unausgegoren. Die Tracks sind quasi Schnappschüsse, komplett entstanden auf Damon Albarns iPad. „Ich habe das gemacht, weil man immer eine Menge Zeit hat, die man im Wesentlichen damit verbringt an die Wand zu starren“, erklärt er die Idee für The Fall. „Ich fand, dass das Arbeiten tagsüber, ob im Hotel oder in der Konzerthalle, eine brillante Art war, um sich bei Laune zu halten. Dazu ist diese Song-Sammlung tatsächlich wie ein musikalisches Tagebuch. Ich habe wirklich alles an dem einen Tag an dem einen Ort geschrieben. Und es gibt eine spezielle Art von amerikanischem Sound und musikalischer Tradition, die durchklingen. Es fühlt sich an wie eine Reise durch Amerika.“
Mehr als ein vager Eindruck eines sehr großen, sehr deprimierten Landes vermittelt The Fall freilich nicht. Es gibt auch nicht einmal im Ansatz so etwas wie Hits, die doch bisher bei den Gorillaz stets der Katalysator waren, um den ambitionierten Ansatz des Projekts mit der Begeisterung des Mainstreams zusammenzufügen. Vor allem aber krankt The Fall an der Grundidee: Die Gorillaz leben davon, dass sie virtuell sind, immer voll und ganz durchkonzipiert und mit jedem Album ein bisschen mehr die Grenzen dessen erweitern, was man mit Pop machen kann. Authentizität, die einem Tour-Tagebuch nun einmal inhärent sein muss, und Spontaneität, die Albarn hier zum Grundprinzip gemacht hat, wirken bei ihnen unglaubwürdig. Und halbfertige Song-Skizzen braucht man nun wirklich nicht von Cartoon-Charakteren. Dafür haben wir schon ganze Legionen geplagter Singer-Songwriter.
Eine Tour im Schnelldurchlauf: Das Video zu Phoner To Arizona:
httpv://www.youtube.com/watch?v=SAeUwuUGSaM
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