Künstler | Graham Coxon | |
Album | Love Travels At Illegal Speeds | |
Label | Transcopic | |
Erscheinungsjahr | 2006 | |
Bewertung |
Früher gab es hier Punk. Hardcore. Folksongs, so sacht und zerbrechlich wie eine gepuderte Schneeflocke in der Sauna der Hölle. Als Graham Coxon noch der Typ mit der Brille bei Blur war, nutzte er seine Soloalben so ähnlich wie manch Bankmanager seinen Allrad-Wagen: für ebenso überflüssige wie abenteuerliche Ausflüge in abschüssiges Gelände, aus dem man dann mitunter arg schmutzig und erschöpft zurück kam und in das einem nicht allzu viele folgen konnten.
Seit das Solowerk für sich selbst steht, und nicht mehr bloß Randnotiz zum Oeuvre der Band ist, hat sich das geändert. Das Wilde, Wirre, Weiche ist dahin. Und kaum einer muss dem nachtrauern. Denn stattdessen gibt es hier Gassenhauer, Galgenhumor und Gitarrenzauber.
Schon der Auftakt Standing On My Own Again macht klar, warum Graham Coxon auch ganz ohne Blur plötzlich Top-20-Hits haben kann: ein tolles Riff, viel Herz und ein Rhythmus, den man durchaus funky nennen darf. Tell It Like It Is und der herzzerreißende Rausschmeißer See A Better Day fügen sich nahtlos in die Reihe Coxons grandioser Liebeserklärungen (wie You’re So Great zu Blur-Zeiten oder Bittersweet Bundle Of Misery auf dem letzten Solo-Album Happiness In Magazines) ein.
Im irren I Can’t Look At Your Skin kokettiert der Nerd mit den eigenen Neurosen. I Don’t Wanna Go Out ist nicht nur wegen der hübschen Zeile „I’ll sit inside my box and vandalise my dirty mind“ und dem grandiosen Break ein Kracher. Die eigene Unsicherheit beim Flirt wird im augenzwinkernden What’s He Got? herausgestellt, das wilde Gimme Some Love bricht aus eben dieser Rolle aus, ist nicht nur ein Aufschrei, sondern auch eine Feier des eigenen Stolzes.
Don’t Let Your Man Know blickt mit all der Lust aus Begierde und Schuld auf einen Seitensprung, die der britischen Einstellung zu Sex so eigen ist. Bloß ein banales Liedchen wäre You & I, steckten darin nicht so viele tolle Ideen und so viel Freude an der eigenen Virtuosität.
All dies ist nicht nur der feuchte Traum jedes Indierockers. Es ist auch bezaubernd schön wie im gewollt niedlichen Just A State Of Mind, dem enorm eleganten Don’t Believe Anything I Say oder dem herrlich entspannten Flights To The Sea (Lovely Rain). Und dazu, was Komposition und Gitarrespiel angeht, in einer Liga mit Größen wie Paul Weller oder Ray Davies. Dazu passt das Bild im Booklet, das Coxon als die Verkörperung der gesamten Traditionslinie von Swinging London bis in die Post-Britpop-Jahre inszeniert. Mit Cord-Jacket, Schal und (!) Schlips, NHS-Brille und wirrem Haar, das die frühen Beatles stolz gemacht hätte, lehnt er an einer Statue, die kaum zu erkennen ist, und dennoch Geschichte, Stolz und Empire präsentiert. Strictly British.
Das ohnehin rabaukige I Can’t Look At Your Skin wird live noch irrer:
httpv://www.youtube.com/watch?v=SpkPPs-Lvd0