Hingehört: Isbells – „Stoalin“

Akustischer Minimalismus ist bei Isbells kein Dogma.
Akustischer Minimalismus ist bei Isbells kein Dogma.
Künstler Isbells
Album Stoalin
Label Zeal Records
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung  

“To me songwriting has always been a way to keep my sanity. And with every album I make, I get to know myself a little better”, sagt Gaëtan Vandewoude, der einzige Mann in der Ein-Mann-Band Isbells. Nach dem Debüt, das in seiner belgischen Heimat Goldstatus erreichte und auch sonst reichlich Lob einheimste, legt er mit Stoalin nun sein zweites Album vor. Wenn er selbst so viel über sich erfahren hat, müsste das für den Hörer ja auch machbar sein. Schauen wir also mal, was man daraus über ihn lernen kann.

1. Gaëtan Vandewoude ist ein sehr bescheidener Mann. “I’m by no means a very accomplished singer, nor am I an outstanding musician”, sagt er beispielsweise, wenn er darauf verweisen will, wie viel er in Bezug auf seine Musik noch lernen kann. Hört man allerdings Lieder wie Illusion, das ebenso toll gesungen wie gespielt ist, dann kann man hinter dieser Aussage nur Understatement erkennen.

2. Wer Isbells (auf Tour wird aus der Ein-Mann-Band ein Quartett) nach dem melancholischen Debüt für Trauerklöße gehalten hatte, lag falsch. Lieder wie das heitere Heading For The Newborn oder Elation, das sogar mit Handclaps, Glockenspiel und Kinderchor daherkommt, strahlen eine enorme Zuversicht aus, das zarte Baskin’ bewegt sich sogar ein kleines Stückchen in die Nähe von Jack-Johnson-Leichtigkeit.

3. Auch der Minimalismus, den man in der Welt des akustischen Singer-Songwritertums so gerne pflegt (und der auch auf dem Isbells-Debüt eine wichtige Rolle spielte) ist hier bei weitem kein Dogma. One Day beispielsweise profitiert enorm vom Einsatz einer Trompete. Erase And Detach, das letzte der zehn Lieder auf Stoalin, wartet nach drei Minuten mit einem ganzen Orchester auf. “The moment I wrote it, I knew I wanted this song to erupt like a volcano at some point”, erzählt Gaëtan Vandewoude. “If I told you how many tracks we used and how many layers of instruments we piled on top of each other with a view to this, I’m sure you would never believe me.”

4. Seine Stimme klingt zauberhaft, wenn sie nur von einer Gitarre begleitet wird wie im zerbrechlichen, reflektierten Heart Attacks, in dem nicht einmal die erschütternde Zeile „I never want to see you again“ wirklich unversöhnlich zu wirken vermag. Sie klingt aber noch besser, wenn sie von der Stimme von Chantal Acda begleitet wird wie in Falling In And Out.

5. Der Mann aus Leuven legt nicht allzu viel Wert auf Perfektionismus. Die Lieder für Stoalin (ein Fantasiewort, das er für den verhuschten Titelsong selbst improvisiert und dann einfach beibehalten hat) nahm er teilweise in seinem eigenen Wohnzimmer auf, und wenn dann ein Geräusch von draußen hereindrang, vorbeifahrende Autos, kläffende Hunde oder der Regen, der ans Fenster prasselt, dann blieben sie einfach erhalten. “I suppose I could have got rid of these sounds while mixing the record, if I had really wanted to. But I could not be bothered. To me they just belonged to the overall picture.”

6. Recycling ist eine gute Sache, auch in der Musik. Das reduzierte Letting Go hat Gaëtan Vandewoude schon vor langer Zeit geschrieben, das Lied dann aber völlig aus dem Blick verloren, bis er es irgendwann während der Aufnahmen zu Stoalin wieder auf seinem Rechner entdeckte. „I got hooked on its rawness and vulnerability. I was not sure whether it would fit the package, but when we put it in the the middle of the song sequence everything fell right into place. To me, it’s one of the key tracks on the record”, sagt er nun.

Was sagt all das also aus über Gaëtan Vandewoude? Es zeigt zunächst, dass er ein talentierter Songwriter ist, der sich nicht vor Vorbildern wie Bon Iver oder dem Bony King Of Nowhere verstecken muss. Und es liegt nahe, dass in einer Kontaktanzeige von Isbells wohl folgender Text stehen müsste: „Romantiker, der Herzschmerz kennt und an die Hoffnung glaubt, sucht das Glück. Bitte nur ernst gemeinte Zuschriften mit Gitarre.“

Das Video zu Heading For The Newborn zeigt, tatsächlich, eine Party:

httpv://www.youtube.com/watch?v=zCeWd8CguX8

Isbells bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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