Jan Delay – „Wir Kinder vom Bahnhof Soul Live“

Künstler*in Jan Delay

Aus drei Konzerten von Jan Delay wird auf „Wir Kinder vom Bahnhof Soul Live“ eins gemacht.
Album Wir Kinder vom Bahnhof Soul Live
Label Universal
Erscheinungsjahr 2010
Bewertung

Woran erkennt man einen Superhelden? Mal überlegen. In der Regel hat er ein ziemlich schräges Kostüm. Er ist ein Verwandlungskünstler. Er hat ein geheimes Markenzeichen, an dem ihn seine Jünger erkennen. Er hat Fähigkeiten, von denen Normalsterbliche nur träumen können – beispielsweise kann er mühelos durch Raum und Zeit gleiten.

Jan Delay ist also ein Superheld. Das Kostüm? Eine Mischung aus Rat Pack und Ronald McDonald. Die Wandlungsfähigkeit? Vom Rap-Rabauken bei den Absoluten Beginnern hat er sich zum Reggae-Weltverbesserer und nun zum Funk-Großmeister gemausert. Das Erkennungszeichen? Diese Stimme, die vermuten lässt, dass der komplette Mann nur aus Nase besteht. Und die geheimen Superkräfte? Die stellt er auf Wir Kinder vom Bahnhof Soul Live unter Beweis.

Denn das erste Lied Rave Against The Machine wurde vor 12.000 Fans in der Hamburger Color Line Arena aufgezeichnet. Es geht nahtlos über in Showgeschäft, das in München auf Band gebannt wurde und in Large mündet, in dem Jan Delay die Fans in Stuttgart anfeuert.

Kaspar Wiens hat die drei echten Konzerte aus dem März 2010 meisterhaft zu einem einzigen verwoben. Das hat nicht nur den Effekt, dass man sich tatsächlich vor der Bühne wähnt, auf der Jan Delay mit seiner Band Disko No. 1 sein Unwesen treibt. Es klingt auch wirklich immer wieder so, als würde der Mann, der als Jan Phillip Eißfeldt geboren wurde, sich zwischen den einzelnen Hallen hin- und herbeamen, in denen die Fans sein Erscheinen ersehnen – und dabei jede Minute genießen. „Wumms. Bass. Glück. Flash. Energie. Ekstase“, nennt Jan Delay diesen Effekt.

Sein Spaß am Funk, an der Show und am Tanzen ist ansteckend. Überdosis Fremdscham geht sofort in die Beine. Kommando Bauchladen ist ein echter Feger, Disko ein Highlight. Klar, der Überhit von seinem Nummer-1-Album Mercedes Dance, funktioniert natürlich auch live.

Trotzdem hat das Album auch Momente, in denen man sich fragt, wer eigentlich Die Kinder vom Bahnhof Soul Live brauchen soll. Das ist das Grundproblem an Live-Alben: Sie sind ein nettes Souvenir für alle, die dabei waren (und wenn allein die Fans aus Hamburg, Stuttgart und München die CD kaufen, die hier verewigt sind, dann dürfte Jan Delay eine weitere Goldene Schallplatte quasi schon sicher sein), aber für alle anderen nicht einmal so etwas wie ein zweitklassiges Greatest-Hits-Album.

Dass diese Zusammenstellung als DVD (wo eben auch Jans Showtalent voll zur Geltung kommt) besser funktionieren dürfte denn als reines Audio-Format, wird niemand ernsthaft bezweifeln. Denn es gibt auch auf Wir Kinder vom Bahnhof Zoo Live einige Momente, in denen Wah-Wah-Gitarren und Discobeats zu langweilen drohen. Denn machen wir uns nichts vor: Musikalisch ist Jan Delay höchst konventionell geworden, seit er Funk und Soul für sich entdeckt hat. Böse gesagt: Diese Musik ist nicht unendlich weit entfernt von Roger Cicero – nur, dass der Mann am Mikro hier nicht einmal singen kann.

Doch was Jan Delay an Musikalität fehlt, macht er mit Persönlichkeit wett. Und zudem kommt ihm genau in den lahmen Phasen  immer genau pünktlich seine HipHop-Herkunft zugute. Dann baut er Zitate von frühem Eurodance ein und beschwört zugleich den Poltergeist von Deichkind herauf (Pump Up), reitet ein paar Beginner-Hits auf einem Riff der  Backstreet Boys, die von Montell Jordan und House Of Pain gejagt werden (wie beim Everybody Medley, das hier leider nicht vertreten ist) oder holt den leibhaftigen Udo Lindenberg für Ganz anders, die Kooperation für dessen Comeback-Album Stark wie zwei, auf die Bühne.

Wenn übermorgen dieses Album erscheint, spielen Jan Delay & Disko No 1 gerade bei Rock am Ring. Wenn man Wir Kinder vom Bahnhof Soul Live gehört hat, weiß man: Alle, die da sind, darf man beneiden.

„Wumms. Bass. Glück. Flash. Energie. Ekstase“: Feuer und Klar beim Summerjam 2009:

httpv://www.youtube.com/watch?v=lbZP2Xo0OkQ

Jan Delay bei MySpace.

Eine gekürzte Version dieser Rezension mit einem sehr interessanten Interview mit Jan Delay gibt es auch bei news.de.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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