Künstler | Johnny Cash | |
Album | At St. Quentin | |
Label | Columbia | |
Erscheinungsjahr | 1969 | |
Bewertung |
St. Quentin ist nicht irgendein Knast. Es ist ein Hochsicherheitsgefängnis. „Sie wussten, dass hier nur die schweren Jungs waren. Bewaffneter Überfall, Mord, Vergewaltigung. Abgesehen von den Unschuldigen“, schreibt Franz Dobler in seiner Cash-Biografie. 1000 von ihnen sitzen in der Halle, und über der Bühne patroullieren eine Handvoll Wachen mit Pumpguns.
Dies ist auch nicht irgendeine Live-Platte. At St. Quentin war vier Wochen Nummer eins in den Bilboard-Charts, bedeutet den ersten Chart-Topper für den bei der Aufnahme noch nicht ganz 37 Jahre alten Johnny Cash. Das Album bekam Doppel-Platin. Nun wurde es neu aufgelegt und gibt erstmals das komplette Konzert, mit allen Ansagen und in der richtigen Abfolge wieder.
Und das war keineswegs irgendein Konzert. Neben dem besonderen Publikum gab es an jenem 24. Februar 1969 – es war schon Cashs viertes Gastspiel in St. Quentin – noch ein paar mehr außergewöhnliche Rahmenbedingungen. Gitarrist Luther Perkins war kurz zuvor gestorben, sein Nachfolger Bob Wootton spielt hier eine seiner ersten Shows. Cash hatte erst unlängst Live At Folsom Prison veröffentlicht. Sein Einsatz für die Entrechteten – und die skeptisch beäugten, wie Bob Dylan, den er in seiner TV-Show auftreten ließ – war in aller Munde. Johnny Cash war wieder erfolgreich. Und er war auf dem Weg, eine Ikone der neuen Folk-Bewegung, der Woodstock-Generation zu werden. Johnny Cash konnte sich wieder alles erlauben.
Und das tut er dann auch. Er macht seine Späße auf Kosten der Wärter, er pfeift auf das Fernsehen, das die Show aufzeichnet. Er flucht und schimpft und nimmt sich auch mal selbst aufs Korn. Von Anfang an (ein aus dem Ärmel geschütteltes Big River) ist er einer von ihnen. Und doch ist er auch genau das, was die Häftlinge nicht sind: Er ist sein eigener Herr. Johnny Cash verkörpert an diesem Abend die Freiheit und die Hoffnung. Nicht wenigen Insassen mag es so gegangen sein wie Merle Haggard, der angesichts der Performance erkennt: Das könnte ich auch schaffen. Das könnte mich hier raus bringen.
Spätestens nach I Walk The Line ist Cash der Chef im Ring. Auch musikalisch nimmt er sich an diesem Abend einiges heraus. Zusammen mit seiner Frau June Carter zelebriert er Darlin‘ Companion von The Lovin Spoonful, gleich danach I Don’t Know Where I’m Bound, die Vertonung eines Gedichts, das ihm erst kurz vorher ein Häftling zugesteckt hatte. Später folgen Dylans Wanted Man, das Spiritual (There’ll Be) Peace In The Valley, der Gospel He Turned The Water Into Wine und schließlich die begeistert aufgenommene Premiere von A Boy Named Sue.
Natürlich sind auch die Outlaw-Songs da. Starkville City Jail, der Folsom Prison Blues und der neue Song, St. Quentin. Wie die Knastbrüder zunächst noch unschlüssig sind, ob sie Statements wie „St. Quentin / May you rot and burn in hell“ unter den Augen der Aufseher wirklich teilen sollen, dann aber alle Scheu verlieren, ihrem Unmut freien Lauf lassen und schließlich sogar einen Wärter lauthals ausbuhen, das ist ergreifend. Wie die Häftlinge dann fordern, dass Cash den Song, der all ihre Gefühle auf den Punkt bringt, der Gemeinschaft zwischen ihnen stiftet und ihnen Kraft gibt, sofort noch einmal spielen soll, ist der größte Moment der Platte.
Zum Schluss ein Zitat aus Marty Stuarts Liner Notes: „I welcome the re-release of this classic recording, complete with its lost chapters. Locked away in a vault for so long, it showcases Cash at his zenith – a master communicator, interpreter and missionary, who sang for the souls locked away, inside one of hell’s most famous waiting rooms.“
Wie gesagt: Das Fernsehen war auch dabei, und filmte St. Quentin:
httpv://www.youtube.com/watch?v=1zgja26eNeY
7 Gedanken zu “Johnny Cash – „At St. Quentin“”