Künstler*in | Kaizers Orchestra | |
Album | Violeta Violeta Vol. 1 | |
Label | Petroleum | |
Erscheinungsjahr | 2011 | |
Bewertung |
Angeblich kann der erste Eindruck ja schon alles entscheiden. Insofern haben Kaizers Orchestra bei mir schlechte Karten. Denn der erste Eindruck, das war bei Rock am Ring. Ich war, wie sich das für ein Rockfestival gehört, ein bisschen desorientiert. Und ich war, wie sich das für den Sommer 2003 gehört, voller Vorfreude auf den Auftritt der Libertines.
Doch die wollten und wollten nicht auf die Bühne kommen. Um zumindest zu wissen, wie viele Bands ich noch überstehen musste bis zu Horror Show, fragte ich den Mann am Mischpult, wer das da gerade sei auf der Bühne. „Kaizers Orchestra“ antwortete er. Er glaubte wohl, ich sei ganz begeistert und wolle unbedingt den Namen der Band erfahren. Doch ich wollte eigentlich bloß wissen, wie lange ich noch bis zu den Libertines warten muss. Und mit jeder Minute gingen mir Kaizers Orchestra ein bisschen mehr auf die Nerven.
Auch jetzt stehen die Vorzeichen nicht gut. Obwohl sie mittlerweile zu den erfolgreichsten Musik-Exporten Norwegens gehören (ihr Album Ompa til du dor ist mit mehr als 100.000 verkauften Exemplaren das erfolgreichste Rock-Debüt aller Zeiten in Norwegen), habe ich seitdem nicht mehr viel mit Kaizers Orchestra zu schaffen gehabt. Und nun kündigt das Presse-Info auch noch an, Violeta Violeta Vol. 1 sei der erste Teil einer Trilogie und das „wohl ehrgeizigste Projekt“ in der zehnjährigen Bandgeschichte von Kaizers Orchestra. Kann das gut gehen?
Es geht. Violeta Violeta Vol. 1 (Teil 2 soll Im Januar 2012 folgen, Teil 3 dann Ende des nächsten Jahres) ist ein Panoptikum von allem, was man mit Rock anstellen kann, wenn man bereit ist, ihn auch ein wenig unorthodox zu interpretieren. Orchester, HipHop, Zwölftonmusik, Gypsy – all das verschmilzt hier zu einem Riesenspaß.
Wie gut das alles funktioniert, merkt man vor allem, wenn man Violeta Violeta Vol. 1 im Shuffle-Modus abspielt: Das zweifelsohne fein austarierte Tracklisting wird dann zwar ausgehebelt, aber trotzdem bleibt das Album enorm spannungs- und abwechslungsreich. Wer Bezugspunkte für so viel Offenheit und Kreativität sucht, der muss wohl schon das Weiße Album der Beatles oder zumindest die Irren von Bonaparte heranziehen.
Philemon Arthur & The Dung klingt zum Auftakt wie eine schräge Ballade von den Hives – und spätestens seit Diabolic Scheme wissen wir, dass das keine schlechte Idee ist. Diamant til kull wird von Sänger Janove „The Jackal“ Kaizer fast gerappt, die Femtakt Filosofi (wer es erst jetzt merkt: Kaizers Orchestra singen auf Norwegisch) ist mit einiger Wahrscheinlichkeit von Kurt Weill erdacht.
Din kjole lukter bensin mor und der Rausschmeißer Sju botter tare er nok Beatrice scheinen einer schrägen Revue entsprungen. Mit En for orgelet, en for meg beantragen die Red Hot Chili Peppers ganz offensichtlich Asyl in Skandinavien. So ähnlich wie das vergleichsweise geradeaus rockende Tumor i ditt hjerta würden Mando Diao klingen, wenn sie ihren Liedern ein paar Science-Fiction-Elemente und Opernstimmen angedeihen lassen würden. Psyco under min hatt degradiert Gogol Bordello zu Madonnas Schoßhündchen, Svarte Katter & Flosshatter erinnert mit seinem wuchtigen Orchester an Paul McCartneys Live And Let Die.
Das Beste daran: Kaizers Orchestra zeigen gerne, wie viele Stile, Takte und Stimmungen sie beherrschen. Aber das Ergebnis klingt nie nach Muckertum, sondern hat immer auch den Hörer im Blick. Bestes Beispiel ist die Single Hjerteknuser. Ganz viel Sehnsucht in der Stimme, reichlich Schmackes in der Strophe, ein betörender Refrain – das kriegen Hard Fi auch nur in ihren absolut besten Momenten so gut hin.
Violeta Violeta Vol. 1 ist so gut, dass man beinahe Norwegisch lernen möchte, um bei der Tour im Sommer auch mitsingen oder Kaizers Orchestra persönlich für diese Musik danken zu können. Wenn man sie mal treffen sollte, und dann bloß auf Deutsch irgendetwas von „genial“ oder „abgefahren“ stammelt – das wäre echt ein schlechter erster Eindruck.
Wenn mich mein Schwedisch nicht täuscht, dann bedeutet Hjerteknuser irgendetwas mir Herz. Könnte aber auch „Staubwischen“ heißen, wenn man das Video so sieht:
httpv://www.youtube.com/watch?v=NTT-UiTkof4
2 Gedanken zu “Kaizers Orchestra – „Violeta Violeta Vol. 1“”