Künstler | Kettcar | |
Album | Zwischen den Runden | |
Label | Grand Hotel van Cleef | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
Eine These: Marcus Wiebusch ist überhaupt kein Musiker, und Kettcar sind überhaupt keine Band. Marcus Wiebusch ist in Wirklichkeit ein Dichter, und Kettcar sind bloß ein paar Kumpels, die es genießen, gemeinsam mit ihm unter dem Rock-Vorwand durchs Land reisen und die eine oder andere Party feiern zu können.
Man kann ein paar gute Argumente für diese Position finden, auch auf Zwischen den Runden, dem vierten Album von Kettcar. Fünf der zwölf Songs wurden diesmal von Bassist Reimer Bustorff geschrieben, am Grundprinzip hat sich dennoch wenig geändert. Die Musik ist auch diesmal konventionell in dem Sinne, dass die Hamburger eben weitestgehend Popsongs abliefern, einen Sound, der auch zu den Kooks oder Elvis Costello passen würde, oder zu Wir sind Helden oder Element Of Crime.
Es gibt auf Zwischen den Runden nichts, was man guten Gewissens ein Solo nennen könnte, was zumindest verdächtig ist – denn echte Musiker lieben Soli. Meist nach dem ersten Refrain gönnen sich diese Lieder zwar ein paar instrumentale Passagen. Aber es gibt dabei nichts, was sich in den Vordergrund drängen oder gar Virtuosität unter Beweis stellen wollte. Das Kinderkeyboard in R.I.P. oder das Klavier von Im Club könnte man locker mit zwei Fingern spielen, die Trompete am Ende von Nach Süden ist bloß ein Überbleibsel aus der Anfangsphase des Songs. Vor allem aber hören acht der zwölf Lieder genau in dem Moment auf, in denen der Text endet. Auch das bestätigt den Verdacht: Was man hier hört, sind eigentlich Gedichte, um die ein bisschen Musik herum gebaut wurde.
Trotzdem ist diese These falsch. Zwischen den Runden wimmelt vor großartigen Texten und Zeilen, die von Mädchen mit gebrochenem Herzen oder sensiblen jungen Herren sicher bald massenhaft bei neon.de zitiert werden. „Wenn das der Frieden ist / musst du den Krieg nicht noch erfinden“, ist so eine, der Refrain von R.I.P. ist zudem einer von vielen Fällen, in denen Kettcar diesmal mit Bildern von Kampf, Gewalt, Tod und Krieg arbeiten. Auch das sanfte Kommt ein Mann in die Bar hat derlei zu bieten: „Vielleicht, vielleicht / ist es nicht leicht / das alles zu ertragen / die Hoffnung ist schon vorgerannt / das Grab schon mal zu graben.“
Aber es ist erst die Musik, die aus dieser Lyrik immer wieder tolle, schlaue, echte Gänsehautmomente macht. Die knapp 200 leicht angejazzten Sekunden von In Deinen Armen gehören dazu, in denen ein Paar auf die gescheiterte Beziehung eines befreundeten Paares blickt und sich hörbar ängstlich an die Hoffnung klammert, selbst nicht genauso zu enden. „Wer einem alles geben kann / kann einem auch alles nehmen“, heißt die bange Quintessenz.
Am deutlichsten wird es aber in Erkenschwick. Zu einem sehr reduzierten, kongenialen Arrangement erzählt Marcus Wiebusch darin eine Geschichte auf dem schmalen Grat zwischen Hoffnung und Fatalismus. „Ein Mann setzt sich dazu und sagt ‚Krähe setzt sich neben Krähe’ / er nimmt die Flasche, trinkt sie aus und dann wirft er sie an die Wand / er schreit ‚Scherben bringen immer noch Glück / doch das Glück ist eine einfältige Kuh / wie Du siehst läuft es immer nur den dümmsten Ochsen zu’“, lautet die Strophe, die ein irre rührender, weiser Moment ist.
Auch Schwebend (nach Auskunft der Band der Versuch, den perfekten Sonntagmorgenmoment einzufangen) wäre ohne die Musik undenkbar. Es ist eines von vielen Stücken auf Zwischen den Runden, die von großzügigem Streicher-Einsatz profitieren. Das Anti-Gentrifizierungs-Statement Schrilles buntes Hamburg könnte ebenfalls niemals funktionieren, wenn es nicht im Kontext eines Rocksongs daherkäme, der am Ende tatsächlich richtige Wut entwickelt.
Vielleicht das beste Argument gegen die „Kettcar sind eigentlich Dichter“-These ist der schmissige Opener Rettung. Dass Schwafeln und Schwärmen, Fühlen und Formulieren letztlich einen Scheiß wert sind, macht dieser herrlich authentische und grandios romantische Text deutlich und kommt zu dem Schluss: In der Liebe gibt es nur Taten – und vor allem keine Peinlichkeit. Im Club drückt danach noch ein bisschen mehr aufs Gas und hat Spaß an Northern-Soul-Referenzen. Und ganz am Schluss greift in Zurück aus Ohlsdorf, eine Notiz über den Besuch der Beerdigung eines alten Freundes, noch einmal den Effekt von Rettung auf: Man freut sich über diese Geschichten mitten aus dem Leben, über die Würde und Wärme, mit der Kettcar sie erzählen. Man fühlt sich ein bisschen ertappt angesichts der Frage, ob man genauso anständig und loyal durchs Leben kommen wird. Und man hat das Gefühl, dass einem die Lieder von Kettcar ein wenig bei dieser Aufgabe helfen können.
Kettcar haben zu jedem Lied des Albums ein Video gemacht. Mein Favorit ist Rettung:
httpv://www.youtube.com/watch?v=Y2EqylUI19s
6 Gedanken zu “Kettcar – „Zwischen den Runden“”