Kid Kopphausen – „I“

Künstler Kid Kopphausen

Dieser Kid ist sprachgewaltig - und romantisch.
Dieser Kid ist sprachgewaltig – und romantisch.
Album I
Label Trocadero
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung

„Lass uns mal was zusammen machen.“ Dieser Satz fällt oft genug, wenn sich Musiker begegnen. Wer im Sonnenstuhl einen langweiligen Festival-Nachmittag totschlagen muss, abends nach einem Konzert im Nirgendwo an der Bar sein Heimweh wegtrinkt oder auf dem Männerklo einen dieser Typen trifft, dessen Platten man früher mal gekauft hat, der ist leichtfertig, betrunken oder eingebildet genug, so einen Gedanken schnell auszusprechen. Am nächsten Tag, beim nächsten Festival, nach dem Kater oder der peinlichen Erkenntnis, dass man nicht nach der Telefonnummer gefragt hat, ist der Vorschlag dann in der Regel schnell wieder vergessen. Deshalb kommt es nicht allzu häufig vor, dass aus diesem „Lass uns mal was zusammen machen“ tatsächlich Musik wird. Noch seltener passiert es, dass am Ende ein so überzeugendes Ergebnis steht wie I, das erste Album von Kid Kopphausen.

Hinter der Band stehen Gisbert zu Knyphausen, nichts weniger als der beste deutsche Songwriter, und Nils Koppruch, ehemals bei Fink im Einsatz. Die Geschichte ihres „Lass uns mal was zusammen machen“ umfasst bereits ein paar Kapitel: Als Knyphausen nach Hamburg zog, lernte er Koppruch kennen, der verpflichtete ihn prompt für das Vorprogramm seiner ersten Solotournee. Später folgten gegenseitige Besuche im Proberaum, eine Splitsingle namens Die Aussicht/Knochen und Fleisch und eine weitere Konzertreise.

Nun also Kid Kopphausen. „Kein Projekt, kein Experiment, sondern ein merkwürdiges Viech, ein rätselhafter Haufen, ein drängender Organismus, eine Gang aus Outlaws, die überall das Weiter suchen und ständig falsche Fährten legen“, heißt es eindringlich im Pressetext. Alle Lieder wurden gemeinsam komponiert, Koppruch und zu Knyphausen haben I zudem (zusammen mit Swen Meyer) selbst produziert, mit dem Gesang wechseln sie sich einigermaßen paritätisch ab. Noch deutlicher könnte man nicht herausstellen: Dies ist eine echte Band. Widerspruch zu dieser These ist nicht ratsam und erfolgt auf eigene Gefahr. Denn dieser Kid Kopphausen ist ein ziemlich gefährlicher Zeitgenosse.

„Immer da, wo ich bin, da brennt es lichterloh“, wird schon im ersten Lied Hier bin ich klargestellt, einem Psycho-Blues im Stile von Nick Cave. „Wer bin ich?“, wird im Refrain immer wieder gefragt, und die Antwort liegt irgendwo zwischen Element Of Crime, Kettcar, und eben dem, was Gisbert zu Knyphausen und Nils Koppruch schon in ihrer nun überwundenen Existenzform als Einzelwesen ausgemacht hat: Eine große Weite durchweht diese Platte, eine sehr stilsichere Abgeklärtheit, fast alttestamentarische Sprachgewalt und unerschütterliche Romantik. Irritierenderweise kommt auch eine Prise BAP hinzu, denn wenn die beiden gemeinsam singen, klingt das Produkt ihrer Stimmen ein wenig nach Wolfgang Niedecken.

Der Kid kann zärtlich sein wie in Schritt für Schritt mit Besenschlagzeug und Mundharmonika. Wenn er sich aus dem Staub machen muss, verwandelt er sich kurzerhand in einen Matrosen (Moses), und wenn er seine Zeche nicht bezahlen kann, dann stimmt er eine Kneipenhymne an wie Jeden Montag, die am Ende in einer so unübersichtlichen Sause mündet, dass er sich unbemerkt rausschleichen kann. Er singt Lieder, irgendwo zwischen Existenzialismus und Psychedelik (Wenn der Wind übers Dach geht) und solche, die klingen, als seien sie als Rausschmeißer für Höllenkneipen wie den „Titty Twister“ in From Dusk Till Dawn gedacht (Haus voller Lerchen).

Mit Im Westen nichts Neues lädt er zum allerletzten Walzer der Welt und hat Erkenntnisse wie diese dabei: „Modern sind die Zeiten solange ich denke / nur besser werden sie nicht.“ Auch Wenn ich dich gefunden hab kommt im ¾-Takt daher und hat alles verloren außer seine Würde, seine Sehnsucht und sein großes romantisches Herz. Und der Kid singt immer wieder Lieder wie Meine Schwester, die mit ihrer Urigkeit und tollen Sprachbildern so klingen, als seien sie eigentlich verschollene Volksweisen aus der Sierra Nevada, die jemand in einer stillgelegten Goldmine ausgegraben und ins Deutsche übersetzt hat.

In Das Leichteste der Welt darf sich die ganze Gang austoben, die neben Gisbert zu Knyphausen und Nils Koppruch noch Felix Weigt, Alexander Jezdinsky und Marcus Schneider umfasst. „Ich lag ’ne Weile lang im Koma und jetzt bin ich wieder wach / ich hab’ euch Blumen und Pralinen vom Arsch der Hölle mitgebracht“, singt zu Knyphausen und die Band macht dazu genau das, was Primal Scream alle paar Jahre veranstalten, wenn sie genug von Innovation haben und den guten alten Rock’N’Roll zelebrieren.

Schon so lang gönnt sich ebenfalls einen langen Anlauf, mit intimem A-Capella-Beginn, dann einem Bass und schließlich nach zwei Minuten dem Auf- und Ausbruch zur Zeile „Ich warte schon so lang“. Auch die großartige Mörderballade steckt voller Ungeduld und Gier nach Leben. Und spätestens beim Rausschmeißer Nur ein Satz, an dem Linguisten ebenso ihre Freude haben werden wie alle, die gerne in der Atmosphäre von The End leben wollen, klingen Knyphausen und Koppruch nicht nur wie zwei glorreiche Halunken, sondern auch doppelt so alt, wie sie wirklich sind, wie Bob Dylan, Johnny Cash oder Leonard Cohen. Wenn Hamburg solche Musik hinbekommt, dann braucht man Amerika fast nicht mehr.

Der Albumtrailer beweist: Kid Kopphausen machen sich auch für den Proberaum schick.

httpv://www.youtube.com/watch?v=0ZuY2Kl7hh0

Kid Kopphausen sind bald fleißig auf Tour. Alle Konzerttermine:

11.09. München – Ampere

12.09. Frankfurt – Das Bett

13.09. Köln – Kulturkirche

14.09. Köln – Kulturkirche

16.09. Berlin – Heimathafen

17.09. Hamburg – St. Pauli Theater

27.10. Magdeburg, Moritzhof

28.10. Leipzig, Werk 2

29.10. Göttingen, Musa

30.10. Hannover, Warenannahme

31.10. Osnabrück, Rosenhof

01.11. Aachen, Musikbunker

03.11. Düsseldorf, Zakk

04.11. Trier, Tuchfabrik

05.11. Erlangen, E-Werk

06.11. Wiesbaden, Ringkirche

07.11. Karlsruhe, Tollhaus

08.11. Freiburg, Waldsee

09.11. Stuttgart, Liederhalle

10.11. CH-Zürich, Papiersaal

12.11. A-Wien, Stadtsaal

14.11. Augsburg, Ostwerk

15.11. Erfurt, HSD Gewerkschaftshaus

16.11. Potsdam, Lindenpark

17.11. Weißenhäuser Strand, Rolling Stone Weekender

Homepage von Kid Kopphausen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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