Hingehört: KT Tunstall – „Invisible Empire/Crescent Moon“

Zwei Sessions, zwei Themen: Das erklärt den Doppeltitel "Invisible Empire / Crescent Moon".
Zwei Sessions, zwei Themen: Das erklärt den Doppeltitel „Invisible Empire / Crescent Moon“.
Künstler KT Tunstall
Album Invisible Empire // Crescent Moon
Label Virgin
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

Annie Lennox und Dave Stewart. Jack White und Meg White. Laura-Mary Carter und Steven Ansell. Per und Marie, Ike und Tina, ähm, Fab und Rob. Die Popgeschichte hat viele famose Mann-Frau-Konstellationen gesehen.

Die Liste kann nun erweitert werden um ein musikalisches Traumpaar, das wohl kaum jemand erwartet hätte. Auf der einen Seite: eine Frau, die einmal (gegen ihren Willen) mit Dido verglichen wurde und im Jahr 2005 (immerhin einem Jahr, in dem auch Rihanna, Jennifer Lopez und Madonna ziemlich erfolgreich waren) mehr Platten in England verkauft hat als jede andere Künstlerin. Auf der anderen Seite ein Mann, der mit gutem Recht als Indieheld bezeichnet werden kann, als Aufrechter in der Wüste, als jemand, dessen Herangehensweise ans Musikmachen der Guardian kürzlich als „decidedly tilted and unswervingly idealistic“ gepriesen hat.

KT Tunstall also hat ihr viertes Album von Howe Gelb produzieren lassen. Mehr noch: Invisible Empire // Crescent Moon (nur echt mit den beiden Schrägstrichen in der Mitte) wurde in Gelbs Studio in Tucson, Arizona aufgenommen. Zwei Lieder haben die Schottin und der Giant-Sand-Mann gemeinsam geschrieben, im sanften Chimes singen KT und Howie sogar zusammen. Es ist eine Zusammenarbeit, die wundervolle Früchte getragen hat.

Die zwölf Lieder (dazu gibt es mit dem schön groovenden Band Jam noch einen alles andere als überflüssigen Bonus Track) sind in zwei Sessions entstanden, einmal im April und einmal im November 2012. Dass jeweils eine andere Stimmung herrschte und man den Songs nun anhört, in welche Entstehungsphase sie gehören, war einer der Gründe für den zweigeteilten Albumtitel. Der andere hat mit den Themen zu tun. Eine Hälfte der Platte ist deutlich vom Umgang mit dem Tod inspiriert (KT Tunstalls Vater starb 2012). Die andere Seite behandelt eher die Veränderungen und Enttäuschungen, die das Diesseits mit sich bringen kann (2012 war auch das Jahr, in dem sich KT Tunstall von ihrem Ehemann trennte).

Die Stimmung ist entsprechend wenig euphorisch, aber Invisible Empire // Crescent Moon ist auch kein Trauerkloß. Wenn man die Atmosphäre auf dem vierten Studioalbum von KT Tunstall mit einem Wort zusammenfassen müsste, dann würde wohl am ehesten „angenehm“ passen. Der Gesang ist schön, ohne zu protzen („Es sind Songs, die mir allesamt aus der Seele sprechen“, versichert KT Tunstall glaubhaft), die Instrumentierung stilvoll, der Sound deutlich reduzierter und deutlich amerikanischer als auf den vergangenen Alben der 37-Jährigen.

Es sind die kleinen Dinge, die Invisible Empire // Crescent Moon zu einer so gelungenen Platte machen. Wenn sie in Invisible Empire zum Auftakt des Albums die Silben im Wort „spectacular“ gekonnt verzögert, wenn das unheilvolle Dröhnen der tiefen Gitarrentöne aus Yellow Flower einen ebenso schönen wie bedrohlichen Moment macht oder in Honeydew kurz vor dem Ende des Albums eine Klarinette aufhorchen lässt, dann merkt man, wie inspiriert diese Sessions waren, wie viel Talent und Gelassenheit da aufeinander trafen.

In Made Of Glass ist die Gitarre wie zerrissen vor Leidenschaft, doch der Rest der Instrumente bleibt fast provozierend entspannt. Der Rhythmus in Carried ist beinahe Offbeat, das Klavier beinahe unharmonisch. Das Mellotron im Old Man Song klingt tatsächlich, als habe es sich irgendwie aus dem 18. Jahrhundert auf diese Platte geschummelt. Die Single Feel It All bietet eine reizvolle Kombination aus gedämpftem Schlagzeug und bluesgetränktem Gitarrensolo.

Tunstalls Qualitäten als Sängerin und Komponistin waren vielleicht nie in ihrer Karriere so deutlich wie hier: Waiting On The Heart ist ein guter Beleg dafür, setzt auf eine kokette Heiterkeit in der Stimme, die dann im Refrain beinahe fiebrig wird, bevor der Track nach 3 ½ Minuten zu einem beeindruckenden Zwischenspurt ansetzt.

Auch Howe Gelbs Beitrag, vor allem als Produzent, beweist immer wieder echte Könnerschaft. Mit vielen aufeinander geschichteten Gesangsspuren entwickelt der Rausschmeißer No Better Shoulder am Ende eine Energie und Beschleunigung, die man gar nicht kommen sieht. In Crescent Moon gibt es ein faszinierendes Zusammenspiel von Gesangs- und Klaviermelodie. Es klingt, als würden beide Hand in Hand gehen – aber nicht in einem romantischen Sinne, sondern als würden sie einander schützen und beistehen in einem dunklen, gefährlichen Wald, in dem der eine immer ein Stückchen ziehen muss, damit der andere folgt. Es braucht nicht viel Fantasie, um darin eine Metapher für die Arbeitsweise im Studio zu sehen bei diesem seltsamen Traumpaar.

Der Albumsampler zu Invisible Empire // Crescent Moon:

httpv://www.youtube.com/watch?v=nUGrnrr3WkE

Homepage von KT Tunstall.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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