Kylie Minogue – „Aphrodite – Les Folies Live In London“

Künstler Kylie Minogue

Las Vegas, Sandalenfilm, Fernsehballett - Kylie bietet in London ein irres Spektakel.
Las Vegas, Sandalenfilm, Fernsehballett – Kylie bietet in London ein irres Spektakel.
Album Aphrodite – Les Folies Live In London
Label EMI
Erscheinungsjahr 2011
Bewertung

Lauschen oder schauen? Das ist die erste Frage beim neusten Release von Kylie Minogue. Denn Aphrodite – Les Folies Live In London, das ab morgen erhältlich ist, umfasst sowohl eine DVD als auch zwei CDs.

Augenschmaus oder Hörgenuss? Rein quantitativ ist der Wettstreit zwischen akustischem und optischem Vergnügen zunächst ausgeglichen. 27 Titel mit insgesamt 116 Minuten Spielzeit bieten die zwei CDs von Les Folies – Live In London. Dem stehen knapp zwei Stunden Konzertmitschnitt auf der DVD gegenüber – plus eine halbstündige Dokumentation zur Konzeption der Tour, die Kylie Minogue in diesem Jahr durch fünf Kontinente führte. Mehr als 500.000 Fans kamen zu den Konzerten, mehr als 50 Millionen Dollar verdiente die Australierin dabei.

Worum es hier wirklich geht, das wird trotzdem schnell klar, wenn man die DVD einlegt. „The most magnificent tour I’ve ever been involved in“, nennt Kylie Minogue die insgesamt 79 Konzerte. Sie meint damit nicht den perfekten Klang im Saal, die exzellent eingespielte Band oder die ausgeklügelte Setlist. Sie meint: Größe. Pomp. Show. In einem kaum geahnten Ausmaß.

Der erste Applaus beim Konzert in London gilt dem Bühnenbild, und tatsächlich ist die Show vom Start weg an Opulenz kaum zu überbieten. Es gibt männliche Synchronschwimmer, Gladiatoren, korinthische Säulen, Trapezkünstler und Springbrunnen.

Auch die 43-Jährige selbst legt sich mächtig ins Zeug. Sie kommt nach vier Minuten in einer goldenen Muschel auf die Bühne – ebenso wie die schaumentstiegene Göttin, die dem aktuellen Album Aphrodite den Titel gab. Innerhalb der zwei Stunden trägt sie acht verschiedene Outfits.

Als sie auf die Bühne kommt, sieht sie aus wie Brunhild aus dem Nibelungenlied. Dann reitet sie als Bauchtänzerin auf einem goldenen Pegasus. Es folgt ein Ausflug Richtung Moulin Rouge, bevor sich Kylie Minogue in einen Weihnachtsengel mit Tunika und Sternchenkrone verwandelt. Die zweite Halbzeit beginnt sie in einem zerknitterten Metallkleid, das aussieht, als hätte sich einer der Sonnenkollektoren von Desertec selbstständig gemacht (übrigens: ein großer Teil der imposanten Bühne ist recyclebar). Anschließend schlüpft sie in einen goldenen Minirock, dann in Jeans-Hot-Pants und etwas, das wie eine Mischung aus Federboa und der unteren Körperhälfte von Samson aus der Sesamstraße aussieht. Zum Schluss singt Kylie im Badeanzug mit Elfenbein-Cape und perlenbesetzter Badekappe.

Unwichtig? Keineswegs. Im Pop geht es schon immer um mehr als das, was in der Musik steckt, und Kylie Minogue hat aus diesem Drumherum eine imposante Karriere gemacht. Niemand hat ihr etwas zugetraut, aber sie hat es allen gezeigt. Bei Les Folies – Live In London ist sie Domina und Nesthäkchen, die unumschränkte Königin dieses kunterbunten Hofstaats. Sie liebt es – und sie zeigt es.

Die Australierin wird auf Händen getragen, bekommt die Füße gewaschen, wird von quasi unbekleideten Sklaven in einem mit Strass besetzten Streitwagen über die Bühne gezogen und sogar auf den Schultern eines Engels in den Himmel und zu einem kleinen Rundflug über das Publikum entführt. Jeder auf (und viele hinter) dieser Bühne arbeitet härter als sie. Doch all die Tänzer mit ihren Adonis-Körpern, all die schillernden Kostüme (übrigens durchweg entworfen von Dolce & Gabbana), all die nackte Haut – nichts kann davon ablenken, wer diese Show in jedem Moment beherrscht. Kylie ist der absolute, strahlende Mittelpunkt.

Natürlich gibt es auch Musik. Die ist meist solide, mitunter auch einfältig bis beliebig. Wenn es mal einen wirklich guten Song gibt, dann ragt der sofort heraus. Spinning Around, das angerockte Can’t Get You Out Of My Head, die Coverversion des Eurythmics-Hits There Must Be An Angel, Love At First Sight, Better Than Today und For All The Lovers sind die Höhepunkte. Aber wie untergeordnet die Lieder hier sind, machen (um noch einmal auf den Anfang zurückzukommen) schon die reinen Zahlen deutlich. Auf jeden, der ein Instrument in der Hand hat, kommen auf dieser Bühne fünf andere Künstler. Die Band steht im Wortsinne durchweg im Schatten, und das ist auch nicht weiter schlimm.

Was zählt, ist die Show. Es sind mehr Leute auf der Bühne als sich bei manchem Clubkonzert im Publikum finden, und sie führen eine grandiose Mischung aus Las-Vegas-Show, Sandalenfilm und MDR-Fernsehballett auf. Was noch mehr zählt, ist Kylie. Es geht hier gar nicht darum, was sie singt und wie sie singt (obwohl sie sich sehr achtbar schlägt). Es genügt ihre Anwesenheit – da macht es auch nichts, dass ihre Gesangsparts gelegentlich von zwei anderen Sängerinnen (Roxy und Lucy) unterstütz oder gar übernommen werden.

Kylie Minogue ist zur Ikone geworden, für Pop an sich, für Kampf gegen Widrigkeiten, für Wandelbarkeit und vor allem für den festen Willen, sich den Spaß am Leben nicht vermiesen zu lassen. Nicht nur ihre Figur, sondern auch ihre Person ist so sehr mit dem Image der Pop-Göttin verschmolzen, dass man sich gar nicht vorstellen kann, Kylie Minogue könne nach so einem Konzert von der Bühne kommen, erleichtert die Stöckelschuhe ausziehen und die Extensions abklemmen, um dann in Birkenstocks und einen Jogginganzug zu schlüpfen und in aller Ruhe kacken zu gehen.

Womöglich tut sie das aber. Dass sie jedenfalls auch nur ein Mensch ist, macht die sehr sehenswerte Doku Just Add Water deutlich. Wie viel Kreativität und Arbeit hinter diesem Spektakel steckt, zeigt der Kurzfilm sehr eindrucksvoll. Er zeigt Kylie auch tatsächlich im Jogginganzug (aber natürlich nicht beim Kacken). Aber trotz der sehr informativen Hintergründe und witzigen Szenen wünscht man sich danach dann doch fast, man hätte sich das Bonusmaterial nicht angeschaut. Denn auch darum geht es ja im Pop: Die Illusion der Leichtigkeit. Und die beschwört Aphrodite – Les Folies Live In London beinahe in Perfektion herauf.

Das rockt: Kylie Minogue versieht Can’t Get You Out Of My Head beim Konzert in London mit etwas Pfeffer:

httpv://www.youtube.com/watch?v=uvZ8ddm24iU

Kylie Minogue bei MySpace.

Eine Kurzversion dieser Kritik gibt es auch bei news.de – zusammen mit einer hübschen Fotostrecke zu Kylie.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

5 Gedanken zu “Kylie Minogue – „Aphrodite – Les Folies Live In London“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.