Künstler | Lena | |
Album | Stardust | |
Label | Universal | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
Um ihr erstes Album bekannt zu machen, hatte Lena Meyer-Landrut ein ganzes Fernsehformat zur Verfügung (Unser Star für Oslo). Die Promotion für ihre zweite Platte konnte noch auf die 120 Millionen Zuschauer setzen, die ihren Auftritt als Titelverteidigerin beim Eurovision Song Contest 2011 in Düsseldorf sahen. Jetzt geht Album Nummer 3 an den Start, und um die Fans für sich zu begeistern, hat sie nur noch: sich selbst.
Stefan Raab, der Lena entdeckte, förderte und zur ersten deutschen ESC-Siegerin seit fast 30 Jahren machte, hat nichts mehr zu tun mit dieser Platte. Die 21-Jährige hatte selbst die Fäden in der Hand, hat alle Mitstreiter selbst ausgewählt und auch an neun der zwölf Songs mitgeschrieben. Es wäre eigentlich konsequent, wenn dieses Album Lena heißen würde. Es heißt aber Stardust. Das ist vielsagend für eine Künstlerin, der einst ein Lied namens Satellite den Durchbruch brachte. Vielleicht ist der Ruhm jetzt verglüht, vielleicht bleibt nur noch Sternenstaub – die Möglichkeit des Scheiterns scheint der Albumtitel schon mitzudenken.
Im Booklet der neuen CD dankt Lena Meyer-Landrut ihrer Plattenfirma dafür, „in ein drittes Casting-Album“ vertraut zu haben und zeigt damit, dass sie selbst nicht so recht mit einer Musikkarriere jenseits von Eurovision und Pro7 gerechnet hatte.
In der Tat hatte sich die Hannoveranerin schon entschlossen, das Singen lieber anderen zu überlassen und sich an der Universität Köln eingeschrieben, um sich dort fortan beispielsweise mit „Grundfragen der Erkenntnis- und Sprachphilosophie“ zu beschäftigen. Dann bemerkte sie aber, dass sie dort wohl die berühmteste Studentin seit mindestens Anne Will geworden wäre und die Idee mit dem Alltag doch nicht so gut funktioniert hätte. Dazu kam die Lust auf Musik nach ihren eigenen Regeln. „Ich wollte den Leuten beweisen, dass ich ganz cool bin, dass viel mehr in mir steckt“, hat sie dem Kulturspiegel gesagt.
Deshalb gibt es nun Stardust. Diese Entscheidung ist durchaus mutig, denn die Kurve der Lena-Begeisterung schien zuletzt noch deutlicher nach unten zu zeigen als das Interesse an Castingshows, denen Unser Star für Oslo doch scheinbar nachhaltig neues Leben eingehaucht hatte. Platz 10 beim ESC 2011 werteten manche als Enttäuschung. Die letzte Lena-Tournee wurde als Flop betrachtet, weil die Hallen nicht ausverkauft waren, obwohl Opel sogar noch Gratis-Tickets verteilte. Als ein Kollege von Spiegel Online das neue Album vorab vorgespielt bekam, begann er seinen Text dazu mit vier Worten, die das Risiko für Stardust auf den Punkt bringen: „Lena? Ist doch durch.“
In dieser Mentalität lauert die Gefahr für Lena. Es gibt wohl genug Leute, die sich freuen würden, wenn sich Stardust als Rohrkrepierer entpuppt, der die 21-Jährige als längst langweilig gewordenes Medienphänomen entlarvt. Zumal die Messlatte verdammt hoch hängt. Ihre beiden ersten Alben haben jeweils Platinauszeichnungen bekommen, zeitweise hatte Lena sechs Lieder gleichzeitig in den deutschen Top100. Es wäre verständlich gewesen, wenn es Lena Meyer-Landrut dabei belassen hätte. Stattdessen sagt sie jetzt über Stardust: „Ich bin ehrgeizig geworden, was ich vorher nicht so von mir kannte. Ich möchte gerne, dass es erfolgreich wird, weil: Das ist, was jetzt ich mache.“ Schauen wir uns die neue CD also an, Lied für Lied.
Stardust: Der Auftakt ihres dritten Albums ist enorm selbstbewusst: nur Schlagzeug, ein paar Klaviertöne und die unverwechselbare Stimme von Lena. Dazu kommen clevere Details wie das Glockenspiel, die leichte Variation des Gesangs am Schluss und natürlich ein umwerfender Refrain, mindestens so groß wie die Stadionhymnen von Coldplay. „Als ich das Lied zum ersten Mal gehört habe, war das Album eigentlich schon fast fertig. Aber hier hat echt alles gestimmt: Der Text ist wunderschön. Die Melodie ist toll“, schwärmt Lena über das Lied aus der Feder der Amerikanerin Rosi Golan, zugleich erste Single des Albums. „Musikwissenschaftler sprechen hier von einem sogenannten ‚Sehr-sehr-sehr-gute-Laune-Lied’“, scherzt Lena – und sie hat völlig Recht.
Mr. Arrow Key: Das Lied hat eine fast naive Unbeschwertheit im Stile von Lily Allen, aber einen alles andere als heiteren Text. Lena singt darüber, wie es sich anfühlt, wenn man erschöpft ist, überall herumgereicht wird und nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht. Mr. Arrow Key soll jemand sein, der Orientierung gibt und Vertrauen schenkt. „Jemand, der sagt: Das ist der richtige Weg“, erklärt die 21-Jährige. Manchmal braucht es einen guten Rat, damit man sich selbst wieder aufrichten kann – diese Erkenntnis setzt sie hier in einem herrlich munteren Swing-Sound um. Geschrieben hat sie das Lied gemeinsam mit der Schwedin Miss Li: „Die Sessions mit ihr waren superschön, weil wir viele 60er-Einflüsse drin hatten. Leichte Beatles-Geschichten, Trompeten, erdige Instrumente. Mein Anspruch war: Ich möchte gerne, dass man die Instrumente erkennt, wenn man das Lied hört.“
Pink Elephant: Diesen Anspruch hört man auch Pink Elephant an, das schmissig, eingängig und am Ende erstaunlich ausgelassen wird. Produziert wurde das Lied (wie vier weitere auf Stardust) von Sonny Boy Gustafsson, dem Ehemann von Miss Li. „Die müssen ein Gen für Pop haben“, sagt Lena über die Schweden. Pink Elephant handelt von einem Mädchen, das versucht, grazil zu sein, aber sich eher verhält wie der berühmte Elefant im Porzellanladen. „Ob das jetzt ich bin oder jemand anders, ist eigentlich egal“, sagt Lena. „Das Mädchen ist trampelig, aber sie hat Spaß daran und genießt das Leben.“
Neon (Lonely People): Auch hier hat Lena mitkomponiert, und das Ergebnis ist beeindruckend souverän und sexy. Erzählt wird eine Allerweltsszene, ein Flirt im Club, die Erkenntnis, dass man sich manchmal auch mitten in der Menge sehr einsam fühlen kann. Das Neonlicht über der Tanzfläche ist am Ende die einzige Orientierung, der letzte Hoffnungsschimmer für die Nachtschwärmer. Es sind wohl Lieder wie Neon, die den Rolling Stone zum Fazit gebracht haben, diesmal gehe es „wirklich um Lena, nicht um Stefan Raabs Vorstellung von Lena“.
Better News: Auch hier ist der Text beachtlich, denn er zeigt, dass man manchmal bloß unzufrieden ist, weil man maßlos ist. Die Musik setzt in der Strophe auf eine kleine Dosis Reggae und im unwiderstehlichen Refrain auf eine gute Dosis Avril Lavigne. Geschrieben hat Lena das Lied übrigens gemeinsam mit Ian Dench, der vor mehr als 20 Jahren als Gitarrist von EMF mit Unbelievable einen Riesenhit hatte und danach unter anderem für Shakira und Beyoncé gearbeitet hat.
Day To Stay: Das Lied, das ursprünglich ganz am Ende von Stardust stehen sollte, ist eine zauberhafte Ballade rund um die Idee, bei Mistwetter einfach im Bett zu bleiben und es sich gemeinsam mit dem Liebsten gut gehen zu lassen. Das Lied beginnt zart und zuckersüß und mündet dann in einem großen Finale mit Bläsern in bester Beatles-Manier. Seit sie in der Öffentlichkeit steht, habe sie eine „total emotionale und volle Zeit“ durchlebt, sagt Lena – in Day To Stay hört man am deutlichsten, wie sehr sie sich nach Ruhe, Abstand und einer Möglichkeit zum Reflektieren gesehnt hat.
To The Moon: Gemeinsam mit Alexander Schroer (Mobilée) hat Lena hier eine Liebeserklärung geschrieben, die alles auf einer Karte setzt. „Meine Welt ist besser, wenn du da bist“, lautet die Botschaft an den Liebsten, für den sie sogar bis zum Mond fliegen würde. Musikalisch ist To The Moon eines der wenigen Lieder, die nicht gut oder sehr gut sind, sondern nur passabel. Dafür kann Lena hier als Sängerin glänzen. „Lena nimmt die Emanzipation zur Songwriterin mit kleinen, aber spürbaren Schritten in Angriff. Das merkt man schon allein daran, dass sie sich nicht mehr so stark wie früher hinter Manierismen wie ihrem exaltierten englischen Akzent versteckt“, hat Spiegel Online richtig erkannt.
Bliss Bliss: Auch etwas schwächer als der Durchschnitt von Stardust ist dieses Lied, dessen Refrain stark an Ching Ching Ching von Nikka Costa erinnert. Produziert hat den Song übrigens Swen Meyer (Kettcar), der auch bei sechs weiteren Liedern den Sound bestimmte.
ASAP: Auch hier zeigt sich Lena als ungeduldige, fordernde Verliebte. Das Duett mit Miss Li ist sehr gute, moderne Popmusik, die sich längst nicht damit begnügt, auf bekannte Schablonen zu setzen. Miss Li lobt übrigens explizit den Gesang von Lena, auch wenn der nicht jedermanns Geschmack ist: „Es kommt doch vor allem darauf an, dass eine Stimme Charakter hat. Neil Young oder Bob Dylan sind auch keine brillanten Sänger – aber eben sehr besondere. Und Lenas Stimme hat zweifelsfrei etwas Interessantes.“
I’m Black: Spätestens mit diesem Lied kriegt Stardust wieder die Kurve. Die Strophe schwankt zwischen Flüstern und Rappen, der Refrain nimmt sich viel Raum, das Ergebnis ist wundervoll organisch und leidenschaftlich. Im Text singt Lena anscheinend über unnötige Streitereien, in denen man sich noch unnötigere Verletzungen zufügt.
Goosebumps: „Ein Lied, das für mich sehr emotional ist. Ein Herzenslied“, sagt Lena über Goosebumps. Wieder thematisiert sie die Sehnsucht nach Nähe, Wärme und Sicherheit. Ein sanftes Schlagzeug, akustische Gitarren, ein Cello und ein Kontrabass (der sogar ein kurzes Solo bekommt) sorgen für die passende Atmosphäre. Dass Lena zwei Jahre nach My Cassette Player so reif klingen könnte, hätten wohl niemand gedacht.
Don’t Panic: Ein versehentlich ausgelöster Feueralarm in London gab den Anstoß für dieses Lied, das Lena mit Johnny McDaid (Snow Patrol) geschrieben hat. „Mit Johnny zu schreiben war supertoll. Ich habe Snow Patrol vorher gar nicht so richtig wahrgenommen“, erzählt Lena. Nachdem sie die Band live gesehen hat, war sie aber „innerhalb von einer halben Stunde der totale Fan.“ Der Trubel nach dem ausgelösten Alarm kann auch gut als Metapher für das Leben im Rampenlicht gelesen werden. Ein bisschen Revue-Feeling kommt dabei auf und viel gute Laune. Und, Skandälchen: Die niedliche Lena singt das böse Wort „fuck“.
Hidden Track: Womöglich als Wiedergutmachung für die ganz jungen Fans gibt es nach 20 Sekunden Pause zum Abschluss von Stardust noch eine Überraschung: Auf Schwedisch singt Lena das Lied Lille Katt (Kleine Katze), bekannt aus dem Soundträck von Michel in Lönneberga. Das ist sehr putzig und passt durchaus zum Charakter des Albums und dem neuen Lena-Prinzip: Sie macht, worauf sie Lust hat.
Fazit: Stardust ist viel, viel besser als man es sich jemals hätte erträumen lassen, als Lena noch über die Pro7-Castingbühne hopste und Songs von Adele oder Kate Nash interpretierte. Jetzt sind ihre eigenen Lieder so gut wie die der Vorbilder. Sie hat etwas zu sagen, sie hat stimmlich neue Facetten entwickelt und sich dabei ihren Charme erhalten. Radiosender müssten begeistert sein von diesen Liedern, auch ohne den Hintergrund als Fräuleinwunder, Liebling der Nation und größtem Castingstar der Republik. Lena macht hier Pop mit solcher Selbstverständlichkeit und Stilsicherheit wie sonst kaum jemand in Deutschland. Stardust bringt in Erinnerung, dass sich die Nation einst nicht wegen des Konzepts von Unser Star für Oslo oder wegen der Retortenhits aus dem Hause Stefan Raab in sie verliebt hat. Sondern weil sie Lena ist.
Eine Kurzversion dieser Rezension als Fotostrecke gibt es bei news.de.
Ein Gedanke zu “Lena – „Stardust“”