Künstler | Leonard Cohen | |
Album | Recent Songs | |
Label | Columbia | |
Erscheinungsjahr | 1979 | |
Bewertung |
„Hier muss gesagt werden, dass es falsch ist, wenn man nur jene Menschen Selbstmörder nennt, welche sich wirklich umbringen. Unter diesen sind sogar viele, die nur gewissermaßen aus Zufall Selbstmörder werden, zu deren Wesen das Selbstmördertum nicht notwendig gehört. Der ‚Selbstmörder‘ braucht nicht notwendig in einem besonders starken Verhältnis zum Tode zu leben – dies kann man auch tun, ohne Selbstmörder zu sein. Aber dem Selbstmörder ist es eigentümlich, dass er sein Ich, einerlei, ob mit Recht oder Unrecht, als einen besonders gefährlichen, zweifelhaften und gefährdeten Keim der Natur empfindet, dass er sich stets außerordentlich exponiert und gefährdet vorkommt, so, als stünde er auf allerschmalster Felsenspitze, wo ein kleiner Stoß von außen oder eine winzige Schwäche von innen genügt, um ihn ins Leere fallen zu lassen. Diese Art von Menschen ist in ihrer Schicksalslinie dadurch gekennzeichnet, dass der Selbstmord für sie die wahrscheinlichste Todesart ist, wenigstens in ihrer eigenen Vorstellung. Andrerseits ist allen Selbstmördern auch der Kampf gegen die Versuchung zum Selbstmord vetraut. Jeder weiß, in irgendeinem Winkel seiner Seele, recht wohl, dass Selbstmord zwar ein Ausweg, aber doch nur ein etwas schäbiger und illegitimer Notausgang ist, dass es im Grunde edler und schöner ist, sich vom Leben selbst besiegen und hinstrecken zu lassen als von der eigenen Hand.“
Wenn Leonard Cohen diesen Auszug aus Hermann Hesses Steppenwolf kennt, wird er sich darin wohl selbst erkannt haben. Schließlich hat er seine Songs einmal selbst als „pathologische Töne“ bezeichnet. Auch seine Sicht auf das Leben deutet darauf hin: „Ich denke, dass jeder sein Leben als Ausnahmezustand, als Krise erlebt. Existenzielle Nöte stehen im Vordergrund.“
Dieses Leiden am Leben hat er mit Platten wie Songs Of Love And Hate mit minimalem musikalischen Aufwand vertont. Auf Recent Songs kehrt er zu dieser Methode zurück. „Wohltemporierte Sophistication und dionysische Direktheit“ hat der Rolling Stone auf Recent Songs gefunden. Der Kanadier steht mit seinen Liedern „von suizidaler Düsternis, randvoll mit Opferblut und gespickt mit religiösen und anderen wahrhaften Wahrnehmungen“ wieder „draußen im Leben, allein mit Schuld und Sühne und der ganzen gottverdammten Religion.“
Cohen teilt also wieder das Schicksal des Steppenwolfs. Er weiß, dass er kein Heiliger sein kann, und möchte deshalb wenigstens ein Sünder sein, doch dafür ist er viel zu sehr Heiliger. „Psalme eines Ungläubigen“, sind Cohens Texte deshalb für den Rolling Stone. Dass er um sein Dilemma weiß, macht gleich der Opener The Guests klar: „And those who are earnestly lost / are lost and lost again.“ Cohens Gitarrenpicking, dazu die Orgel, Geige und Abraham Laboriels famoser Bass wühlen den Hintergrund auf, Jennifer Warnes betört im Refrain. „I need you“ singt sie, immer und immer wieder. Am Schluss „I need you now“.
Dieses Zwingende, diese Konsequenz und Unnachgiebigkeit macht Leonard Cohens Texte so unerreicht wahrhaftig und plastisch. Die Verkörperung dieser Qualität in fünf Buchstaben ist das Wort „naked“, das in seiner Lyrik so unglaublich häufig auftaucht. Zuerst in Humbled In Love, das sich Tom Waits annähert, wo Cohens Stimme noch sonorer, das Saxophon müde und der Bass so tief klingt, dass man ihn fast nicht mehr hören kann. Auch in Came So Far From Beauty taucht „naked“ auf, und hier ist auch der ganze Song ohne Verkleidung, Cohens Stimme ohne Schutz und Scham. „I came so far for beauty / I left so much behind / my patience and my family / my masterpiece unsigned / I thought I’d be rewarded / for such a lonely choice / and surely she would answer / to such a hopeless voice / I practiced on my sainthood / I gave to one and all / but the rumours of my virtue / they moved her not at all.“ Die Musik ist nur Klavier und Bass, fast ein kleines Nachtreten gegen Phil Spector, der die Vorgängerplatte Death Of A Ladies‘ Man mit reichlich Streichern, Bläsern und Keyboards bestückt hatte.
Hier bleiben die meisten Songs gewohnt spartanisch instrumentiert. Einzige Ausnahme ist The Lost Canadian (un canadien errant), das eine ganze Mariachi-Band einsetzt und auch wegen des unorthodoxen Takts ein wenig herausfällt. Das Stück geht auf eine Erzählung aus dem Jahr 1842 zurück, in der Paul Gerin-Lajoie den kanadischen Bürgerkrieg schildert.
Gekämpft wird auch im folgenden The Traitor. „The judges said, you missed it by a fraction / rise up and brace your troops for the attack / the dreamers rise against the men of action / oh see the men of action falling back.“ Selten klang Leonard Cohens Stimme so sanft und versöhnlich, selten war auch seine Lyrik so rührend und idyllisch. Nicht so körperlich, womöglich aber endgültiger ist der Verlust in The Gypsy’s Wife; nicht so schmerzhaft, womöglich aber tragischer in The Smokey Life. „So set your restless heart at ease / take a lesson from these autums leaves / they waste no time waiting for the snow“, singen Leonard Cohen und Jennifer Warnes irgendwie gemeinsam, irgendwie aber auch aneinander vorbei. Traumhaft.
Das Ende ist erstaunlich versöhnlich. In Ballad Of The Absent Mare geht es ums Wiederfinden, ums sich-gemeinsam-treiben-lassen, um den Weg als Ziel, an dem der Steppenwolf Leonard Cohen so sehr verzweifelt, an den er sich aber doch so sehr klammert und den er sich auch in seiner Lyrik nie so recht erklären kann. Aber wie singt er doch am Ende von The Window? „Oh bless the continuous stutter / of the word being made into flesh.“
So viel ich weiß, ist das eines der absoluten Lieblingslieder meiner Eltern. Auch sonst extrem romantisch: The Guests, live im deutschen Fernsehen:
httpv://www.youtube.com/watch?v=zxj5fvHpCpc
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