Marissa Nadler – „The Sister“

Künstler Marissa Nadler

Mehr Mut, weniger Herzschmerz - das ist das Prinzip von "The Sister".
Mehr Mut, weniger Herzschmerz – das ist das Prinzip von „The Sister“.
Album The Sister
Label Box Of Cedear
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung

Sie will nicht mehr so oft über Liebeskummer singen, sagt Marissa Nadler. “Heartbreak is a great muse, but it can wear you down,” hat sie nach sechs Alben und zwei EPs festgestellt, auf denen es jede Menge davon gab. “For The Sister, I realized I had muses all around me, whether it was childhood, betrayal, friendships, new love, nature, or hope. The narrator’s stronger in my songs now, and more able to bounce back if they choose to.”

Und trotz dieses Bekenntnisses lautet die erste Zeile auf The Sister ausgerechnet: “You say you’d need a wrecking ball / to break the cement around the heart.” Das dazugehörige The Wreecking Ball Company ist schon wieder ein Lied über die Unmöglichkeit von Liebe. Im Refrain singt Marissa Nadler mindestens genauso hoch wie Heather Nova, erst ganz spät gesellt sich zu ihrem Gitarrenpicking ein Schlagzeug, das sich kaum selbst tragen kann, als werde es erdrückt von etwas Schwerem und einer Schwere. Das ganze Lied klingt, als komme es von einem Ort, der ganz weit entfernt ist vom hier und jetzt.

The Sister ist mit acht Tracks so etwas wie ein Mini-Nachfolger ihres im Jahr zuvor erschienenen Albums Marissa Nadler. Die 31-Jährige aus Boston beschreitet hier den Weg weiter zu mehr Vielfalt und Selbstvertrauen, aber sie kann eben nicht anders als in ihren Songs immer wieder ihre ganze Sensibilität zu offenbaren. “I wanted the starkness of every song to reflect the lyrical content”, sagt sie über The Sister. “Some of my biggest influences are confessional songwriters. It’s always been a very powerful thing to listen to Elliott Smith and Joni Mitchell, and feel so much from their stories.”

Solche Geschichten gibt es auch hier, beispielsweise die von Constantine, einem fiktiven Rockstar, der auf seine glorreichen Zeiten zurückblickt und kaum mehr glauben kann, wie frisch, jung und unschuldig damals alles war. Wie ein Roadmovie klingt dieses Lied, in schwarz-weiß.

Auch Love Again, There Is A Fire durchzieht dieses Geisterhafte, das dem Lied eine beinahe religiöse Stimmung verleiht. Engelsgleich ist ihr Mezzosopran in To A Road, Love, begleitet fast nur von einer Akustikgitarre und dem Cello von Helena Espvall. Etwas herber und beinahe versöhnlich wird ihre Stimme im sphärischen In A Little Town. Wenn Marissa Nadler in Apostle ein Zuhause besingt, dann klingt es, als ob sie schon da ist und erlöst und sich trotzdem zugleich noch nach der Heimkehr sehnt – einfach, weil sie das Gefühl der Sehnsucht und einer Verheißung so sehr liebt.

Es sind diese Zwischentöne, die The Sister so reizvoll machen, und dazu kommen Momente, in denen man Marissa Nadler tatsächlich anmerkt, wie groß ihr Mut mittlerweile ist – zumindest in künstlerischer Hinsicht. „I have bouts of extreme social anxiety, stage fright, and crippling shyness. I can hardly even order coffee at a coffee shop; I order the easiest thing to say out loud”, gesteht sie. “In my songwriting, though, I feel freer to write what I want every year.”

Der Rausschmeißer Your Heart Is A Twisted Vine ist ein guter Beleg dafür. Wieder ist das Lied auf dem Picking von Marissa Nadler aufgebaut, aber die Gesangsmelodie ist hoch komplex und im Echo der E-Gitarre im Hintergrund scheint ein großes Geheimnis zu liegen. Auch Christine setzt auf einen ähnlichen Effekt: Das Picking hat ein große, beinahe sommerliche Leichtigkeit, doch dazu kommt ein ganz tiefer Ton vom Kontrabass, der spürbar gegen diese Atmosphäre ankämmpft und dem Lied viel Schwere und Bedeutung verleiht, sodass der Song immer wieder runtergezogen wird, um dann neu emporzuschweben.

Es ist diese Klasse, die The Sister zu einem besonderen Singer-Songwriter-Album macht, und natürlich die unverwechselbare Stimme von Marissa Nadler, die auch diesmal jederzeit im Zentrum steht und einen noch immer erstaunlichen Effekt hat: Diese acht Lieder klingen so intensiv, als würde Marissa Nadler sie dir direkt ins Ohr singen.

Verwirrend, intensiv und besonders – so ist auch das Video zu Your Heart Is A Twisted Vine:

httpv://www.youtube.com/watch?v=LfyXuZuOOIg

Homepage von Marissa Nadler.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.