Künstler | Nirvana | |
Album | Unplugged In New York | |
Label | Geffen | |
Erscheinungsjahr | 2007 | |
Bewertung |
Am Anfang steht ein Kamera-Schwenk durchs Publikum. Da sitzen Leute, die wie Skater aussehen und Leute, die ihr Geld wohl als Software-Entwickler verdienen. Heavy-Metal-Fans und Henry-Miller-Fans. Und ein Duo in der ersten Reihe, dass verdammt danach aussieht, als handele es sich dabei um die Eltern des Bassisten.
Es war ein besonderer Abend in den New Yorker Sony Music Studios. Perfekt in seiner Ikonographie und Dramaturgie. Er brachte die ganze Größe und das ganze Dilemma von Nirvana auf den Punkt. 138 Tage später wurde er noch ein bisschen legendärer. Und Kurt Cobain war tot.
Wer will, kann in dem gut einstündigen Auftritt schon Hinweise darauf finden. Die Dekoration mit vielen Kerzen und weißen Lilien erinnert stark an eine Beerdigung. Dazu die Texte: „I swear that I don’t have a gun“ singt Cobain hier noch, kurz darauf noch mysteriöser: „Don’t expect me to die for thee.“
Das Leid sieht man dem Mann an, der damals noch keine Legende, aber bereits eine Ikone war. Cobain ist bereits reichlich zerquetscht vom unsinnigen, aber selbst formulierten Postulat, dass sich Glaubwürdigkeit und Massenwirkung ausschließen müssen. Vor allem am Anfang der Show wirkt er zwischen den Songs unsicher, nervös, affektiert und inszeniert. Seine genuschelten Ansagen schwanken zwischen Zynismus, Selbstironie und Kumpel-Humor mit den anderen Bandmitgliedern. Oft überbrückt Cobain die Pausen auch bloß mit nervösem Geklampfe. Nur wenn er seine Lieder singt, scheint er bei sich selbst zu sein.
Und was sind das für Lieder! Jesus Don’t Want Me For A Sunbeam gerät grandios, Pennyroyal Tea und Something In The Way sind sagenhaft intensiv, Lake Of Fire und Where Did You Sleep Last Night sind nichts weniger als die perfekte Vertonung des Schmerzes. Diese Unplugged-Show wurde keineswegs nur deshalb so legendär, weil sich der damals größte Rockstar der Welt kurz darauf den Schädel wegschoss. Die Musik hier ist stark genug, um jede Jubel-Arie zu rechtfertigen. Und die DVD ist ein eindrucksvoller Beleg dafür.
Alles ist hier drauf: die Zigarettenpausen, der kurze Ausflug ins Sweet Home Alabama mit den Meat Puppets, der Fehlstart in All Apologies. Dazu gibt es Bonusmaterial wie einen informativen MTV-Beitrag, der Beteiligte und Fans zu Wort kommen lässt, Ausschnitte aus den Proben, die Einblicke in die Interaktion der Band gewähren, und die um zwei Lieder gekürzte Original-MTV-Show.
Vor allem aber macht die DVD deutlich, dass in diesem Konzert die ganze Zerrissenheit von Nirvana zum Ausdruck kam: Kurt Cobain war ein Anarchist, der bei dieser wichtigen Show sechs Cover-Versionen spielte, nur zwei Singles und nur einen Hit. Er zeigt ein gähnendes Desinteresse am Publikum, kann aber zugleich seine riesige Eitelkeit kaum verbergen. Er findet es ganz offensichtlich verwerflich, ein Konzert für den Moloch MTV zu spielen, tut es aber doch.
Das Dilemma gipfelt kurz vor Schluss in seiner halbherzigen Frage nach Wünschen der Fans. Von all den Zwischenrufen, von all der Erwartungshaltung, fühlt er sich plötzlich überfordert. Auch seine Reaktion ist ein Fingerzeig auf das, was knapp fünf Monate später passieren sollte: „Fuck you all. This is the last song.“
Sagenhaft intensiv: Where Did You Sleep Last Night:
httpv://www.youtube.com/watch?v=4xHl-P_arVA
3 Gedanken zu “Nirvana – „Unplugged In New York“”