Hingehört: Noah & The Whale – „Last Night Of Earth“

Die Ukulele muss auf "Last Night On Earth" draußen bleiben.
Die Ukulele muss auf „Last Night On Earth“ draußen bleiben.
Künstler Noah & The Whale
Album Last Night On Earth
Label Young And Lost Club
Erscheinungsjahr 2011
Bewertung ***1/2

Ich habe keine Ahnung, was man in Palo Alto für eine Vorstellung von Country hat. Aber Last Night On Earth ist definitiv NICHT Country, auch wenn iTunes das dritte Album von Noah & The Whale als eben solchen klassifiziert.

Ein klein wenig kann man diese Kategorie freilich verstehen. Schließlich hat die Band um Frontmann Charlie Fink einen nicht unwesentlichen Anteil daran, dass akustische, bodenständige, authentische Musik insbesondere in England in den vergangenen Jahren wieder schwer angesagt war. Mumford & Sons, Laura Marling (Ex-Mitglied bei Noah & The Whale und Charlies Ex-Freundin, übrigens), Emmy The Great – sie alle sind ohne dieses Quartett aus London nur schwer vorstellbar. Und sie alle haben, auf die eine oder andere Weise, eine moderne Version von Country gemacht.

Noah & The Whale lassen das auf Last Night On Earth (der Titel verweist auf einen Gedichtband von Charles Bukowski) allerdings alles hinter sich. Statt die Welle weiter zu reiten, die sie selbst gestartet haben, setzen sie sich ein neues Ziel. Und das heißt: Pop. Schamloser, theatralischer Pop.

“From the beginning I wanted to write a record that had that excitement of being young and being in the night”, erklärt Charlie Fink die neue Herangehensweise. „I think it’s that naivity — that feeling that things are happening everywhere except where you are, wondering what’s out there in the wide world. It’s when you’re on a bus, you don’t know where you’re heading, you don’t know what’s at the end of it, and you have this fantasy that whatever’s at the end of it is going to be remarkable and magnificent.”

Pop ist schlicht der beste Sound, um diese Ungeduld, dieses Fieber, diese brennende Zuversicht zu vertonen. Die Geige erklingt auf Last Night On Earth zwar noch ab und zu, etwa im Intro zum hübschen Just Before We Met. Aber die Ukulele, die noch tragendes Instrument bei Hits wie Five Years Time war, muss diesmal draußen bleiben.

Stattdessen gibt es höchst ungewohnte Sounds. Der luftige Opener Life Is Life probt gleich die ganz große Geste und fährt einen Gospelchor auf. Danach klingt Tonight’s The Kind Of Night mit seinem energischen Piano wie ein vergessener Disco-Klassiker. Später macht Waiting For My Chance To Come den Killers alle Ehre, das höchst eingängige Give It All Back hat offensichtlich gar kein Problem damit, wenn man „Bubblegum“ dazu sagt.

Auf dem Papier mag das seltsam klingen, erst recht, wenn man noch die Koordinaten für diese Soundlandschaft feststeckt: Das herrliche L.I.F.E.G.O.E.S.O.N. belehnt den Tom Petty der späten 1980er Jahre, Wild Thing mit seiner sehnsüchtig-verlorenen Gitarre könnte ein Track von Roxy Music sein. Auch die Großtaten von Michael Jackson schimmern ein paar Mal durch – kein Wunder: Beim epischen Rausschmeißer Old Joy singen die Water Sisters mit, die einst auch schon Jackos Wanna Be Starting Something veredelt haben.

Doch trotz so viel Eighties-Ästhetik funktioniert Last Night On Earth. Das ist nicht nur der Stilsicherheit von Noah & The Whale zu verdanken, und auch nicht in erster Linie der melodischen Klasse dieser Lieder („If anyone still bought singles, there would be at least six sure-fire megahits here“, merkt der NME ganz richtig an). Sondern vor allem auch den Texten von Charlie Fink. Er schafft es tatsächlich, Stimmungen zu erzeugen, Charaktere zu entwerfen und Geschichten zu erzählen, die glaubwürdig sind – egal, ob die Klangkulisse dazu Bryan Adams oder Gloria Gaynor evoziert. “Just people songs”, antwortet Fink, wenn er seine Themen benennen soll. “These are simple stories, so you could tell them in hundreds of different ways, and the way you tell them, that’s sort of the music.”

Das Video zu L.I.F.E.G.O.E.S.O.N. zeigt: Noah & The Whale haben nicht nur die Achtziger entdeckt, sondern auch Twin Peaks:

httpv://www.youtube.com/watch?v=fbGUEelmzxo

Noah & The Whale bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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