„Oh, dieser Sound – Stars spielen Superpunk“

Künstler Diverse

Man darf gewiss sein: Der Mann auf diesem Rad zieht gleich seinen Hut.
Man darf gewiss sein: Der Mann auf diesem Rad zieht gleich seinen Hut.
Album Oh, dieser Sound – Stars spielen Superpunk
Label Tapete
Erscheinungsjahr 2011
Bewertung

Tribut ist ein seltsames Konzept. Der Lateiner weiß, dass der „tribus“ eine Steuer war, die man zu entrichten hatte. Meist wurde der Tribut im antiken Rom von besiegten Völkern eingefordert – und die lieferten dann nicht nur Geld ab, sondern bezeugten dabei gleich auch noch Anerkennung, Verehrung, Bewunderung. Wer Tribut zollt, der sagt also: Danke, dass Du mich geschlagen hast. Danke, dass Du so stark bist, dass Du mich zur Unterwerfung zwingen kannst.

Dieses Prinzip lässt sich durchaus auch auf Tribut-Alben übertragen. Wer da seinen großen Helden huldigt, der fällt musikalisch auf die Knie und sagt quasi: Du hast mich zu dem gemacht, der ich bin. Ich wünschte, ich könnte sein wie Du – aber wenn ich Dir wirklich nah sein möchte, bleibt mir nichts übrig, als mich im Nachahmen zu versuchen.

Im Fall von Oh, dieser Sound – Stars spielen Superpunk ist dieser Gestus besonders putzig. Denn unter den sage und schreibe 20 Künstlern, die den Top Old Boys aus Hamburg hier ihre Aufwartung machen, sind gleich mehrere, die Superpunk in puncto Erfolg und Einfluss locker in den Schatten stellen. Madsen, Fettes Brot und, jawohl: Jasmin Wagner – sie alle blicken auf Top10-Alben zurück, ziehen auf Oh, dieser Sound aber trotzdem bereitwillig den Hut vor Superpunk, obwohl die doch vergleichsweise weit weg von den Hitparaden sind.

„Ich hätte nichts dagegen, wenn wir ein bisschen größer werden, immer mehr Platten verkaufen und vor immer mehr Leuten spielen. Diesen Ehrgeiz sollte man haben. Ich muss nicht unbedingt Nummer 1 in den Charts sein, aber ich wäre schon froh, wenn wir mal Platz 99 wären“, hatte mir Sänger Carsten Friedrichs vor einer Weile im Interview gesagt. Und im selben Gespräch dann seine Band auf eine Stufe mit den Beatles gestellt – genau diese Mischung aus Größenwahn und Ungeschick ist es, die einen gewaltigen Teil des Superpunk-Charmes ausmacht.

Dem erliegen die Stars hier gleich reihenweise. Oh, dieser Sound ist nicht weit weg von einem Who Is Who der nördlicheren deutschen Popkultur, und lässt leicht verstehen, was den Superpunk-Sound so faszinierend macht: Die Songs aus rund 15 Karrierejahren bieten reichlich Identifikationspotenzial. Sie sind stark genug, um auch ohne den Feuereifer ihrer Schöpfer zu funktionieren – und erweisen sich auf diesem Tribut-Album als erstaunlich wandelbar. Es wird übersetzt (Oh, dieser Sound bietet Superpunk auf Englisch, Italienisch und Österreichisch) und variiert, das Spektrum reicht von Beinahe-Jazz bis Beinahe-Reggae.

Fettes Brot leben mit Man kann einen ehrlichen Mann nicht auf seine Knie zwingen ihre Liebe zum Rock aus. Die Sterne peppen Ich weigere mich aufzugeben mit Bläsern und Rocksteady-Beat auf. Tele geben sich für Jasmin Wagner als Backing-Band her und verleihen Oh, dieser Sound gemeinsam mit dem Ex-Blümchen eine gute Prise Erotik. Madsen zeigen sich bei Matula hau mich raus von ihrer ruppigsten Seite. Einen ordentlichen Arschtritt haben auch die Aeronauten ihrem Beitrag verpasst: Baby, ich bin zu alt bekommt mächtig Stomp. Und Ja, ich bereue alles versehen Anajo mit genau dem richtigen Mix aus Aufrichtigkeit und Augenzwinkern.

Neben all dem hörbaren Spaß an der Sache gibt es auch ein paar wirkliche Überraschungen. Egotronic machen aus Die Bismarck ein Party-Brett. Beau Rivage kriegt in der italienischen Übersetzung von Tele ein fein mediterranes Flair. Dank der traumhaften Stimme von Julia Wilton schafft es Das Bierbeben, aus Allein in eisigen Tiefen ein famos reduziertes Dokument der Tragik zu machen, irgendwo zwischen NDW und The XX. Sogar ein Milli-Vanilli-Sample schmuggeln Station 17 in Neue Zähne für meinen Bruder und mich hinein. Der helle Wahnsinn ist Das Feuerwerk ist vorbei, das von der Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune sagenhaft deprimiert, schwer und morbid interpretiert wird.

Vor allem aber zeigt Oh, dieser Sound: Keiner der hier versammelten Acts schafft es mit seiner Version, das Superpunk-Original zu übertreffen. Dann ist ein Tribut wahrscheinlich wirklich angebracht.

Noch einmal die echten Superpunk: Matula hau mich raus, live im Ilses Erika in Leipzig:

httpv://www.youtube.com/watch?v=hPkP10Mnn3Y

Superpunk bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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