Künstler | Paul McCartney | |
Album | Ram (Deluxe Edition) | |
Label | Universal | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
Seit Paul McCartney kein Beatle mehr ist, sagt man seinen Alben gerne einen Mangel an Ehrgeiz nach. Er begnüge sich allzu schnell mit hübschen Liebesliedern, Seichtigkeit, Wohlklang. Wenig bis nichts reiche noch an die Kreativität, den Forscherdrang, das Einzigartige der Beatles-Ära heran.
Bei Ram, im Mai 1971 als zweites Soloalbum von Paul McCartney erschienen, kann davon keine Rede sein. Die Beatles waren endgültig Geschichte, und der damals gerade 28-Jährige hatte durchaus etwas zu beweisen. Erstmals seit vielen Jahren war seine musikalische Unfehlbarkeit infrage gestellt worden. Sein Solo-Debüt McCartney hatte die Kritik fast einhellig zerrissen. „Meist hört man nur einen Mann allein in einem kleinen Aufnahmestudio, der sich an ein paar halbfertigen Songs mit viel Instrumentalbegleitung versucht“, schrieb beispielsweise der Melody Maker. Schlimmer noch: John Lennon höchstpersönlich reihte sich in den Chor der Nörgler ein. „Ich fand, Pauls Album ist Mist“, sagte er dem Rolling Stone in einem legendären Interview, in dem er McCartney auch noch als Engelbert-Humperdinck-Musik schmäht.
Das konnte Paul natürlich nicht auf sich sitzen lassen, zumal in einer Zeit, in der die vier Beatles fast nur über ihre Anwälte kommunizierten und mit ihren ersten eigenen Werken in einen musikalischen Konkurrenzkampf eingetreten waren. Man hört Ram an, dass McCartney seine eigene Messlatte deutlich höher gelegt hat. Nicht zuletzt deshalb zogen sich die Aufnahmen, die auf seinem Hof in Schottland begannen und dann in New York und Los Angeles fortgesetzt wurden, und auch die endgültige Songauswahl lange hin.
Im Unterschied zum Solo-Debüt, auf dem er fast alle Instrumente selbst gespielt hatte, gibt es diesmal wieder Mitstreiter. Denny Seiwell (Drums) und Ex-Moody-Blues-Mann Denny Laine (Gitarre) sind dabei, beide sollten später auch bei den Wings mitwirken. Und dann ist da ja auch noch Linda, Pauls frisch angetraute Ehefrau. Ihr musikalisches Talent wurde schon damals allenfalls belächelt. Trotzdem erschienen als Interpreten von Ram offiziell „Paul & Linda McCartney“, Linda fungiert zudem als Co-Produzentin und bei sechs der zwölf Lieder als Co-Autorin. Vielleicht war das ein ultimativer Liebesbeweis, vielleicht ein kleiner Seitenhieb auf John & Yoko. Vielleicht ist es auch bloß ein Finanztrick: Alles, was Paul McCartney bis 1973 schreiben sollte, war laut Vertrag im Besitz von Northern Songs – alles was Linda schrieb, war von dieser Regelung nicht betroffen, ihre Hälfte der Tantiemen blieb also in der Familie.
Der mächtige Schatten der Beatles ist auf Ram auch sonst allgegenwärtig. Das ebenso ausgelassene wie komplexe Too Many People kann wohl als Nachtreten gegen Yoko Ono verstanden werden. Die Musik will wie aus dem Moment heraus klingen, als Ergebnis der spontanen Inspirationen, wirkt dafür aber ein bisschen zu bemüht. Auch Oh Woman, Oh Why, das ebenfalls aus den Sessions zu Ram stammt und als B-Seite der Single Another Day erschien, mit einem beinahe HipHop-Beat beginnt und dann eine nette CCR-Atmosphäre entwickelt, kann man als kaum kaschierte Attacke auf Yoko interpretieren.
Schon diese beiden Lieder zeigen, dass in Ram viel mehr Sorgfalt steckt als im Vorgänger. Die Kritik nahm die Platte nur unwesentlich wohlwollender auf, John Lennon fand sie nach eigenem Bekunden sogar noch schlechter als McCartney. Erfolgreich war das Album trotzdem: Platz 1 und England und Platz 2 in den USA stehen als Chart-Bilanz zu Buche.
Auch Sir Paul blickt heute gerne auf diese Karrierephase zurück. “Ladies and Gentlemen, dieses Album stammt aus einer Zeit, als die Welt noch anders aussah. Es ist ein Teil meiner Geschichte – entstanden in den Hügeln Schottlands – und es heißt Ram. Es erinnert mich an meine Hippie-Zeit und das Gefühl der Freiheit, durch das es geprägt wurde. Ich hoffe, es gefällt Ihnen, denn mir gefällt es sehr”, sagt er anlässlich der Wiederveröffentlichung. Ram ist gerade, als viertes Album in der Archive Collection, als Deluxe Edition neu veröffentlicht worden. Der Klang ist komplett restauriert, es gibt eine Doppel-CD mit den B-Seiten und weiteren Bonustracks und für die Hardcore-Fans ein Box-Set mit 112-seitigem Buch, Fotos, handgeschriebenen Texten und Notizen, vier CDs und einer Bonus-DVD.
In der Tat kann sich Ram auch im Rückblick sehen lassen. Uncle Albert/Admiral Halsey ist opulent und verspielt wie die Stücke der Sgt. Pepper-Ära (heutzutage kaum zu glauben, dass eine solch irre Single damals bis an die Spitze der US-Charts kommen konnte). Smile Away ist gelungener Glamrock mit beeindruckender Spielfreude. Der Rausschmeißer The Back Seat Of My Car (eine weitere Single) ist eine schön elegische Ballade.
Vor allem ist es ein Vergnügen zu hören, wie viel Spaß und Können Paul McCartney hier als Bassist und Sänger beweist. Dear Boy ist ein putziges Liebeslied mit himmlischen Harmonies, das seine ganze melodiöse Klasse unterstreicht. Im unterhaltsamen Dadaismus von Monkberry Moon Delight wird seine Stimme rotzig, in Oh Woman, Oh Why gibt er den heiseren Schreihals, fast in der Nähe von Aerosmith.
Freilich hat Ram seine Schwächen. Vor allem ist da die fast durchweg grassierende lyrische Banalität zu nennen. Es geht um Stinkefüße oder die Vorzüge des Landlebens, mitunter bieten die Lieder auch nur anscheinend wahllos aneinander gereihte Zeilen. Eat At Home ist völlig belanglos. Long Haired Lady hätte vielleicht als kurze Akustik-Skizze funktionieren können, scheitert hier aber an seiner Üppigkeit und hat, auch wenn der Text in aller Ausführlichkeit die Erkenntnis „love is long“ klarstellt, nicht einmal annähernd genug Substanz, um mehr als sechs Minuten zu tragen.
Vielleicht steckt da eine „Leck-mich-am-Arsch“-Attitüde dahinter, gleichzeitig gespeist aus der Freiheit, nicht mehr dem Mythos der Beatles anzugehören, und der gekränkten Ehre nach der Häme für McCartney. “Ich glaube, bei Ram trat seine ganze Angst zutage. Eine Menge dieser Songs entstand am Ende der Beatles-Zeit, und beim Schreiben und bei der Vorbereitung für die Stücke kamen so einige Emotionen hoch. Ich denke, er hat sich damit viel von der Seele geschrieben“, erzählt Schlagzeuger Denny Seiwell in der McCartney-Biographie von Howard Sounes über die Aufnahmen. Vor allem im Blues 3 Legs kann man diese seltsame Frustration heraushören. Auch Rode All Night, der spektakulärste der Bonustracks auf der zweiten CD dieser Deluxe Edition, passt zu dieser These. Da zeit Paul McCartney in fast neun Minuten hartem Rock nicht nur, dass er der Mann ist, der einst Helter Skelter gemacht hat, sondern auch, dass er sehr genau mitbekommt, was die damals abgöttisch verehrten Led Zeppelin so treiben.
All das macht Ram zu einem nicht durchweg gelungenen, aber sehr spannenden Album. Es ist eines der besten aus der frühen Solo-Phase von Paul McCartney. Und es macht deutlich: Ihm fehlte es in diesen Jahren nicht an Ehrgeiz, sondern vielmehr an einem Korrektiv. Hätte er jemanden an seiner Seite gehabt, der ihn mit seiner eigenen Kreativität anspornt, der eine gute Idee erkennt, aber auch darauf hinweist, dass man selbst an einer guten Idee noch ein bisschen feilen und arbeiten sollte, dann hätte Ram ein famoses Werk werden können. Aber George Martin war nicht mehr da. Und John Lennon erst recht nicht.
Der Trailer für das Reissue von Ram:
httpv://www.youtube.com/watch?v=Qc5PWy_l_0E
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