Pearl Jam – „Live On Ten Legs“

Künstler Pearl Jam

In der Kürze liegt auf "Live On Ten Legs" definitiv die Würze.
In der Kürze liegt auf „Live On Ten Legs“ definitiv die Würze.
Album Live On Ten Legs
Label Universal
Erscheinungsjahr 2011
Bewertung

Wenn das, was zwischen den Liedern passiert, das Spannendste an einem Live-Album ist, dann muss das keineswegs unbedingt gegen die Musik sprechen. Live On Ten Legs ist so ein Fall. Pearl Jam zeigen sich auf dem Nachfolger von Live On Two Legs (1998) nicht nur in beeindruckender Form. Sie machen auch deutlich, dass sie endlich kein Problem mehr damit haben, Rockstars zu sein.

„It’s great to be here“, sagt Eddie Vedder am Ende von The Fixer. Das ist gleich in dreifacher Hinsicht erstaunlich. Erstens die Aussage an sich, immerhin von einem Mann, der zwanzig Jahre lang an seinem Image als grimmigster und humorlosester Mann im Musikgeschäft gearbeitet hat. Zweitens die Tatsache, dass es nach bereits neun Liedern so etwas wie die erste echte Ansage an die Fans auf diesem Album ist. Und drittens der Fakt, dass Pearl Jam für diese neun Lieder nicht einmal 32 Minuten gebraucht haben.

Bei genauerem Hinschauen erklären sich natürlich alle drei Aspekte recht schnell. Dass die erste Kommunikation mit den Fans so lange auf sich warten lässt, liegt daran, dass Live On Ten Legs kein echter Konzertmitschnitt ist, sondern eine Zusammenstellung von Aufnahmen verschiedener Shows, die über einen Zeitraum von insgesamt sieben Jahren entstanden. Dass Pearl Jam wieder eine erfreuliche Tendenz zur Kürze zeigen, hat schon das letzte Album Backspacer gezeigt. Schon da lag die Durchschnittslänge der Lieder bei drei Minuten – und die Songs von Backspacer machen auch hier den Schwerpunkt aus: Mit The Fixer, Just Breathe, Unthought Known und Got Some sind gleich vier Stücke des letzten Albums vertreten.

Auch Pearl Jams wiedergewonnene Freude am Live-Erlebnis hat sich längst abgezeichnet. Nach dem Roskilde-Schock (im Sommer 2000 kamen neun Menschen während des Pearl-Jam-Auftritts bei diesem Festival in einer Massenpanik ums Leben) stand die Band vor dem Aus; zumindest die Möglichkeit, nie mehr Konzerte zu spielen, war eine ernsthafte Option. Inzwischen haben Pearl Jam das Trauma mehr als überwunden: Live On Ten Legs ist, je nach Zählung, bereits das siebte Live-Album der Band.

Es ist nicht schwer zu verstehen, was hier das Live-Erlebnis ausmacht: Pearl Jam haben sich immer gegen Ruhm, Vereinnahmung und Bewunderung gewehrt. Doch auf der Bühne sind diese drei Phänomene unvermeidlich. Aus dem Dilemma, das daraus entsteht, ist in der Geschichte von Pearl Jam ein spannender Effekt entstanden: Die Band leugnet ihren eigenen Status, und die Fans lieben die Band dafür umso mehr.

Die größten Momente auf Live On Ten Legs spiegeln dieses Zusammenspiel wider: Wenn die Fans bei Animal mitsingen, dann klingt das wie eine Befreiung – für Publikum und Band. Bei Jeremy lösen gleich die ersten Töne auf der Gitarre echte Extase aus. Auch, wenn die Fans bei Just Breathe den Gesang übernehmen, lässt das keinen Zweifel daran, wie viel dieses Lied, diese Musik, diese Band ihnen bedeutet.

Bei Alive (angekündigt von Eddie Vedder mit einem lakonischen „We’re still here“, als hätte er sich nicht jahrelang geweigert, diese Hymne vom Debütalbum Ten noch einmal zu singen) werden Pearl Jam nach einem etwas lahmen, fast widerwilligen Beginn von der Begeisterung der Rezeption selbst mitgerissen.

Musikalisch lässt sich Live On Ten Legs ansonsten recht leicht zusammenfassen: Alles, was kurz ist, funktioniert glänzend. Bei World Wide Suicide, Rearview Mirror oder Spin The Black Circle sind Pearl Jam sehr nahe am Punk. Auch sonst zeigen sie eine erstaunliche Energie und ein beeindruckendes Tempo, ohne die Songs dabei kaputtzubolzen.

Alles, was episch sein will, langweilt hingegen schnell. Nothing As It Seems klingt wie The Masterplan von Oasis, aber in schlecht. Porch wird zum überflüssigen Blues-Rock. Auch sonst schimmert immer mal wieder das Problem durch, gegen das Pearl Jam seit den Glanzzeiten des Grunge ankämpfen: Sie wollen als ernsthafte Musiker, vielleicht gar als Virtuosen wahrgenommen werden, nicht als flüchtige Pop-Sensation. Das hat zwar ein paar Längen und überflüssige Soli zur Folge. Unterm Strich zeigt Live On Ten Legs aber, wie nah Pearl Jam ihrem Ziel schon sind.

Wäre hätte das gedacht? Nach fast zwanzig Jahren entdecken Pearl Jam mit The Fixer noch die Lebensfreude (und tragen noch immer die alten Outfits):

Pearl Jam bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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4 Gedanken zu “Pearl Jam – „Live On Ten Legs“

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