Künstler | Per Gessle | |
Album | Gessle Over Europe | |
Label | Emi | |
Erscheinungsjahr | 2009 | |
Bewertung |
Als Roxette 1994/95 ihre Welttournee zum Album Crash! Boom! Bang! absolvierten, da gab es am Merchandising-Stand ein kleines Büchlein zu kaufen. Auf den hinteren Seiten stellt die Band sich per Steckbrief vor, und jeder muss dabei zwei Dinge nennen, die er mit den 1970er Jahren verbindet. Per Gessle antwortet: Plateauschuhe und Live-Alben.
15 Jahre später ist es soweit: Per Gessle veröffentlicht sein erstes Live-Album. Derlei Konzertmitschnitte hat er früher einmal eher kritisch betrachtet („they feel more like second-rate Greatest Hits albums“, hatte Per noch gesagt, als er mit Roxette und Tourism zumindest ein Beinahe-Live-Album herausbrachte). Trotzdem gibt es Gessle Over Europe. Und nicht nur der Titel klingt nach einem Triumphzug.
Denn Gessle Over Europe erscheint nicht nur 15 Jahre nach besagtem Buch, sondern immerhin auch acht Jahre nach der letzten Platte mit neuen Roxette-Songs. Eine lange Zeit – und deshalb ist Gessle Over Europe dominiert, sogar beseelt von dem Wunsch des Künstlers, seine besten Lieder endlich wieder zu spielen, und von der Dankbarkeit der Fans, diese Lieder noch einmal zu hören.
Die beiliegende DVD zeigt mit 100 X Tribal Homevideos nicht nur, wie entspannt Per und die Band diese Tournee hinter sich bringen. Es kommen auch südamerikanische Fans zu Wort, die extra ihre Hochzeit verschoben haben, um das Konzert von Per Gessle im Circus in Stockholm (das es in kompletter Länge ebenfalls auf der DVD gibt) erleben zu können. Und zwischen den einzelnen Songs erzählt Per Gessle in kurzen Interviews, wie großartig es sich anfühlt, für diese Leute quasi den Soundtrack zu ihrem Leben geschrieben zu haben.
Diese Entspanntheit, diese Grundstimmung von Dankbarkeit und lockerer Wiedersehensfreude, tut auch der Musik hörbar gut. Neun der Lieder stammen von Per Gessles englischsprachigen Soloplatten, elfmal spielt er Roxette-Stücke, dazu kommt eine Coverversion der Monkees-B-Seite Steppin‘ Stone, und viele dieser Lieder werden neu arrangiert, entschlackt.
Schon zum Beginn ist Dressed For Success der beste Beweis dafür. Eine Orgel ist hinzugekommen, der Rest ist erstaunlich luftig – und dadurch wirkt der Song, der immerhin mehr als 20 Jahre auf dem Buckel hat, wie wiederbelebt. 7Twenty7 bekommt zusätzlichen Druck und ist nun nicht mehr bloß ein Rennauto, sondern eine Rakete. In Opportunity Nox wird das Keyboard durch eine Gitarre ersetzt und ein Tamburin übernimmt den Part der Computerbeats – das funktioniert um Welten besser als die Studio-Version.
Joyride erlebt einen zweiten Frühling dank eines völlig veränderten Basslaufs. Und sogar It Must Have Been Love klingt nicht mehr wie die Schnulze aus dem Pretty Woman-Soundtrack, sondern bedeutet plötzlich wieder etwas, weil der Gesang von Per Gessle tatsächlich todtraurig klingt.
Überhaupt überrascht Gessle an mehreren Stellen, an denen er die Parts singt, die bei Roxette sonst Marie Fredriksson vobehalten sind. Wish I Could Fly ist so ein Fall, das hier etwas muskulöser daherkommt. Eine Performance wie beim Rausschmeißer Queen Of Rain hätte man ihm kaum zugetraut. Und auch Sleeping In My Car, das im Rock-Kontext von Gessle Over Europe viel schlüssiger klingt, überzeugt.
Diese Songs sind ganz klar besser gealtert als viele der Bandmitglieder (Schlagzeuger Pelle Alsing ist arg in die Breite gegangen und sieht mittlerweile eher aus wie Axel Prahl denn wie James Dean, Keyboarder/Produzent Clarence Öfwerman scheint zum Doppelgänger von Heinz-Rudolf Kunze mutieren zu wollen). Vielleicht am deutlichsten führt das Listen To Your Heart vor Augen. „This is pretty much the 80s to me“, kündigt Gessle das Lied an – doch ganz akustisch gespielt wird deutlich, dass die Ballade schlicht zeitlos ist.
Dazu kommen auf Gessle Over Europe, das Aufnahmen von insgesamt acht Konzerten vereint, die Solosongs, die kompositorisch oft sogar noch über den großen Roxette-Klassikern rangieren. Wenn Gessle in Drowning In Wonderful Thoughts About Her mittendrin „Oh yeah“ singt, dann klingt das nicht wie eine Phrase, sondern wie eine Verheißung. I Have A Party In My Head (I Hope It Never Ends) gerät herrlich warm und unschuldig. Das elegante Late Later On bekommt ein psychedelisches Ende verpasst und verzaubert mit dem Zusammenspiel der Stimmen von Gessle und Helena Josefsson. Doesn’t Make Sense zeigt, dass „mellow“ keineswegs ein Schimpfwort ist, C’Mon wird funky, Are You An Old Hippie, Sir? gleicht einem Endorphin-Rausch.
Gessle Over Europe hat alles, was ein Live-Album haben muss: Spielfreude, Überraschungen, einen feinen Spannungsbogen. Wenn die anstehenden Konzerte von Roxette nur halb so gut werden, darf man schon feiern.
Per Gessle spielt Dressed For Success live während seiner Party Crasher-Tour, und die Fans schwärmen vorab ein bisschen:
httpv://www.youtube.com/watch?v=3a3x1MxVU8w
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