Künstler | Pet Shop Boys | |
Album | Elysium | |
Label | EMI | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
Im vergangenen Sommer, als London in Flammen stand, präsentierten sich die Engländer als Rabauken. In diesem Sommer, während der Olympischen Spiele, waren sie Strahlemänner, die nach der vor sechs Jahren in Deutschland erprobten Sommermärchen-Rezeptur versuchten, ihr angestaubtes Image aufzupolieren. Aber seien wir ehrlich: So wollen wir die Engländer nicht haben. Sie sollen keine Unruhestifter sein und keine Grinsepeter. Sie sollen Regenschirme tragen und gesteifte Hemdkragen, sie sollen spießig sein, schüchtern, höflich und distanziert. Sie sollen Menschen sein, die scheinbar gar nicht aus Fleisch und Blut bestehen, sondern bloß aus Manieren und Tradition. So wie die Pet Shop Boys.
Neil Tennant und Chris Lowe leben diese Mentalität auch auf Elysium aus, ihrem elften Studioalbum. Produziert wurde die Platte zwar, als erste in der fast 30-jährigen Karriere des Duos, in den USA, und zwar von Kanye-West-Mitstreiter Andrew Dawson. Trotzdem klingen die Pet Shop Boys darauf wieder so, wie man sie schätzt: Sie sind echte Gentlemen, sie tanzen gerne (solange man dabei nicht ins Schwitzen kommt) und sie wissen auch solche Partys zu schätzen, nach denen man deprimiert nach Hause geht.
“I think some people thought when we were going to Los Angeles to work with Andrew Dawson that we were going to record a hip hop album,” räumt der 58-jährige Neil Tennant ein, “but it’s still very much a Pet Shop Boys album. It’s got a lot of depth, that’s what I think about it. It’s got a lot of truth. It’s really about negotiating life at our age.”
Winner heißt die erste Single, ein Liebeslied mit reichlich Sport-Metaphern. Es gibt kaum eine Band, zu der die Vorstellung von Kampfgeist und Trainingsanzügen so wenig passen würde wie die Pet Shop Boys. Trotzdem wird der Song mehr als überzeugend, eingängig, hymnisch. Der Opener Leaving strotzt vor Eleganz. Die Stimme von Neil Tennant, fast nur geflüstert, ist noch immer betörend wie die eines Rattenfängers, ohne das man ihren Reiz erklären kann. Vielleicht liegt es daran, dass er so hübsche Zeilen wie diese singt: „In darkest night / their memory keeps us strong / and if our love is dead / it won’t be dead for long“. Schlagzeug und Bass klingen wie vor 30 Jahren, und doch wird das Stück sofort zeitlos.
Auch danach bleiben die Pet Shop Boys auf Elysium perfekte Ästheten mit großem Bewusstsein für ihre eigene Historie (Neil Tennant hat übrigens einst Geschichte studiert, Chris Lowe Architektur). Mit Your Early Stuff und dem funky Rausschmeißer Reqiem In Denim And Leopordskin nehmen sie sogar ihren eigenen Status als Tanzmusik-Opas aufs Korn, mitsamt all der Ironie und Grandezza, die bei diesem Duo schon immer dazugehörte.
Ein bisschen erstaunlich ist, wie wenig die Pet Shop Boys diesmal über die Lage der Welt zu sagen haben. Natürlich waren sie nie eine Agitatoren-Band, aber Songs wie Suburbia, It’s Alright, DJ Culture oder auch in jüngerer Vergangenheit die Bush-Blair-Studie I’m With Stupid waren doch treffende politische Kommentare. Diesmal gibt es, trotz Krise und Krawall in England, nichts dergleichen. Stattdessen klingt Elysium, passend zum Titel, eher sphärisch – vielleicht doch nicht ganz überraschend bei einer Band, die zuletzt an The Most Incredible Thing geschrieben hat, einem Ballett nach der Vorlage einer Geschichte von Hans Christian Andersen. Ganz oft klingt diese Platte wie die Musik, die Dante Alighieri bei seinem Aufstieg ins Paradiso gehört haben muss: himmlisch, betörend, vollkommen – aber doch wissend um all das Leid, die Sünden und Qualen, die auf dem Weg dahin überwunden werden mussten.
Invisible, dessen wieder einmal meisterhaftes Video im Juni der erste Vorgeschmack auf Elysium war, ist so langsam und reduziert, als sei es nicht wirklich real. Zudem gibt es eine dieser prototypischen Pet-Shop-Boys-Zeilen: “It’s too late to find an excuse / the party’s over and I’m not much use, tonight.” A Face Like That wartet mit Keyboard-Attacken mitten aus dem Jahr 1983 auf und ist zugleich trotzdem ein Song, der gut aufs letzte Album von Kylie gepasst hätte. Breathing Space erinnert ein wenig an die Atmosphäre von Birthday Boy vom drittletzten Album Release, und mit seiner Weite, der Gitarre und den schwelgerischen Streichern auch an die pompöseren Balladen von Roxette.
Vergnüglich exzentrisch wird Ego Music, bevor Hold On (das ein bisschen Georg Friedrich Händel integriert) mit einem mächtigen Chor beginnt, der womöglich mit Go West konkurrieren möchte, und dann zu einem Dada-Musical rund um die schwer zu leugnende Textzeile „Hold on, hold on / there’s got to be a future / or the world will end today“ mutiert. Memory Of The Future hat einen der schönsten Refrains dieses Albums, Give It A Go feiert sehr hübsch die Freuden der amourösen Unverbindlichkeit.
Spätestens beim annähernd experimentellen Everything Means Something, das auch gut zur Beta Band passen würde, ist das Bild dann wieder vollkommen von diesen perfektionistischen Tüftlern. Man stellt sich vor, sie leben in einem Haus, das vollkommen steril gehalten wird, damit sich auf keinen Fall irgendetwas anderes als Pop in diesem Haus befinden kann, und man selbst muss erst desinfiziert werden, bevor man hinein darf. All das macht Elysium zu einem Pop-Wunderwerk, das nicht zuletzt zeigt: Aktuelle Bands wie Hot Chip oder Zoot Woman haben eine Menge von den Pet Shop Boys gelernt.
Der Album-Sampler zu Elysium:
httpv://www.youtube.com/watch?v=L1rrsxLF238
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