Künstler | Peter Gabriel |
Album | New Blood |
Label | Real World Productions |
Erscheinungsjahr | 2011 |
Bewertung | **1/2 |
Eilmeldung!!! Peter Gabriel interpretiert seine Songs neu! Zugegeben: Das ist ungefähr so überraschend wie Lindsay Lohan, die zu spät kommt, wenn sie ihre Bewährungs-Sozialstunden ableisten soll. Wie Sebastian Vettel, wenn er ein Formel-1-Rennen gewinnt. Wie Ilse Aigner, wenn sie schon wieder ihr Facebook-Passwort vergessen hat.
Schließlich ist Peter Gabriel einer der kreativsten, umtriebigsten, modernsten Künstler überhaupt im Popgeschäft. Er hat das schon mit Genesis bewiesen und erst recht in seiner seit 1976 währenden Solokarriere: Peter Gabriel war einer der ersten Musiker, die die Möglichkeiten von CD-Roms für sich nutzten, er bringt DVDs im 5:1-Sound heraus, musiziert mit Bonoboaffen und hat mit seinen Videos (Sledgehammer ist noch immer der meistgespielte Clip aller Zeiten auf MTV) Maßstäbe gesetzt. Nebenher ist er noch als Aktivist für Menschenrechte, Armutsbekämpfung, Gesundheitsversorgung, Bildung und Demokratieförderung im Einsatz und Eigner der Real World Studios und der dazugehörigen Plattenfirma.
Dass so ein Mann sich also ständig mit der Aktualisierung und Weiterentwicklung des eigenen Katalogs beschäftigt, liegt auf der Hand. Dass Peter Gabriel dazu nicht auf so etwas Gewöhnliches wie ein Remix-Album setzen würde, kann ebenfalls kaum überraschen. Stattdessen interpretiert er auf seinem neuen Album New Blood seine eigenen Songs mit einem 46-köpfigen Orchester unter der Leitung von Ben Foster neu.
Das Konzept hatte er schon vor knapp zwei Jahren mit dem Coverprojekt Scratch My Back etabliert. Damals versuchte er sich an Songs von David Bowie oder Arcade Fire. Diesmal sind seine eigenen Stücke dran. New Blood war zunächst eine Tournee, nun ist das Live-Orchesterprojekt auch auf CD zu haben (und als DVD New Blood Live In London).
Das neue Klanggewand steht den meisten der Songs gut, zugleich entwickelt New Blood einen erstaunlichen Effekt. Wenn Rhythm Of The Heart zu einem hoch dramatischen Finale kommt, wenn die Töne wie Tropfen in das geheimnisvolle San Jacinto fallen oder sich die Geigen am Ende des bis dahin ganz reduzierten Don’t Give Up gen Himmel erheben, dann zeigt sich: Diese Stücke sind schon in der Originalversion alles andere als gewöhnliche Popmusik. Jeder Song ist ein Trip. Solsbury Hill, ganz am Ende von New Blood platziert, macht das am deutlichsten: Das Streicher-Motiv bleibt erhalten, doch es gibt (wie auf dem gesamten Album) keinen Beat und zum Ende hin eine geradezu betörende Komplexität. Auch andere Stücke erinnern im Arrangement von New Blood an Hörspiele (Intruder) oder Filmmusik (wer hätte gedacht, dass in Digging In The Dirt ein potenzieller James Bond-Soundtrack steckt?)
Die zweite Erkenntnis: Auch wenn fast alles auf New Blood in Opulenz schwelgt und manches viel näher an zeitgenössischer klassischer Musik ist als an Pop, so stellt das Album doch immer wieder die Fähigkeiten von Peter Gabriel als Sänger heraus. Ane Brun und seine Tochter Melanie Gabriel unterstützen ihn gelegentlich (etwa am Ende des rührenden Wallflower). Doch auch alleine glänzt Peter Gabriel. Er flüstert, fleht, zischt und schreit, er nutzt die ganze Bandbreite von Lautmalerei bis hin zu bloß gesprochenen Passagen und verleiht einigen der Lieder auch dadurch einen neuen Reiz, dass man seiner Stimme anhört, dass sie mittlerweile 61 Jahre alt ist. Red Rain beispielsweise profitiert enorm davon, wird noch plastischer und eindringlicher.
Nicht immer kann New Blood den Vorwurf entkräften, selbstverliebt oder geschmäcklerisch zu sein. Aber insgesamt ist es ein beeindruckender Beleg für Peter Gabriels künstlerische Rastlosigkeit und Innovationskraft. Schon wieder.
Ane Brun ersetzt Kate Bush in der New Blood-Version von Don’t Give Up:
httpv://www.youtube.com/watch?v=PaSKNzG2XyY