Künstler | Pissed Jeans | |
Album | Honeys | |
Label | Sub Pop | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Bewertung |
1987 wurden in den USA 1,7 Millionen Menschen wegen Depressionen behandelt. 1997 waren es 6,3 Millionen. Mittlerweile liegt die Zahl bei mehr als 10 Millionen. Klares Zeichen: Um die Laune im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist es nicht zum Besten bestellt. Ein perfektes Heilmittel haben nun Pissed Jeans in Form ihres vierten Albums Honeys im Gepäck: Die Erkenntnis, dass es immer noch irgendwo jemanden gibt, der noch schlechter drauf ist.
Matt Kosloff (Künstlername: Matt Korvette) ist dieser Jemand. “Matt Korvette screams out observations on the tedium and absurdity of adulthood, delivered in a fashion similar to the way people must sound when being waterboarded”, behauptet das Presse-Info zu dieser Platte nicht ganz zu Unrecht. Er grunzt, nölt und schreit sich durch Honeys, dass es eine Freude ist. Und er hat absolut kein Interesse daran, diese, unsere Welt erfreulich zu finden.
„I cry red, angry tears that no one sees“, bekennt er in Chain Worker, dessen musikalische Zutaten lediglich aus einem ultraverzerrten Bass, Geschrei und den letzten Zuckungen eines Schlagzeugs bestehen. Loubs klingt so ähnlich wie Glamrock aus dem Gulag und lässt dann endgültig keine Fragen mehr offen: “Well I’m always walking around / with my eyes aimed at the ground / I swear it’s like my chin could hit my chest / And if you see me pass by / I wouldn’t hold it against you / if you went and diagnosed me as depressed.”
Spätestens zu diesem Zeitpunkt, zwei Lieder vor dem Ende von Honeys, kann man nur staunen, wie viel Furor nach wie vor in den Pissed Jeans steckt. Vor acht Jahren erschien das Debüt des Quartetts, das in Allentown, Pennsylvania gegründet wurde, aber schon lange in Philadelphia zuhause ist, wo auch das neue Album gemeinsam mit Produzent Alex Newport aufgenommen wurde. Mit Plauzen und grauen Strähnen im Bart können Bradley Fry (Bass), Randy Huth (Gitarre), Matt Kosloff (Gesang) und Sean McGuinness (Drums) längst nicht mehr verleugnen, dass sie keine Jungspunde mehr sind. Aber von Versöhnlichkeit oder gar Altersmilde ist hier keine Spur.
Im Gegenteil: Pissed Jeans blicken auf das Leben als durchaus Erwachsener, und sie sehen nicht viel, was ihrem Blick standhält. Oberflächlichkeit und Konsumwahn werden auf Honeys immer wieder gebrandmarkt. Teenage Adult wird eine Abrechnung mit möchtegern-flippigen Thirtysomethings, also ihren Altersgenossen. You’re Different (In Person) thematisiert Social-Media-Verlogenheit. Das von einem psychedelischen Drone getrieben Cafeteria Food könnte schwarzer Humor sein – oder eine ganz reale Morddrohung aus dem Büroalltag. Health Plan wird tatsächlich ein Lied über die Weigerung, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen.
Honeys zeigt: Pissed Jeans sind sauer auf alle und alles, aber am meisten auf sich selbst. Denn am häufigsten sind es die eigenen Unzulänglichkeiten, die sie thematisieren. „I’m not innocent, I’m guilty“, heißt das Bekenntnis in Male Gaze. Noch ein bisschen deutlicher und schonungsloser wird der lupenreine Wutpunk von Cat House: “Everybody else is having a good time / cheering and laughing through the night / I’m itching, and shivering, and praying for forgiveness / because it feels like my body committed a crime.” Romanticze Me ist noch ein Beleg für den Hang Selbstanklage: Das Lied leugnet die Existenz von Romantik, oder zumindest die eigene Eignung dazu.
Die Musik dazu ist herrlicher Lo-Fi-Noiserock. Das zynische Vain In Costume klingt wie die aggressivsten Momente von Nirvana. Im instrumentalen Something About Mrs. Johnson wird eine Gitarre derart gefoltert, dass sie nur noch um ihr Leben winseln kann. Der Opener Bathroom Laughter ist wohl der wildeste Track, den Pissed Jeans je gemacht haben: brachial und gekrönt von einem teuflisch bösen Text.
Wer einen mächtig bösen Frank Black mag, die Beastie Boys in ihrer Punk-Inkarnation, In Utero von Nirvana, das Gesamtwerk von Black Flag oder einfach ein bisschen Trost durch das (Mit-)Leiden der anderen, der ist hier genau richtig.
Furor, Furor, Furor! Pissed Jeans spielen Teenage Adult live:
httpv://www.youtube.com/watch?v=asc_Sl8__XY
Ein Gedanke zu “Pissed Jeans – „Honeys“”