Künstler | Professor Green |
Album | At Your Inconvenience |
Label | Virgin |
Erscheinungsjahr | 2011 |
Bewertung | **** |
Sparsamkeit ist nicht gerade ein Begriff, den man mit HipHop verbindet. Schließlich ist HipHop das Genre, das den Pimp zum Übervater und das Protzen zum Prinzip gemacht hat. Sparsamkeit kann trotzdem eine sehr lohnende Methode sein – und kaum jemand hat das so gut verstanden wie Professor Green. Der Mann, der schon sein Debütalbum Alive ’Til I’m Dead auf Platz 2 in England gebracht hat, weiß genau: Im HipHop kann schon eine gute Idee pro Track ausreichen. Ein toller Beat, ein großer Refrain oder ein cleveres Sample – mehr braucht es manchmal nicht.
Diese Einsicht, womöglich seinem akademischen Titel zu verdanken (schließlich haben zuvor auch Dr. Dre und, ähm, Dr. Alban Großes für das Genre geleistet), führt dazu, dass At Your Inconvenience, das zweite Album von Professor Green, ein ganz erstaunliches Werk geworden ist: ein Hip-Hop-Longplayer ohne Ausfälle, mit einem echten Spannungsbogen, humorvoll, schlau, abwechslungsreich und voll und ganz zeitgemäß. “An album should be some sort of journey, peaks and troughs. It shouldn’t be flat. Cause even if everything’s up, it’s still flat. You need to have a mixture of stuff – good times, bad times, cheeky shit, serious shit”, doziert Professor Green ganz richtig.
Diesem Anspruch wird der Londoner mit At Your Inconvenience tatsächlich gerecht, weil er sich auf seine in vielen Battles geschulten Raps verlassen kann, und weil er gute Ideen hat, die über das HipHop-Standardprogramm hinaus weisen, und die er sehr dosiert einsetzt.
Trouble bekommt ein Breakbeat-Gewand, Remedy und How Many Moons spielen mit irren Electro-Elementen à la Dizzee Rascal. Spinning Out hat schon dank seines Monster-Samples gewonnen: Der Track zitiert den Pixies-Klassiker Where Is My Mind? Das hübsche Never Be A Right Time profitiert von seinem klasse Refrain und ist nicht der einzige Track, bei dem sich Professor Green sogar an echten Gesang heranwagt. Ein effektvolles Klavier sorgt in Doll (in dem Professor Green ebenso wie in Today I Cried seinen Erfolg thematisiert und die Tatsache, dass er ihn nicht glücklich macht) für eine gespenstische Atmosphäre. In Nightmares (mit Khalil aus dem Stall von Dr. Dre und dem Eminem-Mitstreiter Royce Da 5’9) lebt Professor Green seinen inneren Psychopathen aus.
Diese Beispiele zeigen: Zum Abwechslungsreichtum des Albums, das schon seit Oktober in England auf dem Markt ist und am Freitag auch in Deutschland erscheint, gehört auch, dass Professor Green immer wieder andere Perspektiven einnimmt. Natürlich macht er gelegentlich (und gerne) auf dicke Hose, aber er macht sich auch immer wieder über sich selbst lustig und kann bereitwillig Schwäche zeigen. Dazu gibt er gelegentlich den unbeteiligten Erzähler oder analysiert als solcher den Stand der Dinge. Das ist nicht nur ungemein wohltuend – alles andere wäre auch unpassend im Post-Riot-Britain.
Ausschlaggebend für so viel Gelassenheit und Einsicht war womöglich das Pech, das der 28-Jährige lange Zeit in seiner Karriere hatte. Nachdem er sich, in bester Straßenmanier, bei Rap-Battles einen Namen gemacht hatte, nahm Mike Skinner ihn für seine Plattenfirma The Beats unter Vertrag. Doch dann ging das Label pleite, und Professor Green musste eine ganze Weile darum kämpfen, wieder an seine eigenen Tracks zu kommen. Als er das gerade geschafft hatte, geriet er in eine Messerstecherei und wurde lebensgefährlich am Hals verletzt – genau an der Stelle, an der er sich gerade das Wort “Lucky” hatte tätowieren lassen. “Wenn man in eine schlimme Situation gerät, bleibt einem nur, sich auf das Positive oder das Negative zu konzentrieren. Es kann einen entweder fertig oder zu einer stärkeren Persönlichkeit machen“, sagt er heute rückblickend.
Spätestens mit At Your Inconvenience dürfte einer strahlenden Zukunft nichts mehr im Wege stehen. Nicht alles gelingt restlos (Avalon ist etwas arg theatralisch, auch das dezent angerockte Haydon könnte nicht plakativer, plumper und hollywoodiger sein, wenn es einen Gastauftritt der Black Eyed Peas oder von Maroon 5 gäbe). Aber in seinen besten Momenten erreicht Professor Green die oberste Rap-Liga und kommt dahin, wo die Leute regieren, die weit mehr als eine gute Idee pro Track verarbeiten, wie die Beastie Boys, Outkast oder der Wu-Tang Clan.
Der Titeltrack ganz am Anfang mischt den Chaos-Sound der späten Alben von The Streets mit einem Rap, der all die Schärfe und Verspieltheit von Eminem hat, und der unvermeidlichen Ankündigung: „I’m back / like I never left.“ D.P.M.O. (die ab sofort offizielle Abkürzung für „Don’t Piss Me Off“) baut sich um ein Gitarrenriff auf, das einem Kinderlied entstammen könnte, und schwingt sich mit dem Chor-Gesang im Refrain in exstatische Party-Höhen auf. Das ist die Sorte Song, die in Hollywoodfilmen gespielt wird, wenn es bei College-Saufgelagen richtig ausgelassen wird und alle ihre mit Tequila gefüllten Pappbecher in die Höhe recken.
Die Single Read All About It beginnt gleich mit dem von Emeli Sandé gesungenen Killer-Refrain, dazu gibt es einen Riesenbeat, Streicher und unfassbar viel trotzigen Optimismus. Professor Green, der von seiner Großmutter großgezogen wurde (die ihn womöglich nach wie vor lieber Stephen Paul Manderson nennt), richtet den Track an den Vater, den er niemals hatte, und den er auch jetzt nicht vermissen möchte.
Emeli Sandé, die auch schon auf Alive ’Til I’m Dead mitwirkte, hat in Astronaut einen weiteren Gastauftritt. Sie singt hier ein zauberhaftes, schwingendes Duett mit Professor Green (und klingt dabei enorm nach Mariah Carey) und hat als Co-Autorin des Songs wohl auch entscheidenden Anteil an dessen Pop-Sensibilität. Professor Green behandelt darin den Tod einer Freundin, die heroinsüchtig war. “I enjoyed being able to write a story, which is something I don’t get to do much – by choice. I prefer to write things I know from first hand. The only way you can really have a voice of authority is if you’re honest. And fortunately – or unfortunately – I had influence for that song”, erklärt er die Entstehungsgeschichte.
Ganz am Ende schafft es Into The Ground, ganz viel Witz mit Balkan-Bläsern und einem Gitarren-Break in bester Red-Hot-Chili-Peppers-Manier zu vereinen. “Hip hop comes from a mesh of different music, and sampling’s always been a massive part of the rap scene. And Into The Ground was also me going back to my rap roots, and battling roots. A lot of it, the words are… well, not for the sake of it, but it’s about the wordplay, it’s about the sport. A lot of people who start crossing over forget that there is a sport to this, and it’s a sport that I care a helluvva lot about, ’cause it’s how I came up. So wordplay, punchlines, flow, all that stuff are really important to me – as well as having a dig back at certain people who said certain things about me”, sagt Professor Green und liefert so immerhin noch ein Schlusswort, dass dann doch ganz und gar typisch HipHop ist. Wäre ja auch schlimm, wenn er an Glaubwürdigkeit, Ehrgeiz, Aggressivität oder Klasse gespart hätte.
Professor Greens At Your Inconvenience ist so vielseitig, dass es schon einmal einen viertelstündigen Albumtrailer vertragen kann:
httpv://www.youtube.com/watch?v=z3hJrQM57mg
Ein Gedanke zu “Hingehört: Professor Green – „At Your Inconvenience“”