Künstler | Robbie Williams | |
Album | I’ve Been Expecting You | |
Label | EMI | |
Erscheinungsjahr | 1998 | |
Bewertung |
Viel mehr Ironie könnte in diesem Titel gar nicht stecken. Schon damals, als Robbie Williams noch 24 war und I’ve Been Expecting You herauskam, war das klar. Nun, da sein zweites Album mit einer Bonus-DVD neu veröffentlich wird, ist es noch bezeichnender.
Denn natürlich hatte Robbie uns erwartet. Dass er den Erfolg, die Anerkennung, womöglich sogar die Paparazzi braucht, ist Teil der Zerrissenheit, die ihn während seiner gesamten Solo-Karriere begleitete. «I wouldn’t be so alone / if they knew my name in every home», hat er diesen Ehrgeiz später im größenwahnsinnigen I Will Talk And Hollywood Will Listen auf den Punkt gebracht. Daneben stehen bei ihm immer wieder tiefste Selbstzweifel, die sich auch in den Texten auf I’ve Been Expecting You dokumentieren. „You think that I’m strong / you’re wrong“ ist nur der einfachste Reim, der hier darauf anspielt.
Die Folge ist das, was der 37-Jährige in einem Radio-Interview einmal den «typischen Robbie-Williams-Kreislauf» genannt hat: «Album rausbringen, total begeistert davon sein, gesund aussehen, gesund sein, das Album promoten, anfangen zu essen, mit dem Album auf Tour gehen, durchdrehen, Tour beenden, Nervenzusammenbruch kriegen, in der Entzugsklinik landen.»
All das wissen wir heute, und auch 1998 deutete es sich bereits an. Viel mehr aber als Robbie uns hier erwartet, waren deshalb wir auf ihn gespannt. Noch nicht einmal ein Jahr nach seinem Durchbruch mit Angels erschien das zweite Album. Es hätte seinen Höhenflug schnell wieder beenden können, denn manch ein Kritiker hatte sicher schon die Messer gewetzt, um sie diesem Boyband-Emporkömmling beim kleinsten Zeichen einer Schwäche in den Rücken zu rammen. Doch I’ve Been Expecting You manifestierte den Status von Robbie Williams als bester Entertainer seiner Zeit.
Vor allem gelingt das, weil es hier, obwohl I’ve Been Expecting You in Summe ein wenig schwächer ist als das Debüt Life Thru A Lens, reihenweise makellose Hits gibt. Schon Strong zum Auftakt ist ein sagenhafter Beweis für Robbies Selbstbewusstsein, Selbstveräußerung und Selbstreflexion. Der Text ist schmerzhaft ehrlich und grandios subversiv. Schon zum Beginn des zweiten Albums zeigt Robbie damit, was der Ruhm aus ihm gemacht hat. Und er beweist, dass er weiterhin gefallen will, aber nicht mehr gefällig sein.
No Regrets, das man auch ohne viel Fantasie als Schlussstrich unter die Zeit bei Take That interpretieren kann, strebt danach von allen Liedern auf dieser CD am deutlichsten in die Liga, in der Robbie Williams spielen möchte. Trotz eines etwas schwachen Refrains kann es sich Robbie hier leisten, mit Neil Tennant (Pet Shop Boys) und Neil Hannon (The Divine Comedy) zwei Mitglieder des britischen Pop-Adels zu Background-Sängern zu machen. Dazu gibt es imposante Bläser, ein dramatisches Cemballo, einen geisterhaften Chor, eine verspielte Wah-Wah-Gitarre – und ein brutales Ende. Das ist nicht nur große Theatralik, sondern auch äußerst erwachsen. Auch, weil Robbie als Texter noch einmal besser geworden ist: „I didn’t lose my mind / it was mine to give away“ – famos.
Die Leichtigkeit von Millennium muss danach zynisch klingen. Das Lied, entstanden in Zusammenarbeit mit John Barry und Leslie Bricusse, die You Only Live Twice komponiert haben, ist natürlich Robbies erstes Bewerbungsschreiben an die James-Bond-Macher. Robbies erster Nummer-1-Hit ist aber vor allem Pop als Kopfkino. Das Lied denkt nicht nur das Outfit, das Video und den Gesichtsausdruck bei der Performance mit („get up and see the sarcasm in my eyes“), sondern gleich die komplette Biographie von Robbie Williams, sein Image und die aktuellen Schlagzeilen in den Tabloids.
Wie gut Robbie auch als Schauspieler funktioniert, zeigt nicht nur das Booklet, in dem er schon einmal die schönsten 007-Posen übt. Auch die Bonus-DVD ist ein eindrucksvoller Beleg dafür. Bei seinen darauf dokumentierten TV-Auftritten gibt Robbie den cleveren Schelm, uneitlen Clown, unwiderstehlichen Charmeur und grandiosen Entertainer. Er will George Michael sein, Liam Gallagher, Michael Jackson, Frank Sinatra, Elvis Presley. Aber es gibt nur ganz wenige Momente, in denen er zufrieden scheint, einfach bloß Robbie Williams zu sein.
Das etwas unausgegorene Phoenix From The Flames ist musikalischer Beleg dafür. Auch Karma Killer, eine Hasstirade auf den Ex-Manager Nigel Martin-Smith, zeigt noch einmal, dass der Stachel nach wie vor tief sitzt. „Why was I never good enough“, fragt Robbie Williams – ein Komplex, der ihn nie so recht loslassen sollte, auch wenn er hier ein trotziges “look what you didn’t take from me” hinterherschicken kann.
Natürlich war Robbie schließlich der, der zuletzt lachte. Trotzdem ist es gerade das Wissen um den Makel, die Karriere als Teenie-Posterboy begonnen zu haben, das Robbie hier ein paar Mal übers Ziel hinausschießen lässt. Dann will er einfach zu viel. Grace mit seinem Girl From Ipanema-Flair ist hübsch, aber arg selbstreferenziell und im Kontext des Albums schlicht nicht plausibel. It’s Only Us (das auf dem Re-Issue das ebenfalls mediokre Jesus In A Camper Van ersetzt, das nach Plagiatsvorwürfen vom Originalalbum entfernt wurde) gerät arg kraftmeiernd und findet keinen rechten Fokus. Im misslungenen Rocker Man Machine schlägt das Selbstvertrauen in Größenwahn um.
Das nimmt man aber gerne in Kauf, wenn es im Gegenzug dafür Großtaten wie She’s The One gibt. Das Lied, geschrieben von Karl Wallinger und bereits von dessen Band World Party (bei der auch Guy Chambers mitspielte) veröffentlicht, wurde der zweite Nummer-1-Hit von I’ve Been Expecting You und ist letztlich das bessere Angels. Denn She’s The One ist nicht bloß eine Powerballade, sondern ein Klassiker, voller Eleganz, Wehmut und Zauber.
Auch abseits der Singles zeigt Robbie wiederholt tolle Form. Win Some Lose Some ist herrlich unbeschwert (kein Wunder: die meisten Songs von I’ve Been Expecting You wurden gemeinsam mit Guy Chambers auf Jamaika geschrieben) und hätte gut auf Life Thru A Lens gepasst. Heaven From Here ist wunderschön gesungen. Der Hidden Track mit dem Arbeitstitel Stalker’s Day Off ist beinahe ein Tagtraum, eine derart entspannte Skizze, dass man fast meinen könnte, Robbie Williams sei angekommen.
Und These Dreams ist am Ende genau die Art von Song, wegen der Robbie vordergründig als Hausfrauen-Pop geschmäht werden konnte, aber musikalisch viel zu ausgereift für derlei Kritik (so komplex und zugleich pittoresk kriegt das sonst nur Paul McCartney hin) und im Text einfach viel zu hintergründig. Robbie spricht darin von sich selbst als „a man who loves his misfortune“. Da ist sie wieder: die Zerrissenheit und das Kokettieren mit ihr. Beides ist Teil der Faszination von Robbie Williams als der Personifizierung des Wankelmuts, des Flatterhaften, der Zerrissenheit. Er ist vielleicht tatsächlich der «most paranoid man in show business», wie er sich bei seinem Auftritt in der Londoner Royal Albert Hall ankündigen ließ. In jedem Fall ist er der unglücklichste Glückspilz der Welt.
Mehr Superstar geht nicht: She’s The One, live in Knebworth:
httpv://www.youtube.com/watch?v=UMKlc9LY1OM
Eine Zusammenfassung der Kritiken zu den Re-Issues von Robbie Williams mit einer Fotostrecke zu seiner Karriere gibt es auch auf news.de.
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