Robbie Williams – „Life Thru A Lens“

Künstler Robbie Williams

Robbie Williams kämpft auf "Life Thru A Lens" um Anerkennung - und Freiheit.
Robbie Williams kämpft auf „Life Thru A Lens“ um Anerkennung – und Freiheit.
Album Life Thru A Lens
Label Emi
Erscheinungsjahr 1997
Bewertung

Freedom. Das war vielleicht nicht das erste Wort, das Robbie Williams als Solokünstler sprach. Aber es war zumindest seine erste Single. Schon wenig später wollte Robbie Williams von dieser George-Michael-Coverversion allerdings nicht mehr allzu viel wissen: Auf dem Debütalbum Life Thru A Lens ist der Song nicht vertreten, live gibt es ihn schon längst nicht mehr zu hören.

Auch jetzt, wo die ersten sieben CDs des 37-Jährigen noch einmal neu aufgelegt und mit Bonus-DVDs ausgestattet werden, spielt Freedom keine Rolle mehr im Werk von Robbie: Die DVD zu Life Thru A Lens enthält zwar durchaus sehenswerte TV-Performances (unter anderem ein irres Duett mit Tom Jones bei den Brit Awards) und ein erhellendes Interview aus der TV-Talkshow Parkinson. Aber die Debütsingle wird auch hier nonchalant übergangen.

Dabei war die Wahl für Robbies erste Duftmarke als Solist durchaus bezeichnend. „Heaven knows I was such a young boy / I didn’t know what I wanted to be / I was every little hungry schoolgirls pride and joy / and I guess it was enough for me“, lauten zentrale Zeilen von Freedom – besser hätte Mr. Williams höchstselbst seine Vorgeschichte auch nicht auf den Punkt bringen können. Und nach dem Ausstieg/Rausschmiss bei Take That war es vor allem das, wonach sich Robbie Williams sehnte: Freiheit.

Freimütig erzählt er in besagtem Parkinson-Interview auf der DVD von seinen Qualen als Boybandmitläufer. Wie ein Roboter habe er sich bei Take That gefühlt. Auch der Hidden Track führt diese Frustration, diese Wut noch einmal eindrucksvoll vor Augen: „Bollocks Sir, kiss my ass“, heißt die Botschaft, die Robbie Williams hier in so etwas wie einem Gedicht (wenn das nicht so harmlos klingen würde) dem Ex-Manager Nigel Martin-Smith nachsendet. Der Stachel sitzt tief.

Robbies Ausweg war zunächst eine Dauerparty. „I lost the plot“, erzählt er ganz offenherzig – mit denselben Worten fasste lustigerweise Guigsy seine Auszeit zusammen, als er kurzzeitig als Bassist von Oasis passen musste. Genau zu dieser Band suchte der gescheiterte Boyband-Star die Nähe. Keine schlechte Wahl, wenn man Mitte der 1990er Jahre auf der Suche nach der ultimativen Party war. „Ich wollte einfach ausgehen. Und dann hat es ein Jahr gedauert, bis ich wieder nach Hause kam“, fasst Robbie diese Phase schmunzelnd zusammen.

Doch nach einer kurzen Zeit des Amüsements hatten Oasis keine Lust mehr auf den Mann, den Noel Gallagher später immer nur noch „that fat dancer“ nennen sollte. Für Robbie Williams war das ein herber Schlag (trotzdem erwähnt er Noel und Liam hier im Booklet noch bei den Thank Yous). Life Thru A Lens, mehr als ein Jahr nach Freedom erschienen, sollte ihm deshalb nicht nur Freiheit bescheren. Sondern auch Anerkennung.

23 Jahre alt ist Robbie, als er mit der Arbeit an dem Album beginnt. Dass er nicht recht weiß, wo er hin will, machen auch seine Outfits in dieser Zeit klar, die auf der DVD schonungslos dokumentiert sind: Joggingshose, Muskelshirt, Smoking – alles mal dabei. Auch die Frisuren wechseln ähnlich schnell wie bei David Beckham: Der Robbie mit Glatze, der dem blondierten Robbie vorwegging, ist heute fast vergessen.

Musikalisch reitet Robbie Williams gemeinsam mit seinem zehn Jahre älteren Songwriting-Partner Guy Chambers, der zuvor schon bei den Waterboys und World Party sein Talent bewiesen hatte, die Britpop-Schiene. Der Opener Lazy Days ist im Text so naiv und in der Musik so souverän wie Oasis zu dieser Zeit – und auf der DVD spielt die Band das Stück gar im Beatles-Look bei Top Of The Pops.

Der Titelsong beweist danach schon deutlich mehr Individualität: Life Thru A Lens ist ungeduldig und clever. Es ist Robbies Abrechnung mit der High Society und zugleich seine Warnung: Ich bin der Guerilla-Krieger im Jet-Set. Ego A Go Go setzt das fort, thematisiert unfassbar offen die eigene Verzweiflung an der Rolle als öffentliche Person – und macht sich zugleich darüber lustig.

South Of The Border geht noch einen Schritt weiter und deutet (ebenso wie später die definitiv nicht aufrichtig gemeinte Drogenbeichte Clean) sogar schon den Robbie Williams der Zukunft an: Sehr entspannt und selbstbewusst geht es in diesem Beinahe-Sprechgesang zu, der Text ist dezent anzüglich, der Refrain himmlisch. Natürlich muss auch Let Me Entertain You als ein solcher Meilenstein gesehen werden: Es ist quasi das Manifest des Robbie Williams. Der Song hat all den Pomp von Queen oder Guns’N’Roses, aber auch die Ironie und Verdorbenheit von Jarvis Cocker. Diese Kombination war damals einmalig – und hat spätere Frontmänner wie Brandon Flowers erst möglich gemacht.

Old Before I Die, die in Robbie-Williams-Rechnung wirklich echte, einzig wahre Debütsingle, ist der beste Song auf Life Thru A Lens. Das Riff ist gar nicht besonders originell, strahlt aber trotzdem eine extreme Frische aus. Mit Zeilen wie „Tonight I’m gonna live for today / so come along for the ride“, deutet Robbie sein Können als Pop-Texter zumindest schon an, und wenn es im letzten Refrain zwei Halbtöne höher geht, dann ist der Himmel nicht mehr fern.

Auch One Of God’s Better People ist zauberhaft – die Liebeserklärung klingt so putzig (und ehrlich), dass Robbie hier wohl eher seine Mutter besingt als seine Liebste. Auch Killing Me ist eleganter, selbstverliebter Pop. „I can’t go on alone / pretending nothing’s wrong / maybe I just want to belong / somewhere, somehow“ – diese Zeilen könnten auch gut als Vorschau auf die nächsten zehn Jahre dieser außergewöhnlichen Karriere gelten.

Dann ist da ja noch Angels – der Song, ohne den es diese Karriere wahrscheinlich gar nicht gegeben hätte. Denn als die Edelschnulze als vierte Single von Life Thru A Lens erschien, war der Stern von Robbie Williams schon deutlich im Sinken. Das Album verkaufte sich allenfalls passabel – auch, weil Robbie Williams mehr Zeit in Entzugskliniken verbrachte als bei Promotion-Terminen. Ihm drohte das Schicksal, das später auch Mark Owen und Gary Barlow bei ihren Soloversuchen wiederfuhr: ein kurzes Strohfeuer, zehrend vom vergangenen Ruhm, und dann ein quälend langer, schleichender Niedergang mitten hinein in die Versenkung. Bevor Angels zu einem der Weihnachtshits 1997 wurde, hätten die meisten wohl noch darauf gewettet, dass die Robbie Williams ebenso schnell aus dem Business verschwindet wie die Blitzlichter der Fotografen erlischen, die ihn auf dem Albumcover umzingeln.

Doch Angels – ironischerweise der einzige Song auf diesem Album, den man sich auch von Take That hätte vorstellen können – brachte Robbie Williams endgültig die Emanzipation als Solokünstler. Es war zudem sein erster echter Hit außerhalb Englands. Kein Wunder: Selten balancierte jemand im Jahr 1997 so gekonnt zwischen Kitsch, melodischer Eleganz und emotionaler Intensität.

Am anderen Ende des Regenbogens, der mit Angels beginnt, steht der Rausschmeißer Baby Girl Window. Auch hier singt Robbie Williams im zuckersüßen Falsett ein höchst niedliches Liedchen. Doch am Ende von Life Thru A Lens muss das schon wie ein Signal des Selbstvertrauens wirken: Robbie Williams hat kein Problem mehr damit, mit Teeniekacke oder Bubblegum in Verbindung gebracht zu werden – er spielt damit. Die Freiheit kann kommen.

Fat Dancer? Zumindest eins davon stimmt bei dieser irren Performance von Robbie bei den Brit Awards mit Tom Jones:

httpv://www.youtube.com/watch?v=PYR4sUF2Ok4

Robbie Williams bei MySpace.

Eine Analyse der ersten sieben Alben von Robbie Williams aus meiner Feder gibt es auch bei news.de.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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