Künstler | Roxette |
Album | Charm School Revisited |
Label | Emi |
Erscheinungsjahr | 2011 |
Bewertung | ***1/2 |
Roxette haben es ihren Anhängern nicht immer leicht gemacht. Beispielsweise wurden die Fans von 1995 bis 2011 mit genau zwei neuen Studioalben (Have A Nice Day und Room Service) beglückt, denen aber sage und schreibe sechs Kompilationen mit Resteverwertung gegenüberstanden (Rarities, Don’t Bore Us Get To The Chorus, Baladas En Espanol, The Pop Hits, The Ballad Hits und Their 20 Greatest Songs) plus die 4 CDs umfassende Roxbox. Wer ein besonders enthusiastischer Roxette-Verehrer (oder bloß ein krankhafter Komplettist) ist, der musste all das kaufen, denn natürlich war auch immer der eine oder andere unveröffentlichte Track enthalten.
Auch seit der Genesung von Marie Fredriksson und dem umjubelten Comeback gab es für manchen Fan ein bisschen Anlass zu Ärger. Wer im Sommer ein paar hundert Kilometer zu einem der sechs Deutschland-Konzerte gereist ist, hat sich wenige Wochen später vielleicht geärgert, als weitere Live-Termine für den Herbst bekannt wurden.
Es passt also ins Bild, dass das Nummer-1-Album Charm School nun nach wenigen Monaten auf dem Markt (und pünktlich zum Weihnachtsgeschäft) als Charm School Revisited noch einmal neu erscheint – ergänzt um eine zweite CD mit den Demo-Versionen aller Songs und drei Remixes.
Ähnlich wie bei der Tour gilt freilich auch hier: Bei so guter Musik verzeiht man Roxette schnell und gerne. Die Demos, durchweg von Per Gessle allein eingespielt und aufgenommen, geben spannende Einblicke in die Entstehung der Songs, über die mir Gessle schon im Interview interessante Hintergründe verraten hatte.
Bis auf I’m Glad You Called, das wie einst der Fan-Liebling Here Comes The Weekend direkt in einem Hotelzimmer aufgenommen wurde, stammen alle Demos aus Gessles Studio in Halmstad. Bis auf Speak To Me (das als Demo nach den tiefsten 1980ern klingt, obwohl es eines der letzten Lieder war, die für Charm School geschrieben wurden) bleibt es im Sound durchweg streng akustisch.
Der Opener Way Out hat keine Spur von dem Wumms der Album-Version, der Refrain ist trotzdem genauso unwiderstehlich. No One Makes It On Her Own entpuppt sich, nur mit Akustikgitarre und einer herrlich schüchternen Orgel, als gottverdammter Klassiker. Am Ende singt Per Gessle „nanana“ – da sollte wohl ursprünglich noch eine Strophe kommen, die er dann aber doch wegließ.
Der Hit She’s Got Nothing On (But The Radio) ist als Demo zunächst kaum wiederzuerkennen. Der funky Gitarrenrhythmus zeigt aber, dass der Song bei weitem nicht so eindimensional ist, wie er als Single durch den Discobeat wirkt. Hier steckt einiges an Komplexität drin (auch wenn das spätere Break noch fehlt) und am Ende wird die Demoversion sogar beinahe abstrakt.
Besagter Hotelzimmer-Take von I’m Glad You Called erinnert nicht nur wegen des Orts der Aufnahme an Tourism. Derart reduziert wie hier wird auch die Stärke des Textes erst richtig deutlich: In dem Lied steckt eine große Melancholie wie in Never Is A Long Time oder Queen Of Rain.
Sogar düster klingt die auf Charm School Revisited vertretene Version von Only When I Dream (in der, ähnlich wie im Demo von Comeback (Before You Leave) das Break sogar noch besser klingt als der Refrain). Beinahe wirkt es wie ein Outtake aus Gessles Solo-Phase Anfang der 1980er, meinetwegen zur Zeit von Pa Väg. Dabei hat er das Lied ursprünglich für das Have A Nice Day-Album geschrieben, wie Gessle im Interview verrät. „In den Neunzigern hatte ich eine blöde Angewohnheit, die Marie und Clarence, unseren Produzenten, wirklich genervt hat: Ich habe extrem viel Mühe in die Aufnahmen der Demos gesteckt und die waren dann immer schon sehr ausgereift. Ich war eben sehr jung und unwissend damals (lacht). Bei Only When I Dream hassten sie das Demo. Das Lied an sich hat ihnen womöglich gefallen, aber die Demo-Aufnahme fanden sie schrecklich. Aus gutem Grund: Heute finde ich das Demo selbst scheiße. Aber wie ich schon gesagt habe: Wir wollten ein klassisches Roxette-Album machen, und deshalb habe ich auch Lieder noch einmal heraus gekramt, die ich früher geschrieben hatte, in den Achtzigern und Neunzigern. Ich wollte mir selbst in Erinnerung bringen, wie diese Lieder funktionieren und ob sich meine Art zu komponieren seitdem vielleicht verändert hat, was wahrscheinlich wirklich der Fall ist. Dabei habe ich Only When I Dream gefunden, und ich fand das Lied spannend. Es schreit förmlich danach, als Duett gesungen zu werden. Deshalb habe ich ein neues Demo aufgenommen, diesmal nur mit Gitarre und Gesang. Das habe ich dann Marie und Clarence als neues Lied verkauft – und sie haben nicht gemerkt, dass ich ihnen das Stück früher schon einmal unterjubeln wollte. Sie hatten das Lied komplett vergessen, und jetzt mochten sie es. Später habe ich ihnen natürlich noch verraten, dass ich es damit 1997 schon einmal versucht hatte. Und es ist jetzt ein Lied geworden, das ganz klassisch nach Roxette klingt.“
Das markanteste Kennzeichen von Dream On ist (neben der ultra-hohen Stimme von Per, die zeigt, dass der Song eigentlich für Marie bestimmt war) auch beim Demo schon die Schunkeligkeit. Big Black Cadillac deutet im Gegensatz zur Albumversion seine Aggressivität bloß an, und das ist nicht ohne Reiz. Zudem ist der Text noch minimal anders als dann später auf Charm School. Herrlich sanft gerät danach In My Own Way, dem man in keinem Moment anhört, dass die Komposition schon mehr als 25 Jahre alt ist.
Am faszinierendsten ist die Demo-Version von After All, denn sie offenbart noch längst nicht die ganze Klasse, die der Song dann als Album-Version hat. Wie clever das Ganze dann schließlich produziert wurde, um jede Menge Beatles-Flair zu bekommen, wird dadurch erst recht deutlich. Als Piano-Ballade mit dezenten Streichern kommt Happy On The Outside daher, der Rausschmeißer Sitting On Top Of The World wirkt als Demo ungeheuer spontan. Nicht bloß wie eine Skizze, sondern wie der Schnappschuss eines Gefühls.
Dazu kommen auf Charm School Revisited drei Remixes. Das Bassflow Remake von Speak To Me macht das Lied noch ein bisschen größer, fast sogar ein wenig arg pompös. Der Adam Rickfors Remix von She’s Got Nothing On (But The Radio) lässt nichts vom Reiz des Originals übrig, fügt aber leider auch nichts an dessen Stelle. Am besten gelingt der Adrian Lux Remix von She’s Got Nothing On (But The Radio), der ebenso eigenständig wie aggressiv ist.
Die zwei Songs, die laut Per Gessle noch für Charm School aufgenommen wurden, dann aber nicht auf dem Album landeten, sind leider auch auf Charm School Revisited nicht enthalten. Wenn man Pessimist ist, wird man denken: Die gibt es bestimmt irgendwann auf der nächsten Resteverwertung. Wenn man Optimist ist, kann man auch glauben: Vielleicht finden sie den Weg auf das nächste reguläre Roxette-Album.
Per Gessle spricht im Interview mit news.de über die Entstehung von Charm School:
httpv://www.youtube.com/watch?v=XhYLiJ4CDRc