Künstler | S. A. Andrée |
Album | There Is A Fault |
Label | Lex |
Erscheinungsjahr | 2010 |
Bewertung | *** |
Im Jahr 1999 haben Ben Folds Five ein Album gemacht, dem sie den seltsamen Titel The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner gaben. Die Platte war grandios, mit dem Abenteurer aus Südtirol, der als Namensgeber fungierte, hatte sie aber gar nichts zu tun.
Gut zehn Jahre später erleben wir den umgekehrten Fall. There Is A Fault heißt dieses Album – das kann sich auf alles Mögliche beziehen. Doch der Inhalt ist hier tatsächlich die Lebensgeschichte eines Abenteurers. There Is A Fault erzählt von der gescheiterten Polarmission, zu der im Jahr 1897 der schwedische Forscher S. A. Andrée aufbrach. Er wollte mit einem Gasballon so nah wie möglich an den Nordpol kommen, doch schon nach wenigen Tagen stürzte er ab. S. A. Andrée starb mit seinen beiden Begleitern im arktischen Eis. Erst 33 Jahre später wurden ihre Überreste gefunden, zusammen mit ihren umfangreichen Aufzeichnungen in Form von Tagebüchern, Karten und Fotos.
There Is A Fault ist in gewisser Hinsicht sogar eine autorisierte Biografie. Denn die Platte, die der Musiker Drew Brown unter dem Pseudonym S. A. Andrée herausbringt, begleitet eine Ausstellung rund um die gescheiterte Expedition, mit Fundstücken aus dem Eis und Kunstwerken rund um die Mission.
Entsprechend ist die Musik: Hier geht es um Atmosphäre. There Is A Fault ist eisig, weit, verlassen – und der Tod lauert immer gleich um die Ecke. Nicht nur deshalb lässt das Album an Jean-Michel Jarre oder Kraftwerk denken. Sondern auch, weil Drew Brown hier mit sehr alten, analogen Synthesizern gearbeitet hat. An ganz vielen Stellen wird deutlich: Diese Instrumente wollen gar nicht verbergen, dass sie Maschinen sind. Sie schaffen stattdessen eine Maschinenwelt, in der das Menschliche nur noch Erinnerung ist.
Der Beginn Nonpilot, in dem S. A. Andrée quasi als Ich-Erzähler vorgestellt wird, könnte auch von der Beta Band sein, denn das Lied durchzieht – weiß man um den Hintergrund der Geschichte – eine seltsame Furcht und eine ebenso geheimnisvolle Entschlossenheit.
Auch From Svalbard (benannt nach dem Startort des Fluges) hat einen Beat, der für stoisches Voranschreiten sorgt und doch unruhig wirkt. Örnen (so hieß der Ballon, in dem Andrée unterwegs war) verbreitet mit Akustikgitarre und einer Flüsterstimme à la Donovan eine wunderbare Leichtigkeit. Spätestens bei Profondeur 2 M 10 ist dann klar, dass die Expedition zum bitteren Überlebenskampf geworden ist. Die Lebensfeindlichkeit, Monotonie und Menschenleere der Arktis ist hier ebenso greifbar wie die Ungewissheit der drei Abenteurer. Actigraphy/Guesswork, das vorletzte Stück, klingt wie die sanftesten Momente von Hot Chip. Der Schluss, Pacifica, wird mit dunklen Streichern ein Requiem für einen ganz langsamen Tod.
Das Faszinierende an There Is A Fault ist nicht nur, wie gut das Album als akustische Biografie funktioniert. Besonders gekonnt setzt Drew Brown auch seine minimalistischen Beats ein. Das führt auf Dauer sogar dazu, dass sich hier das gewohnte Kräfteverhältnis umkehrt: Man ist fast geneigt, die Rhythmen mitzusingen, während alle anderen Instrumente bloß Fundament oder Hintergrund sind. Auch das ist eine tolle Entsprechung für die Erfahrung, die S. A. Andrée und seine Mitstreiter machen mussten: das Verschwinden des Menschen in der Übermacht der Natur.
Eine kleine Dokumentation über die Expedition von S. A. Andrée (nicht mit der Musik von Drew Brown):
httpv://www.youtube.com/watch?v=Jk1_zXeSoUQ
S. A. Andree
“There Is A Fault”
(Lex/Cooperative)
03.12.2010
Im Jahr 1999 haben Ben Folds Five ein Album gemacht, dem sie den seltsamen Titel The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner gaben. Die Platte war grandios, mit dem Abenteurer aus Südtirol hatte sie aber gar nichts zu tun.
Gut zehn Jahre später erleben wir den umgekehrten Fall. There’s A Fault heißt dieses Album – das kann sich auf alles Mögliche beziehen. Doch der Inhalt ist hier tatsächlich die Lebensgeschichte eines Abenteurers. There’s A Fault erzählt von der gescheiterten Polarmission, zu der im Jahr 1897 der schwedische Forscher S. A. Andrée aufbrach. Er wollte mit einem Gasballon so nah wie möglich an den Nordpol kommen, doch schon nach wenigen Tagen stürzte er ab. S. A. Andrée starb mit seinen beiden Begleitern im arktischen Eis. Erst 33 Jahre später wurden ihre Überreste gefunden, zusammen mit ihren umfangreichen Aufzeichnungen in Form von Tagebüchern, Karten und Fotos.
There’s A Fault ist in gewisser Hinsicht sogar eine autorisierte Biografie. Denn die Platte, die der Musiker Drew Brown unter dem Pseudonym S. A. Andrée herausbringt, begleitet eine Ausstellung rund um die gescheiterte Expedition, mit Fundstücken aus dem Eis und Kunstwerken rund um die Mission.
Entsprechend ist die Musik: Hier geht es um Atmosphäre. There’s A Fault ist eisig, menschenleer – und der Tod lauert immer gleich um die Ecke. Nicht nur deshalb lässt das Album an Jean-Michel Jarre oder Kraftwerk denken. Sondern auch, weil Drew Brown hier mit sehr alten, analogen Synthesizern gearbeitet hat. An ganz vielen Stellen wird deshalb deutlich: Diese Instrumente wollen gar nicht verbergen, dass sie Maschinen sind. Sie schaffen stattdessen eine Maschinenwelt, in der das Menschliche nur noch Erinnerung ist.
Der Beginn Nonpilot, in dem S. A. Andrée quasi als Ich-Erzähler vorgestellt wird, könnte auch von der Beta Band sein, denn das Lied durchzieht – weiß man um den Hintergrund der Geschichte – eine seltsame Furcht und eine ebenso geheimnisvolle Entschlossenheit.
Auch From Svalbard (benannt nach dem Startort des Fluges) hat einen Beat, der für stoisches Voranschreiten sorgt und doch unruhig wird. Örnen (so hieß der Ballon, in dem Andrée unterwegs war) verbreitet mit Akustikgitarre und einer Flüsterstimme à la Donovan eine wunderbare Leichtigkeit. Spätestens bei Profondeur 2 M 10 ist dann klar, dass die Expedition zum bitteren Überlebenskampf geworden ist. Die Lebensfeindlichkeit, Monotonie, Menschenleere der Arktis ist hier ebenso greifbar wie die Ungewissheit der drei Abenteurer. Actigraphy/Guesswork, das vorletzte Stück, klingt wie die sanftesten Momente von Hot Chip. Der Schluss, Pacifica, wird mit dunklen Streichern ein Requiem für einen ganz langsamen Tod.
Das Faszinierende an There’s A Fault ist nicht nur, wie gut das Album als akustische Biografie funktioniert. Besonders gekonnt setzte Drew Brown auch seine minimalistischen Beats ein. Das führt auf Dauer sogar dazu, dass sich hier das gewohnte Kräfteverhältnis umkehrt: Man ist fast geneigt, die Rhythmen mitzusingen, während alle anderen Instrumente bloß Fundament oder Hintergrund sind. Auch das ist eine tolle Entsprechung für die Erfahrung, die S. A. Andrée und seine Mitstreiter machen mussten: das Verschwinden des Menschen in der Übermacht der Natur.