Hingehört: Samuel Harfst – „Schritt zurück“

Zurück zur ersten Liebe will Samuel Harfst auf seinem sechsten Album.
Zurück zur ersten Liebe will Samuel Harfst auf seinem sechsten Album.
Künstler Samuel Harfst
Album Schritt zurück
Label RaketenRecords
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung **1/2

Uff. So etwas muss man wohl einen Wow-Effekt nennen. Mittendrin in Schritt zurück, dem sechsten Album von Samuel Harfst, passiert es plötzlich. Man ist zu diesem Zeitpunkt ein bisschen eingelullt von den ersten sieben Liedern, die durchweg sehr schön, aber im Zweifel eher harmlos und beschaulich als energisch sind. Dann erklingen ein paar Klaviertöne, alles deutet auf einen weiteren Kuschelsong hin, und dann passiert es. Samuel Harfst singt den Text des Liedes, und der geht so: „Einigkeit und Recht und Freiheit / für das deutsche Vaterland / danach lasst uns alle streben / brüderlich mit Herz und Hand.“

Ja. Der Song heißt Deutschland und er ist die Nationalhymne, interpretiert als Schmusepop. Am Ende singt ein Chor mit und bei einem bereits geplanten Auftritt am 3. Oktober in Berlin will Samuel Harfst aus seiner Version des Deutschlandlieds noch ein Videoprojekt machen. Auch wenn der 26-Jährige, der größtenteils in Eigenregie bei seinen Konzerten immerhin 50.000 Alben verkauft hat, nach eigenem Bekunden keine allzu großen Erwartungen mehr an seine eigene Karriere hat, könnte das durchaus Wellen schlagen.

Pop und Hymne – die Idee ist mutig, aber natürlich nicht neu. Die Beatles haben bei ihrem Auftritt auf dem Apple-Dach God Save The Queen gespielt. Jimi Hendrix hat in Woodstock das Star Spangled Banner gemeuchelt. Serge Gainsbourg hat aus der Marseillaise einen fluffigen Reggae namens Aux armes et caetera gemacht. Ihnen allen war gemein, dass sie die Hymne nicht glorifiziert, sondern dekonstruiert haben. Bei Samuel Harfsts Deutschland hört man keinen Protest heraus. Er scheint mit diesem Lied, mit diesem Land voll und ganz einverstanden.

Das ist durchaus typisch für Samuel Harfst. Schritt zurück verströmt durchweg eine Sehnsucht nach Behaglichkeit, Zuflucht und notfalls auch dem sorgenfreien kleinen Spießerleben, die man so in letzter Zeit beispielsweise auch bei Philipp Poisel gehört hat. Anders als du denkst ist ein gutes Beispiel dafür: Der 26-Jährige bietet sich darin als Anker, Hafen oder Retter an, und der Partner/die Beziehung/die Liebe an sich wird zum Asyl, das vor allem dazu dient, dem Rest der Welt den Rücken kehren zu können.

Das wäre reichlich kitschig, wenn Samuel Harfst nicht so schöne Lieder aus dieser Mentalität machen könnte, und nicht mit solch bewundernswerter Innigkeit zu Werke ginge. Schritt zurück ist erfüllt von einem Ausmaß an Herzblut, wie es vielleicht nur in einem Sänger stecken kann, der es vom Straßenmusiker zum Major-Label-Vertrag und ins Vorprogramm von Whitney Houston gebracht hat.

So ist dann auch der Albumtitel gemeint. Es gehe um den „Schritt zurück zur ersten Liebe, zur Musik“, erklärt Samuel Harfst. Gemeinsam mit seinen beiden Mitstreitern Dave und Dirk habe er sich „in vielen Bereichen nach vorne entwickelt. Aber insgesamt geht es wieder sehr viel um den Kern von Musik, um Intimität, Authentizität und wirklich das, was vor den Mikros passiert.“

Der Titelsong wird entsprechend zum Lobpreis von Geduld und Besinnung, klingt sehr elegant und zunächst beinahe betulich, hat (vor allem, wenn am Ende der Chor und die Streicher hinzukommen) aber auch ein kleines bisschen Stadionrock im Sinn – eine Kombination, die früher schon bei Virginia Jetzt! gut funktioniert hat.

Samuel Harfst kann beinahe minimalistisch klingen wie in Auf dein Wort hin (das man wohl auch als Gebet im Sinne von Xavier Naidoo auffassen kann), komplex und ambitioniert wie in Lass mich raten oder nahezu sinfonisch wie ganz am Ende in Ehrengast, das so etwas wie sein Credo enthalten könnte: „Ich sag: Ich mach Musik / doch eigentlich macht sie mich.“ Fernweh und Country-Feeling durchziehen Komm wir stehlen uns davon, die Angst vor dem Tagesanbruch steckt in Morgenrot um Mitternacht, das jede Silbe verschleppt und tatsächlich wie ein Traum klingt.

Im heiteren Mit dir kommt der Sommer, das den Auftakt der Platte macht, wird das Schlagzeug bloß gestreichelt, die Streicher sind entzückend und die Text macht deutlich, dass Liebe manchmal Dankbarkeit, Schwärmen, Sehnsucht und Vertrautheit zugleich bedeuten kann. Abschied wird hingegen beinahe tanzbar und verbreitet im Sound einen fast trotzigen Optimismus, auch wenn der Text von Liebeskummer handelt.

Das beste Lied von Schritt zurück ist Wenn du es auch so siehst, denn hier fallen alle Qualitäten dieses Albums zusammen. Die manchmal etwas arg genuschelte Stimme von Samuel Harfst klingt hier vollkommen, wenn sie zu Beginn nur von Klavier, Bass und Cello begleitet wird, das Arrangement bleibt auch danach großartig und der Text hat ebenso rührende wie einfache Bilder zu bieten wie diese: „Aus uns könnte etwas Großes werden / wenn du es auch so siehst / wir zwei könnten schöne Töchter zeugen / die tausenden von Jungen Kopf und Herz verdrehen.“

Darin steckt so viel Romantik, Sehnsucht, Aufrichtigkeit und Optimismus, dass man fast sicher sein kann, Samuel Harfst hätte beim Deutschlandlied nicht nur auf die dritte Strophe geachtet, sondern auch gut die Botschaft von ein paar anderen Zeilen von Hoffmann von Fallersleben unterschreiben können. Zum Beispiel diese: „Deutscher Wein und deutscher Sang / sollen in der Welt behalten / ihren alten schönen Klang / uns zu edler Tat begeistern / unser ganzes Leben lang.“

Samuel Harfst gibt Einblicke in Schritt zurück:

httpv://www.youtube.com/watch?v=Qcs8UZq5qac

Homepage von Samuel Harfst.

 

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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Ein Gedanke zu “Hingehört: Samuel Harfst – „Schritt zurück“

  1. Kleiner Hinweis zu:

    „Anders als du denkst ist ein gutes Beispiel dafür: Der 26-Jährige bietet sich darin als Anker, Hafen oder Retter an, und der Partner/die Beziehung/die Liebe an sich wird zum Asyl, das vor allem dazu dient, dem Rest der Welt den Rücken kehren zu können.“

    Nicht Samuel Harfst bietet sich in diesem Lied an, sondern dieses Lied ist eine Auseinandersetzung mit Johannes14.6

    „Jesus antwortete: »Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, und ich bin das Leben! Ohne mich kann niemand zum Vater kommen.“

    In vielen Stücken von Samuel Harfst kommt es zu Zitaten und Interpretationen der Bibel, offen und versteckt aber immer wie selbstverständlich vorbeikommend.

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