Künstler | Samy Deluxe | |
Album | SchwarzWeiss | |
Label | Emi | |
Erscheinungsjahr | 2011 | |
Bewertung |
Vier Dinge erstaunen, wenn man SchwarzWeiss hört, das vierte Soloalbum von Samy Deluxe.
Erstens: Nachdem alle drei Vorgänger den Spitzenplatz knapp verpasst hatten, ist die Platte das erste Nummer-1-Album für den 33-Jährigen geworden. Und das, obwohl er sich durchaus ein ganzes Stück von der bisherigen Erfolgsformel entfernt hat und zudem ein Werk geschaffen hat, das kein bisschen auf Mainstream-Tauglichkeit achtet. „Bei der Produktion sind über 100 Songs entstanden, die in alle möglichen Richtungen gingen. Irgendwann hab ich dann gemerkt, dass die Rap-Momente sehr stark sind“, erklärt Samy Deluxe im Interview mit news.de, warum es diesmal beispielsweise deutlich weniger Reggae gibt. „Ich hab dann immer mehr auf meinen Instinkt gehört und nicht auf kommerzielle Messwerte geachtet. Ich war mir auch ziemlich sicher, dass viele der Stücke so unkonventionell sind, dass sie nicht im Radio laufen würden. Irgendwas muss ich aber richtig gemacht haben, denn jetzt laufen sie doch im Radio. Manchmal muss man einfach die Eier haben – ich hab schließlich auch nicht angefangen, um ins Radio zu kommen, sondern als einer der rebellischsten, härtesten und frechsten Typen im deutschen Hip Hop.“
Zweitens: Fast alles an SchwarzWeiss hat Samy Deluxe selbst gemacht. Durchaus ungewöhnlich im HipHop, wo immer gerne auf Kollaborationen gesetzt wird. Erst recht erstaunlich bei Samy Deluxe, dessen Netzwerk nach einem halben Leben im Business längst weit über das Musikgeschäft hinausragt: Samy Deluxe ist als Fernsehmoderator für das ZDF, Labelboss bei Deluxe Records, Buchautor, Produzent, Theatermusiker, Turnschuhdesigner und Vereinschef für den guten Zweck unterwegs. Nur nach einem einzigen Track taucht ein „feat.“ auf: Im Refrain von Zurück zu wir, das äußerst funky die Anonymität der Großstadt, den Mangel an Orientierung und Miteinander thematisiert, singt Max Herre mit.
Drittens: Auf SchwarzWeiss wimmelt es vor Gitarren. Nicht gerade das prototypische HipHop-Instrument, ist sie hier in quasi allen Varianten zu hören, vom Red-Hot-Chili-Peppers-Riff (Poesie Album) über Lagerfeuersounds (Keine Wahre Geschichte) bis hin zum Country-Style (Strassen Musik). Auf insgesamt 7 der 16 Tracks gibt es eine Gitarre – sehr viel anders sieht die Quote bei Blur oder Bloc Party auch nicht aus.
Viertens: SchwarzWeiss ist verdammt gut. Davon war nicht unbedingt auszugehen bei einem Mann, der von Echo über MTV Music Award bis hin zum Comet schon quasi alles abgeräumt hat, und den die Plattenfirma mit einiger Berechtigung „den erfolgreichsten deutschen Rapper der letzten 15 Jahre“ nennt. Die viel beschworene Flaute im deutschen HipHop hat Samy Deluxe ganz offensichtlich inspiriert und angespornt.
Der Auftakt von SchwarzWeiss deutet allerdings in keiner Weise an, welch erstaunliche Entwicklung das Album nehmen und welches Level von Qualität es erreichen wird. SchwarzWeissAnfang ist ganz am Beginn bloß ein Durcheinander von Samples, dann folgt das Intro, das zwar einen mächtigen Seeed-Beat hat und mit ein paar absichtlich vernuschelten Zeilen schon die Spiellaune von Samy Deluxe andeutet, aber auch nichts Essentielles zu bieten hat. Wenn sich Samy Deluxe dann im nächsten Track Poesie Album in eine Reihe mit Erich Kästner, Marcel Reich-Ranicki und Bertolt Brecht stellt, dann ist die Platte kurz davor, in Richtung Peinlichkeit abzudriften. „Rap ist immer eine egozentrische Selbstdarstellung von einem Typen, der es nötig hat. Ich habe es mir irgendwann zum Hobby gemacht, darüber zu schreiben, wie geil ich bin. In manchen Momenten nehme ich das gar nicht so ernst, wie man meint. Und in anderen nehme ich es noch viel ernster als andere sich das vorstellen können“, sagt Samy Deluxe – aber den Macker, den er am Beginn von SchwarzWeiss heraushängen lässt, nimmt man ihm bis dahin einfach nicht ab.
Dann passiert etwas Erstaunliches: Mit Ego wechselt Samy Deluxe plötzlich zur Introspektive, und diesen Blickwinkel verlässt er dann kaum noch. Ab diesem Punkt wird SchwarzWeiss ein ganzes Stück spannender. Nicht nur wegen der Einblicke, die Samy Deluxe hier in sein Seelen- und Privatleben gibt. Sondern auch, weil die Themen jenseits der Prahlerei auch für die Musik eine ganz neue Bandbreite möglich machen.
Es dauert eine ganze Weile, bis Samy Deluxe danach noch einmal in den klassischen Rap-Modus zurückkehrt, in dem er sein Revier markiert – und natürlich allen anderen ans Bein pinkelt. „Dies ist keine Promotour / dies ist deutsche Hochkultur“, heißt einer der Slogans im Hit Hände hoch, das von einer mächtigen Bassdrum angetrieben wird und an die besten Momente der Absoluten Beginner denken lässt. Zu diesem Zeitpunkt hat Samy Deluxe längst allen Grund, sich feiern zu lassen. Zumal er so clever ist, sich auch zuvor bei Allein nicht in Kampfansagen zu ergehen, sondern eher eine leicht nostalgische, geradezu nüchterne Bestandsaufnahme zu liefern und zu den wilden Electrosounds von RapGenie in der Frage nach seiner Klasse und Kompetenz einfach auf seine Fans zu verweisen. Das zeigt: Beweihräucherung klingt gleich doppelt so gut, wenn nicht „Selbst-“ davor steht.
Ansonsten aber gibt es erstaunlich bescheidene, manchmal sogar zweifelnde Töne. Eines Tages beispielsweise hat einen trägen Beat, zu dem Samy Deluxe mit einer fast müden, aber weisen Stimme singt, sodass man beinahe Udo Lindenberg am Werke wähnt. Die Sozialkritik von Wer wird Millionär dürfte sich nicht nur auf den iPods vieler deutscher Occupy-Anhänger finden. Der Text über Ungerechtigkeit und Aufbegehren wird auch mit einer Musik unterlegt, die unheimlich, brüchig und abgehackt ist. Man könnte auch sagen: Dieser Track steht kurz vor dem Zusammenbruch, und das ist natürlich die perfekte Entsprechung für diese Thematik. Warum bei so viel Qualität und Message die Feuilletons stattdessen von Casper schwärmen, muss ein Rätsel bleiben.
Wenn Samy Deluxe dann in Strassen Musik die Vorstellung durchspielt, auch ganz persönlich vom sozialen Abstieg betroffen zu sein, dann ist das ein erstaunlicher Kontrast zum Geprotze des Intros. Auch Keine wahre Geschichte profitiert enorm davon, wie authentisch es Samy Deluxe gelingt, in eine Rolle zu schlüpfen. In diesem Fall blickt er auf den Werdegang eines verhinderten Amokläufers (ähnlich wie Clemens Meyer in seiner Erzählung German Amok) und legt dabei einen Text vor, der quasi zwangsläufig visuell wird, so treffend ist er.
Mit Doppelt VIP (einem etwas lahmen Liebeslied an seinen Sohn, der nun bei der Mutter in den USA lebt) und Vater im Himmel, einer posthumen Versöhnung mit seinem Vater, den Samy Deluxe früher allenfalls mit bösen Zeilen bedacht hatte, wird es dann geradezu intim. Während es auf Rap-Alben noch durchaus üblich ist, wie mit Doppelt VIP dem eigenen Nachwuchs zu huldigen, ist die Reue von Vater im Himmel ein im höchsten Maße ungewöhnliches Gefühl.
Der Titelsong ist ein weiterer Höhepunkt. Mit SchwarzWeiss positioniert sich Samy Deluxe, geboren als Sohn einer deutschen Mutter und eines sudanesischen Vaters, zwischen allen Stühlen und verabschiedet zugleich Selbstzweifel, Stigmatisierung und Rassismus. In der ersten Strophe probiert Samy Deluxe quasi live verschiedene Klanglandschaften aus, dann folgen ein catchy Refrain und ein famoses Soul-Break. Das ist so überzeugend, schlau und verführerisch, dass wahrscheinlich sogar Thilo Sarrazin wieder an Multikulti glauben könnte.
Mit dem Rausschmeißer Unbeschriebenes Blatt thematisiert der Hamburger dann sogar das eigene Versagen. Wie er da aus einem Moment der Schreibblockade mit sagenhafter Spontaneität einen famosen Schlusspunkt für SchwarzWeiss macht, das verweist nicht nur auf seine Qualitäten als Freestyler. Es ist auch enorm mutig. „Wenn man zu einem Star wird, entfernt man sich automatisch von der Kunst. Jeder Moment, in dem du was Neues riskierst, noch dazu etwas wirklich Schweres, ist auch ein Moment, in dem du komplett versagen kannst. Ich will davor keine Angst haben. Ich will’s einfach probieren“, betont Samy Deluxe.
SchwarzWeiss ist so weit weg vom Versagen wie eine Platte nur sein kann. Die Styles sind über jeden Zweifel erhaben, die Musik ist inspiriert, und die Texte sind nichts weniger als Aussagen über das Leben, aktuell, persönlich, relevant. Reportagen in Reimform.
Ein Blick hinter die Kulissen beim Videodreh zu Poesie Album und Hände Hoch:
httpv://www.youtube.com/watch?v=YfnhNjb7zG4
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