Sheryl Crow – „100 Miles From Memphis“

Künstler*in Sheryl Crow

Klassisch, aber jung und sexy: Diesmal schafft Sheryl Crow den Spagat.
Klassisch, aber jung und sexy: Diesmal schafft Sheryl Crow den Spagat.
Album 100 Miles From Memphis
Label A&M
Erscheinungsjahr 2010
Bewertung

Man soll ein Buch (und wohl auch ein Album) ja nicht nach seinem Cover bewerten. Im Fall von Sheryl Crows neuer CD 100 Miles From Memphis macht das aber durchaus Sinn. Denn die Hülle der neuen Platte ist der beste Beweis für die Widersprüchlichkeit, die Sheryl Crow auf ihren letzten Werken stets an den Tag gelegt hat: Das Design erinnert an legendäre Stax-Alben und schreit ganz laut: Klassiker! Doch das Schwarz-Weiß-Foto zeigt eine Sheryl Crow, die zwar stramm auf die 50 zugeht, Mutter von zwei kleinen Adoptivsöhnen ist und vor einigen Jahren eine Brustkrebsbehandlung überstanden hat, aber hier locker als Endzwanzigerin durchgehen könnte. Auch ihre Pose präsentiert stolz: Jugend!

Es ist ein Spagat, der die Karriere von Sheryl Crow spätestens seit dem Album C’mon C’mon (2002) begleitet: Sie will als Künstlerin ernst genommen werden, sie will sich mit den Größten messen. Aber sie will auch nach wie vor sexy sein. Und erfolgreich.

Das Problem dabei ist wohl schlicht, dass es für diese Rolle keine Vorbilder gibt. Es gibt genug Männer, die im Rock in Würde gealtert sind, und Sheryl Crow fühlt sich vielen von ihnen sehr verbunden. Sie hat im Hintergrund auf  einer Johnny-Cash-Platte gesungen, sie hat den Segen von Bob Dylan bekommen, man sagt ihr eine Affäre mit Eric Clapton nach und sie hat ein Duett mit Sting aufgenommen.

An ihrem Renommee gibt es keine Zweifel. Aber eine erwachsene, sogar reife Frau in Rockerpose? Dafür fehlen schlicht die Fixpunkte, an denen man sich orientieren könnte und die diese Option kulturell etabliert hätten. Tina Turner? Die ist eher Performer denn Autor. Joni Mitchell? Die rockt nicht. Und Chrissie Hynde? Der fehlt als Solokünstlerin schlicht der Mainstreamerfolg, um breitenwirksam genug zu sein.

Auch Sheryl Crow hat diesen Spagat zuletzt nicht immer ganz stilsicher geschafft. Die gute Nachricht am heute erscheinenden 100 Miles From Memphis ist aber: Diesmal klappt er voll und ganz. Sheryl Crow scheint nun auf dem besten Weg zu sein, der erste weibliche Rockstar zu werden, der auch im Rentenalter relevant und unpeinlich bleibt. Und sie kommt nach Hause.

Denn 100 Miles From Memphis ist Sheryl Crow aufgewachsen – und sie erfüllt sich nun einen lange gehegten Traum, in dem sie den Sound der Elvis-Stadt auf Platte bannt. Memphis „hat nicht nur meinen Musikgeschmack geprägt, sondern auch mein gesamtes Weltbild. Die Musik von dort ist ein Teil von mir, und sie ist noch immer noch die wichtigste Inspirationsquelle und der zentrale Antrieb für alles, was ich mache“, sagt sie dazu.

Diese Herangehensweise führt nicht nur dazu, dass sich solides, aber auch einigermaßen beliebiges Handwerk, wie es sich zuletzt bei Sheryl Crow immer wieder eingeschlichen hatte, diesmal kaum stattfindet (das etwas überdrehte Peaceful Feeling ist der einzig schwache Moment). Das neue Motto führt auch dazu, dass 100 Miles From Memphis eine sehr stimmige Atmosphäre mit vielen Bläsern, großer Heiterkeit und erstaunlicher Spontaneität bekommt.

In den Texten wird nicht mehr geklagt und gegrübelt wie zuletzt auf Detours, sondern es geht vergleichsweise schlicht und offen zu. Bestes Beispiel ist die Single Summer Day. „Etwas ganz Einfaches und Positives“ wollte Sheryl Crow damit hinbekommen, und in der Tat klingt das Stück wie der erste heitere Morgen nach Wochen voller drückender Schwüle und einem Gewitter in der Nacht.

Der Bonus-Track ist gar in ein paar Minuten entstanden: Eine Coverversion des Jackson-5-Hits I Want You Back steht am Ende von 100 Miles From Memphis – eine Verbeugung Sheryl Crows vor Michael Jackson, für den sie Ende der 1980er Jahre im Background gesungen hatte.

Auch andere männliche Größen sind auf dem Album präsent: Keith Richards lebt im entspannten Eye To Eye seine Vorliebe für Reggae aus. Justin Timberlake (übrigens gebürtig aus Memphis) singt im Hintergrund von Sign Your Name, der zweiten Coverversion. Dem Song von Terence Trent D’Arby wird hier nicht nur jeglicher Machismo, sondern auch seine klinische Eighties-Erotik ausgetrieben. Bei Sheryl Crow ist Sign Your Name keine Balz, sondern ein Flirt; hier wird nicht verführt, sondern verzaubert.

Say What You Want und der Titelsong haben eine charmante Leichtigkeit und viel Motown-Feeling, Roses And Moonlight entwickelt mit dezentem Druck und fast versteckten Wah-Wah-Gitarren ein erstaunliches Sex-Appeal, Sideways ist ein opulentes, aber sehr zärtliches Duett mit Citizen Cope.

Auch Our Love Is Fading ganz zum Beginn des Albums zeigt, warum die neue Sheryl Crow so gut klingt: Das Stück ist heiter und energisch, aber in keinem einzigen Moment anbiedernd. Nach dieser Platte darf Sheryl Crow ebenso entspannt sein wie ihre Fans: Das Alterswerk kann kommen.

Sheryl Crow spricht bei GMTV über 100 Miles From Memphis und spielt danach Summer Day:

httpv://www.youtube.com/watch?v=aNVskOGV67w

Sheryl Crow bei MySpace.

Diesen Artikel gibt es auch bei news.de.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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3 Gedanken zu “Sheryl Crow – „100 Miles From Memphis“

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