Künstler | Smashing Pumpkins | |
Album | Oceania | |
Label | Sony | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
Billy Corgan bringt alles mit, was ein Rockgott braucht. Ein unverwechselbares Äußeres (manche sagen auch: ein potthässliches Mondgesicht). Eine Stimme, die man aus Tausenden heraushört (manche sagen auch: den lebenden Beweis, dass eine Nase auch ohne Zuhilfenahme sämtlicher anderer Organe singen kann). Ein gutes Gespür für markante Riffs und ein noch besseres Gespür für Melodien (manche sagen auch: die fiesesten Eigenschaften von Black Sabbath und Cheap Trick, vereint in einem Körper).
Vor allem aber hat er das, was wirklich zählt, wenn es gilt, Fans zu faszinieren, Kritiker zu beschäftigen und selbst von den eigenen Bandkollegen als wandelndes Mysterium wahrgenommen zu werden: einen rastlosen, kaputten Geist. Der Mann hat 30 Millionen Platten verkauft, den Tod von Bandmitgliedern und eine Affäre mit Courtney Love überstanden. Er hätte wirklich gute Argumente, sich zur Ruhe zu setzen. Stattdessen wirkt er wie ein Getriebener, der es immer noch allen beweisen muss.
Der 45-Jährige haut seit Jahren fleißig Online-Exklusiv-Stücke raus, überwacht nebenher die Neuveröffentlichung des Back-Katalogs, referiert auf YouTube über Gitarreneffekte und ist ständig auf Tour. Es ist sein unruhiger Geist, der Billy Corgan auch zwölf Jahre nach dem ersten offiziellen Ende der Smashing Pumpkins weitermachen lässt und nun, fünf Jahre nach dem Comeback in neuer Besetzung, zu Oceania geführt hat.
Das siebte Studioalbum der Smashing Pumpkins ist ein schwieriges Unterfangen. „Mir ist es wichtig zu betonen, dass wir vor allem als Gruppe existieren, um gemeinsam neue Musik zu machen“, sagt Corgan beispielsweise. Glauben kann man das kaum. Corgan war seit der Gründung der Smashing Pumpkins im Jahr 1988 nicht nur der Kopf der Band, sondern ihr Alleinherrscher. Es ist kaum anzunehmen, dass er plötzlich die Demokratie entdeckt hat, bloß weil er nun mit Jeff Schroeder (Gitarre, musiziert seit 2007 mit Corgan), Mike Byrne (Schlagzeug, seit 2009) und Nicole Fiorentino (Bass und Gesang, seit 2010) zu Werke geht.
Viele der Fans der ersten Generation schmähen diese Besetzung als Retorten-Pumpkins. Die Umbesetzung schließt auch aus, dass die Band jemals noch einmal eine Relevanz erreichen könnte wie mit Siamese Dream oder Mellon Collie And The Infinite Sadness, denn der Makel der Ersatzlösung ist untilgbar. Und nicht zuletzt wird die Identifikation mit den neuen Pumpkins dadurch erschwert, dass Corgan als notorisch unberechenbar gilt und man ihm durchaus zutrauen muss, unter die neuste Inkarnation der Smashing Pumpkins genauso schnell einen Schlussstrich zu ziehen wie er im Juni 2005 per Zeitungsanzeige das Comeback verkündet hatte.
Corgan ficht das alles nicht an. Er hat ein Album hingelegt, das nur so strotzt vor Ambitionen und Komplexität, Taten- und Vorwärtsdrang. Tatsächlich klingt Oceania wie eine Platte, die die Welt erobern möchte. Entstanden ist das Album in Chicago im Heimstudio von Corgan, und natürlich hat der Mann, der seit 20 Jahren quasi nur noch Konzeptalben macht, auch diesmal eine Idee, die über die Musik hinausweist: Die 13 Tracks sollen sich einreihen in den aus 44 Songs bestehenden und im Aufbau befindlichen Zyklus Teargarden By Kaleidyscope.
„Was die Produktion betrifft, war es mir sehr wichtig, dass jeder einzelne Song qualitativ gleichwertig ist. Ich habe mich kein bisschen um diesen üblichen Quatsch gekümmert, dass man eine Singleauskopplung braucht und so“, erzählt Corgan über seinen Ansatz und die Freiheit, das Album aufnehmen zu können, ohne eine Plattenfirma zu haben. In der Tat beeindruckt die Geschlossenheit dieses Werks. Es gibt Thin-Lizzy-Intros wie bei Panopticon, Beinahe-Klassik wie den Rausschmeißer Wildflower, Synthie-und-Flöten-Wände wie in One Diamond, One Heart. Aber alles ist aus einem Guss. Auch wenn alle Songs klar den Stempel von Corgan tragen, haben auch die anderen drei Bandmitglieder ihren Anteil daran: Dass die Songs direkt nach einer Welttournee entstanden, hört man deutlich. Hier ist eine gute geölte Maschine am Werk.
The Chimera ist genauso kraftvoll wie die besten Momente von Mellon Collie. Der neunminütige Titelsong ist zunächst vom Bass dominiert, wird dann ganz akustisch, um schließlich in Tribal-Drums und einem ausufernden Gitarrensolo zu münden. The Celestials bleibt lange Zeit luftig, mit akustischer Gitarre und Tamburin, und zündet dann erst nach zwei Minuten seinen Turbo. Der Auftakt Quasar liefert mächtige Gitarren und entfesselte Drums. Das wilde Riff lässt an Led Zeppelin denken, und dazu liefert Billy Corgan ein Bekenntnis an einen Glauben, dem er sich sogleich vollkommen ausliefert.
In den Texten regieren auch sonst die Imperative, die Mut zusprechen wollen, und gerne mal eine diffuse Esoterik wie im beschaulichen Pinwheels. Erfreulich oft mischt sich aber auch Zuversicht in die Lyrik des Mannes, der mit hübsch plakativen Zeilen wie „the world is a vampire” oder “the killer in me is the killer in you“ einst als Hohepriester der Apokalypse galt. „Don’t make me suffer“, fleht er zwar in Panopticon und fürchtet wenig später, vor lauter Schmerz zu zerplatzen. Aber noch im selben Lied stellt er auch fest: „Breathe! Love is air” und “There’s a sun that shines in me“. Sogar seinen moralischen Beistand kann er in One Diamond, One Heart anbieten: “If you’re feeling low I can help / I’m always on your side.“ Dahinter steckt womöglich die Erkenntnis, die in The Chimera verbreitet wird: “It takes some life to find the light within.”
Songs wie das heitere Violet Rays lassen nicht nur ein bisschen an Zwan denken, das Projekt, das Corgan nach dem Ende der Pumpkins im Jahr 2000 gestartet hatte. Damals wollte er mit einer optimistischen (und sträflich unterschätzten) Platte und Songtiteln wie Endless Summer oder Yeah! plötzlich gute Laune verbreiten. Der Versuch scheiterte kläglich: Nach wenigen Monaten war die Band zerstritten, und die Kritiker konnten mit Corgan als Strahlemann wenig anfangen. Die Platte mit Zwan war der Moment, in dem seine Karriere kippte: Bis dahin wurde er als Enigma bewundert, danach oftmals bloß noch als Kauz belächelt.
Womöglich lieferte ihm diese Schmach genug Antrieb (wie in den ersten Jahren der Pumpkins der Konkurrenzkampf mit Nirvana oder Pearl Jam), um immer weiter nach dem ultimativen, perfekten Sound zu forschen. Mit Oceania hat er ihn nicht gefunden, aber er ist so nah dran wie eh und je, und es macht erstaunliche Freude, ihn nach wie vor auf seiner Suche zu begleiten. Man kann von den Smashing Pumpkins 2.0 halten, was man will. Aber kaum jemand hätte Billy Corgan auf dem Höhepunkt seines Erfolgs zugetraut, dass er knapp 20 Jahre später noch ein so kreatives, vielseitiges und stimmiges Album wie Oceania machen könnte.
Zwölf Minuten Ambition: Die Smashing Pumpkins spielen den Titelsong Oceania live in Detroit.
httpv://www.youtube.com/watch?v=15BeoPYUuk4