Hingehört: Stateless – „Matilda“

Stateless schicken "Matilda" in ein verwunschenes Märchenland.
Stateless schicken „Matilda“ in ein verwunschenes Märchenland.
Künstler Stateless
Album Matilda
Label Ninja Tunes
Erscheinungsjahr 2011
Bewertung ***

Musiker sind schamlose Lügner. Wenn der Tag lang genug ist, dann erzählen sie dir, welch schlimmes Schicksal es ist, auf Welttournee zu sein und jeden Abend von Tausenden jungen Menschen bejubelt zu werden. Sie schwören Stein und Bein, dass ihr aktuelles Album das Beste ist, das sie jemals gemacht haben. Und wenn sie eine neue CD zu vermarkten haben, dann sagen sie gerne Sätze wie diesen: „Unser Album soll dich mit auf eine Reise nehmen.“

Geben wir also Chris James das Wort. „I wanted you to enter a world, and travel through that world, and having different experiences along the way“, sagt der Sänger, um Matilda, das zweite Album von Stateless, anzupreisen. Gähn. Schnarch. Wegnick. Man könnte fast schon aufhören, sich für Stateless zu interessieren. Aber das wäre ein Fehler.

Denn Matilda macht genau das, was viele andere Künstler nur versprechen. Von Anfang an kreieren diese elf Songs ihr ganz eigenes Universum, voller Überraschungen und Dramatik. Wesentlichen Anteil daran hat Produzent Damian Taylor, der vor seiner Kollaboration mit Stateless unter anderem für Björk und The Prodigy gearbeitet hat. Das gibt die Koordinaten vor, innerhalb derer sich Matilda entfaltet: Es gibt fragile Songkunst, aber auch brachiale Verzerrung und einige Momente, in denen die Tanzfläche zumindest als Hologramm Eingang in diese wundersame Welt findet.

Aus einem seltsamen Pluckern und nach einem Gesang, der aus dem Totenreich zu kommen scheint, schält sich der Opener Curtain Call heraus. In Ariel wagt sich die zarte Stimme von Chris James immer wieder in das abstrakt-arabische Soundgerüst – wie ein Häftling, der gegen einen Elektrozaun anrennt. In Miles To Go klingt er wie von einer tonnenschweren Last erdrückt, die trotzdem nur halb so heavy ist wie die Bassdrum, die hier regiert. Satte Streicher lassen in der Ballad Of NGB erahnen, wie Hercules & Love Affair klingen würden, wenn sie ihre gute Laune verlieren.

„It’s like a strange and beautiful dreamscape. It’s dark, surreal, mysterious, full of weird and wonderful characters”, sagt Chris James, und auch dies stimmt. Neben einem beeindruckenden Arsenal an Instrumenten, das die Engländer hier auffahren, trägt dazu auch die Vielfalt der Stimmen bei. James’ eigener Gesang ist extrem wandlungsfähig, klingt mal spektakulär wie Justin Timberlake, mal gebrochen wie Thom Yorke. Visions mit orientalischen Percussions singt Bassist Justin Percival. I’m On Fire wird zum Duett mit Shara Worden (My Brightest Diamond) und zum Walzer für die Heimatlosen.

Das ist alles in keiner Weise kurzweilig, leichtverdaulich oder gar hitverdächtig. Aber es ist ein perfektes Werk für alle, die immer erst auf der Tanzfläche stehen, wenn die Nacht schon längst zu Ende ist. Die ihre Musik am liebsten mit heiliger Konzentration hören und mit geschlossenen Augen. Chris James unterstützt das ausdrücklich: „I want people to do the Pink Floyd thing, and listen to it from start to finish really loud on good headphones.“

Als animiertes Tanztheater funktionieren Stateless noch besser, wie das Video zu Ariel beweist:

httpv://www.youtube.com/watch?v=7NaQnAkO2wU

Stateless bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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