Künstler | Diverse | |
Album | Summer Of Girls | |
Label | Emi | |
Erscheinungsjahr | 2011 | |
Bewertung |
Irgendetwas muss damals in der Luft gelegen haben. Es war im Dezember 1997 – oder, wie man heute sagen würde: im Jahre 11 vor Gaga -, da berichtete der Musikexpress auf vier Seiten über „New Girls On The Block“. Paula Cole, Fiona Apple oder Ani DiFranco schauten ernsthaft auf den Bildern zur Story. „Wenn es in der Rockszene momentan überhaupt gesteigerten Grund zur Freude gibt, dann liegt das auch an starken neuen Frauen“, stellte Marcel Anders, der Autor des Beitrags, dazu fest. Nur vier Wochen später tobten Courtney Love, Tina Turner und Madonna auf der Titelseite des deutschen Rolling Stone herum, um vom „Boom der neuen Weiblichkeit“ zu künden, dem dann gleich die gesamte Ausgabe gewidmet wurde.
Natürlich wurde der Siegeszug der Sirenen immer mal wieder verkündet. Billie Holiday und Ella Fitzgerald waren schon in den 1950er Jahren anerkannte Musikgrößen, die Supremes und Ronettes haben eine Ära geprägt, Debbie Harry oder Patti Smith sind zu Ikonen geworden. Doch dazwischen kämpften sich die Männer immer wieder zur Quasi-Alleinherrschaft zurück. Das Erstaunliche am 1997/98 ausgerufenen Höhenflug ist allerdings: Er hält bis heute an.
In diesen Tagen feiert der Fernsehsender Arte den Summer Of Girls. Begleitend zu all den Dokus und Sondersendung gibt es auch einen Sampler: Summer Of Girls bietet 57 Lieder auf drei CDs – und unterstreicht, wie gut die Damenwelt mittlerweile im Pop etabliert ist. Männer geben im Musikgeschäft zwar weiterhin den Ton an, aber schon längst sorgen Frauen nicht mehr nur als hübsches Gesicht für Furore, sondern als Künstlerinnen. Dauerhaft.
Auf den ersten Blick wirkt Summer Of Girls zwar etwas lieblos. Das Cover ist scheußlich, Liner Notes oder Infos zu den Künstlerinnen gibt es nicht, zudem hat sich ganz am Schluss mit The Look von Roxette auch noch ein Song eingeschmuggelt, der zumindest zu großen Teilen von einem Mann gesungen wird. Trotzdem ist die Zusammenstellung eine der besten Werkschauen weiblichen Pop-Schaffens überhaupt. Von 1958 bis 2011 reicht die Spanne, es gibt fast alles, was Rang und Namen hat: Lady Gaga und Rihanna, Kylie Minogue und Norah Jones, Diana Ross und Kate Bush. Sie alle sind keineswegs mit Ramschware auf Summer Of Girls vertreten, sondern mit einigen ihrer erfolgreichsten und besten Songs. Naturgemäß wirft der Arte-Sampler auch einen etwas genaueren Blick auf die Szene in Frankreich (France Gall, Brigitte Bardot) und Deutschland (Nena, Nina Hagen).
Auch Summer Of Girls stützt übrigens die These, dass die aktuelle Renaissance der musikalischen Weiblichkeit in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ihren Ursprung nahm. Die New York Times hat damals das Aufbegehren der Frauen ausgemacht und die Reaktion des Musikgeschäfts als „somewhere between calculation and desperation“ umschrieben. Neue Radioformate spielten eine Rolle, die erwachsen sein wollten, anspruchsvoll, aber auch ein bisschen harmlos – und bei talentierten, ehrgeizigen Frauen viele passende Songs fanden. Die Konzertreihe Lilith Fair, von Frauen mit Frauen und (nicht nur) für Frauen gemacht, verlieh neues Selbstvertrauen. Und vor allem eine gewisse Kanadierin, die mit einem einzigen Song eine ganze Bewegung in den Mainstream katapultierte.
„Erst Alanis Morissette hat den Markt für das erobert, was jetzt passiert. Frauen werden endlich wieder als ernsthafte Musikerinnen akzeptiert und nicht nur als Sex-Püppchen“, sagte 1997 die US-Sängerin Jewel, die mit 27 Millionen verkauften Platten selbst reichlich von diesem Schlüsselmoment profitierte. Mit You Oughta Know machte Alanis Morissette 1995 das, was alle großen Frauen im Rock getan haben: den Männern den Marsch blasen, ohne Rücksicht auf Verluste und vor allem ohne das geringste Interesse daran, sich für das eigene Geschlecht entschuldigen zu müssen. Das Lied war eine Abrechnung mit dem Ex und trug gewagt offenherzig die eigene Verletzlichkeit ebenso zur Schau wie eine offensive weibliche Sexualität. Der Song vereinte damit die Aggressivität der Riot-Girl-Bewegung mit der Sensibilität des gerade dahinsiechenden Grunge – in einer explizit weiblichen Perspektive.
Das öffnete nicht nur die Tür für viele der selbstbewussten Solistinnen, die auch auf Summer Of Girls vertreten sind, wie Pink, Shakira oder Peaches. Weil Morissette ihre Musik selbst schrieb, sorgten Frauen auch als Songwriterinnen hinter den Kulissen wieder für Aufsehen (wie Linda Perry, die hier mit Christina Aguileras Beautiful am Start ist, oder Missy Elliott, die nach einer erfolgreichen Produzentenkarriere auch als Interpretin mit Hits wie Get Your Freak On abräumte, das ebenfalls hier zu hören ist).
Die neuen Amazonen wurden sogar zu Aushängeschildern für Bands, in denen sie die Kerle zu Statisten im Hintergrund verdammten. Hierzulande sind Wir sind Helden, Silbermond und Jennifer Rostock solche Beispiele, international etwa The Sounds, Gossip oder Garbage. Deren Sängerin Shirley Manson prahlte einmal: „Ich hatte nie was mit einem Groupie und werde es vermutlich auch niemals haben – weil die Männer wohl genau wissen, dass ich sie locker zum Frühstück verspeisen würde.“ Das ist vielleicht die vollendete Umkehrung der etablierten Machtverhältnisse im Musikgeschäft, die Mary J. Blige einmal so beschrieben hat, „dass du als Frau für jeden Erfolg härter arbeiten oder dafür mit jemandem ins Bett gehen musst“.
Freilich zeigen die 3 CDs von Summer Of Girls auch, dass die totale Emanzipation bloß ein Pop-Traum ist. Während Männer im Rock seit fast 60 Jahren ganz selbstverständlich über alles Mögliche singen, ohne über ihre Rolle als Mann definiert zu werden, gelten Frauen mit Gitarre zunächst einmal als erstaunlich. Gerne thematisiert die holde Weiblichkeit auch selbst das eigene Frau-Sein. Katy Perry spielt auf I Kissed A Girl ebenso mit Männerfantasien wie Britney Spears in ihrem Lolita-Sado-Maso-Mix Baby One More Time. Natürlich ist Cindy Lauper mit ihrer Hymne Girls Just Want To Have Fun vertreten, und die Spice Girls treten mit Wannabe ihr Erbe an.
Wenn aber Lily Allen höchst souverän durch Fuck You stolziert, Eliza Doolittle die Ironie von Material Girl (stellvertretend für die ansonsten durch Abwesenheit glänzende Madonna) noch einmal neu ironisiert oder Kelis in Caught Out There fies genug schreit, um einer ganzen Divison männlicher Rockstars Angst einzujagen, dann zeigt Summer Of Girls, wie selbstbewusst und clever sich auch mit solchen Klischees umgehen lässt. Folk-Königin Joan Baez hat das schon vor vielen Jahren getan. Sie behauptete immer gerne: “Ich habe genau die gleichen Freiheiten wie ein Mann, auf und auch außerhalb der Bühne. Es sei denn, ich muss mal pinkeln.“
Nicht auf Summer Of Girls vertreten, aber aus Urknall-Gründen hier trotzdem bestens platziert: You Oughta Know von Alanis Morissette:
httpv://www.youtube.com/watch?v=9nUz34iQDuU
Die Themenseite zum Summer Of Girls bei Arte.
Diese Rezension gibt es mit einer Fotostrecke zu den Queens of Pop und den besten Zitaten über rockende Frauen auch bei news.de.
Ein Gedanke zu “Summer Of Girls”