Künstler | Take That |
Album | Progress |
Label | Universal |
Erscheinungsjahr | 2010 |
Bewertung | **1/2 |
Fortschritt also. Ein großes Wort. Auf dem Cover von Progress stellen die fünf Jungs von Take That sogar die Evolution nach – und konnten sich erstaunlicherweise sogar einigen, wer den Affen spielt (Gary Barlow) und wer die Krone der Schöpfung verkörpern darf (Mark Owen). Ein erstaunlicher Kompromiss für eine Band, die mit einer durchaus verbitterten Feindschaft auseinander gegangen ist.
Immerhin muss man Take That zugute halten: Mit Fortschritt kennen sie sich aus. Vom zusammengecasteten New-Kids-On-The-Block-für-die-Engländer-Projekt haben sie sich innerhalb von drei Alben zu einigermaßen respektablen Popgrößen gemausert. Seit dem Comeback mit Beautiful World 2006 räumen sie mit annehmbarem Erwachsenenpop ab. Und auch in der Zeit dazwischen hatten sie mit ihren Emanzipationsversuchen Geschmack bewiesen, was teils zu Flops führte (Mark Owen), teils zum größten männlichen Popstar des Jahrzehnts (Robbie Williams).
Achja, Robbie. Er ist auf Progress wieder dabei. Die Nachricht ist eigentlich nicht halb so überraschend wie die plötzliche Wiedervereinigung von Take That vor vier Jahren. Robbies Solokarriere stagnierte zuletzt nicht nur – es ging bergab. Seit der Trennung von Songschreiber Guy Chambers ließ die Qualität von Robbies Liedern nach. Seit seinem Versuch, auf Teufel komm raus die USA zu erobern, blieb auch der Erfolg zunehmend aus. Sich da wieder mit den alten Kollegen zusammen zu tun und deren Aufwärtstrend damit noch einmal zu beschleunigen, ist keine allzu abwegige Idee.
Zumal Robbie sich schon stückweise den alten Kollegen angenähert hatte: 2005 machte er bei einer ITV-Doku über Take That mit – und war seiner Ex-Band auch anderweitig sehr nahe: Die „Ultimate Tour” von Take That war damals innerhalb von 70 Minuten komplett ausverkauft. Nur einer war in diesem Jahr mit seinen Tickets noch gefragter bei seinen Fans: Robbie Williams. Als Take That 2006 auf Tour gingen, stand er bei Could It Be Magic mit auf der Bühne – zumindest als riesiges Hologramm.
Auch in Interviews äußerte sich Robbie zuletzt plötzlich wieder voller Respekt über seine Ex-Mitstreiter, im Sommer 2009 gab es das erste Treffen zwischen Robbie („Es war wie nach Hause kommen“) und Gary. Das schürte Gerüchte, öffnete die Tür – und ließ die Ur-Formation schließlich wieder zusammenfinden.
Im Hinblick auf kommerziellen Erfolg ist die Strategie perfekt aufgegangen. Bereits am Tag der Veröffentlichung wurden in Großbritannien von Progress stattliche 235.000 Exemplare verkauft – mehr hat kein Album seit Be Here Now von Oasis geschafft. Am Ende der ersten Verkaufswoche waren 520.000 Stück über die Ladentheke gegangen – ebenfalls der Bestwert in diesem Jahrtausend. In England und Deutschland stürme Progress natürlich von 0 auf 1 in den Albumcharts.
Und was ist mit der Musik? Auch da ist die Wiedervereinigung gut gegangen. „Wir fünf zusammen in einem Raum – diese Vision war immer nur ein Traum und sah nie nach Wirklichkeit aus”, erinnert sich Mark. „Jetzt machen wir ein Album zusammen und die Wirklichkeit fühlt sich wie ein Traum an. Es war eine wahre Freude, mit Rob wieder Zeit zu verbringen.”
Das war keine Selbstverständlichkeit: Robbies Hang zum Extremen und zum Experiment hätte durchaus zu einer Gefahr für den sich gerade etablierenden, reiferen Sound von Take That 2.0 werden können. Auch das Austarieren der Egos wird eine Herausforderung gewesen sein – schließlich hatten die anderen vier sicher keine Lust, plötzlich nur noch die Backingband für einen abgehalfterten Superstar zu sein.
All diese Probleme wurden offensichtlich beseitigt. Progress ist kein verkapptes Soloalbum von Robbie, und es setzt tatsächlich die Entwicklung von Take That stimmig fort. „There’s progress now / where there once was not / then everything came along”, bringt es Robbie auf der netten Vorab-Single The Flood (die freilich im Refrain ein wenig mehr Pepp vertragen würde) auf den Punkt.
Der Kern der Songs entstand in New York, wo Take That gemeinsam mit Produzent Stuart Price (The Killers, Madonna, Zoot Woman) arbeiteten. Im von ihm entworfenen Klanggewand sehen die Jungs (darf man sie noch so nennen?) zwar nicht immer ganz stilsicher aus (SOS hat eine gekünstelte Ausgelassenheit wie die misslungenen Stücke der Scissor Sisters, Pretty Things hat eine hübsche Melodie, bleibt aber zu harmlos und berechenbar, Affirmation versucht vergeblich, Klasse durch Tempo zu ersetzen), aber insgesamt ist Progress eine solide, runde Angelegenheit.
Wait ist im Refrain ganz klassisch Take That, wagt in der Strophe aber einen Flirt in Richtung Peaches oder Lady Gaga. Der Sound von Happy Now ist mehr am Puls der Zeit als es Take That jemals zuvor waren. Das zackige What Do You Want From Me? dürfte so manchen Hennenabend zum Ausflippen bringen. Das von Mark Owen gesungene Kidz hat enormen Drive und eine erstaunliche Frische – das absolute Highlight des Albums. Der Hidden Track ist dann am Schluss durchaus in einer Liga mit Coldplay.
Man darf gespannt sein, ob Progress wirklich der erste Teil eines neuen Kapitels in der Erfolgsgeschichte von Take That mit 80 Millionen verkauften Alben, 17 Nummer-1-Hits und fast 15 Millionen verkauften Konzerttickets (das ist eins für jeden Einwohner von Equador) wird – oder die Rückkehr von Robbie bloß eine Episode bleibt. Denn mit dem Fortschritt ist das nun einmal nicht immer so einfach, wie die weisen Worte des österreichischen Autors Ernst Ferstl zeigen: „Das größte Problem mit dem Fortschritt ist: Auch die Nachteile entwickeln sich weiter.“
Dem Album wird am Freitag die Dokumentation Don’t Look Back And Stare folgen, auf der Take That über ihr Comeback sprechen:
httpv://www.youtube.com/watch?v=YYYmCpyNK7o
5 Gedanken zu “Hingehört: Take That – „Progress“”