Künstler | The Beatles | |
Album | White Album | |
Label | EMI | |
Erscheinungsjahr | 1968 | |
Bewertung |
Sheryl Crow (glaube ich) hat einmal gesagt: Wenn es nur eine Platte gäbe, die sie auf eine einsame Insel mitnehmen dürfte, dann würde sie sich für das White Album entscheiden. Weil es so vielseitig ist, weil es beinahe alles enthält, was mit Musik möglich ist.
Eben diese Stärke ist allerdings auch die große Schwäche des Werks. Die Beatles machten Musik nicht mehr, weil sie es mussten. Sie hatten neue Möglichkeiten gefunden und machten jetzt alle Musik, die sie konnten. „Die Band war auf einem ziemlichen Egotrip, und es gab eine Menge Songs, die man besser völlig rausgeschmissen oder für B-Seiten verwendet hätte“, meinte George Harrison rückblickend zum Weißen Album.
In der Tat fehlte hier ein Korrektiv; jemand, der selektierte. Doch wer hätte es 1968 wagen können, den Beatles reinzureden? Manager Brian Epstein war tot, und nicht einmal Produzent George Martin traute sich Widerspruch zu, obwohl auch er mit der anything-goes-Methode nicht ganz glücklich war. Die Demokratie innerhalb der Band funktionierte als Kontrollinstanz schon längst nicht mehr.
Auch sonst ging es bergab. Die Magical Mystery Tour war missverstanden worden, danach kam der ebenfalls skeptisch beäugte Indien-Trip (auf dem die meisten Songs für das Weiße Album entstanden), dann Johns skandalträchtige Two Virgins-Nacktfotos, schließlich seine noch mehr Aufsehen erregende Verhaftung wegen Drogenbesitzes. Unter diesen Vorzeichen gingen die Fab Four ins Studio, und nun rückte ihnen dort auch noch Yoko Ono auf die Pelle. John Lennon ließ keinen Zweifel an seinen Prioritäten: „Ich traute mich einfach nicht, bei den Beatles auszusteigen, obwohl es genau das war, was ich seit dem Ende unserer Live-Auftritte gewollt hatte. Sobald ich Yoko kennen lernte, war es mit den Jungs aus.“
Yoko war Johns neuer Lebensmittelpunkt, machte der Band aber eigentlich nur eine Entwicklung klar, die ohnehin längst in vollem Gange war: Die Beatles drifteten auseinander, weil sie erwachsen geworden waren. All ihre Erfahrungen und all ihr Erfolg hatten die Unterschiede zwischen ihnen vergrößert, die Gemeinsamkeiten aber in den Hintergrund treten lassen. Sie waren nicht mehr die unzertrennlichen Schulfreunde, kein „vierköpfiges Monster“ (als das sie Mick Jagger immer wahrgenommen hat), sondern hatten eigene Persönlichkeiten entwickelt – und brauchten einander nicht mehr, um sich selbst zu bestätigen.George Harrison hat es ganz richtig erkannt: „Vielleicht ist es unfair, Yoko die Schuld an unserer Trennung zu geben, denn mittlerweile hatten wir sowieso alle genug davon. Jeder von uns ging schon seine eigenen Wege, und sie war vielleicht nur der Katalysator, der diese Entwicklung beschleunigt hat.“ Womöglich hat Yoko Ono die Beatles gar nicht gesprengt, sondern gerettet.
Denn der kreative Prozess war bereits merklich gestört, nicht nur durch sie. Zwar wurden nicht wenige Tracks live eingespielt, von den Beatles als Band. Doch das Gros des Weißen Albums wurden in drei Studios gleichzeitig aufgenommen, so dass jeder seine Ideen ohne Rücksicht auf die anderen verwirklichen konnte – von John, Paul und George als Egos. Ringo war es, der während der Sessions am deutlichsten spürte, dass die internen Mechanismen nicht mehr intakt waren, und deshalb sogar zwischenzeitig ausstieg und nach Sardinien floh.Bei so vielen Spannungen untereinander (und so wenig Blick für das Ganze) war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Band sich entweder auflösen, oder aber ihr eigenes Niveau nicht mehr halten können würde.
Ein paar Mal ist das auf dem White Album schon der Fall. Dear Prudence wird auch durch das aufwendige Arrangement nicht ganz gerettet. Mother Nature´s Son und Blackbird sind schön, aber belanglos. Why Don´t We Do It In The Road und Everybody´s Got Something To Hide Except Me And My Monkey schöpfen ihr Potenzial nicht aus. Savoy Truffle und Happiness Is A Warm Gun haben nichts Zwingendes. Honey Pie ist nur eine Fingerübung, Glass Onion reine Selbstreferenz, Revolution 9 komplett überflüssig. Piggies und Wild Honey Pie sind bloß ein Witz, und nicht mal ein guter.
Dabei hatten die Beatles natürlich nicht plötzlich alles verlernt. Schon der Auftakt ist verheißungsvoll. Back In The USSR klingt wie aus einem Guss, ungemein organisch. Einer der besten Rocksongs überhaupt von den Beatles. Auch danach sind Highlights reich gesät: Melodie und Rhythmus von Ob-la-di, Ob-la-da sind einfach unwiderstehlich, der Text quasi die Fortsetzung von Penny Lane.
Überhaupt haben die Fremdbetrachtungen gegenüber den Innenansichten Boden gut gemacht. Das ironisch-verspielte The Continuing Story Of Bungalow Bill, das fein strukturierte Rocky Raccoon, das halb sich selbst anklagende Sexy Sadie und das märchenhafte Cry Baby, Cry sind dafür nur die plakativsten Beispiele.
Doch auch die Introspektive kommt nicht zu kurz. In Georges Klassiker While My Guitar Gently Weeps (mit Eric Clapton an der Gitarre) hübsch assoziativ, in Martha My Dear ganz banal, in I´m So Tired vollkommen desperat. Sogar Ringos erster selbst geschriebener Song, Don´t Pass Me By, entspricht nur oberflächlich seiner Rolle als Clown. Die Hälfte, die nicht witzelt, zeigt sich als enorm unsicher und verletzlich.
Auch I Will ist so ein Zwitter aus Klischee und Wahrhaftigkeit. Mit lauter Floskeln macht Paul auf wunderschöne Weise klar, was Liebe ist: Selbstaufgabe, bedingungslos. John zieht mit Julia gleich nach. When I cannot sing my heart / I can only speak my mind. Später macht George mit dem sphärischen Long, Long, Long seine Liebeserklärung. Und ganz zum Schluss darf auch Ringo ran. Im von ihm gesungenen Good Night kommt das Wort „love“ zwar nicht vor, aber der Rausschmeißer ist so voller Wärme, dass er natürlich kein Schlaf-, sondern ein Liebeslied ist.
Am anderen Ende geht es hingegen noch mehr als munter zu. Die zweite Scheibe wird von Birthday feurig eröffnet, ihrem stärksten Riff seit Day Tripper. In Yer Blues nimmt John Lennon zum Teil schon Cold Turkey vorweg, die anderen nehmen sich dabei alle Freiheiten und haben hörbar Spaß.
Helter Skelter hat noch mehr von dieser enormen Physis. Paul (ausgerechnet) hatte The Who gehört und wurde von deren Sound zu dem Stück inspiriert, das vor allem laut sein sollte. Der letzte Klassiker ist Revolution 1, angeblich das Stück, das die Beatles zerstörte. Sie konnten sich nicht über das Tempo einigen, und so wurde eben beides veröffentlicht. Die schnelle Version als B-Seite zu Let It Be, die langsamere hier.
Wie gesagt: Nichts war in diesen Tagen für die Beatles schwerer, als eine Auswahl zu treffen. Und daran krankt – Legende hin oder her – das White Album. Wie hat George Martin doch angemerkt: „Ich meinte, wir hätten statt eines Doppelalbums lieber eine sehr, sehr gute Einzel-LP produzieren sollen. Ich glaube, es hätte umwerfend gut werden können, wenn man es ein bisschen gestrafft und konzentriert hätte.“
Durchaus eine passende Herangehensweise: Ein MashUp, bestehend nur aus Samples vom White Album:
httpv://www.youtube.com/watch?v=flrxG5-4Lq0
8 Gedanken zu “The Beatles – „White Album“”